Neulich im Getränkeladen-Postamtersatz-Späti meines Vertrauens: Neu im Angebot ist vegane Schokolade. Die kleine Tafel kostet 3 Euro und steht gleich neben den Bifi-Snacks. Überrascht frage ich mich: Wie vegan ist mein Kiez neuerdings? Bisher glänzte er nicht durch Schickimicki-Blödsinn, mein Berliner Wohnviertel ist so unmondän und unauffällig, dass ich selbst Einheimischen oft erklären muss, wo ich wohne. Vor ein paar Tagen war mein Kiez in den Schlagzeilen, weil bedauerlicherweise um die Ecke ein Mord passiert ist. Darüber hinaus ist es bei uns eher ruhig.
Die vegane Schoki passt nicht zum schlichten Interieur des Getränkeladen-Postamtersatz-Spätis. Schick ist hier nichts, alles ist streng auf Funktionalität ausgerichtet und das hat bisher auch gereicht. Ich frage den netten Ladeninhaber, wie sich die vegane Schokolade verkauft. „Wir haben sie neu im Angebot. Ein paar haben wir schon verkauft. Ich würde das jedenfalls nicht essen. Meine Frau auch nicht.“ Was verkauft sich besser – Bifi oder die vegane Süßigkeit? Jetzt lächelt der Mann. „Bifi“, sagt er. Mein Weltbild ist wieder geradegerückt.
Das Anstrengende an den Veganern ist ihr Missionsbedürfnis
Ich will jetzt keinen veganen Shit-Storm auslösen, von mir aus können Menschen sich nur von linksdrehenden Grapefruits oder nur von rechtsdrehendem Rinderbraten ernähren oder eine Kombi-Ernährung aus beidem wählen. Sie sollen es mir nur nicht erzählen. Das Anstrengende an den Veganern ist ihr unermüdliches plapperndes Missionsbedürfnis. Gepaart mit ihrer überbordenden Besserwisserei werden Gespräche mit Veganern spätestens nach dem zweiten Soja-Hirse-Hafer-Cocktail zur Qual. Im Übrigen: Es ist sowieso nicht mehr hip oder ausgefallen, Veganer zu sein. Machen tausende Menschen! Kann man abhaken! Denkt Euch was Neues aus!
Ich muss demnächst prüfen, ob die Spätis in meinem Viertel schon auf semi-vegan umgesattelt haben. Man glaubt es kaum, aber Spätis sind in Berlin offenbar noch immer eine gute Geschäftsidee, ständig eröffnen neue. Ich unterteile sie in zwei Klassen: Die geordneten und jene, in denen es aussieht, als hätte ein Baggerfahrer zwei Stunden vor Geschäftseröffnung Wodka- und Bierflaschen und auch ein bisschen Limonade in rauhen Mengen einfach abgeladen. Regale? Ist was für Spießer. Ordnung auch. Hier geht’s um Inhalte. Im Späti, den ich meine, stapeln sich die Wodkaflaschen in riesigen Holzkisten. Anfangs dachte ich, der Laden befände sich im Umbau. Nach zwei Jahren denke ich das nicht mehr.
Früher war ein Berliner Späti ein Berliner Späti. Da musste nur „Späti“ dranstehen, der Rest fand sich. Neuerdings wird der Geschäftszweig international. In Tempelhof entdeckte ich kürzlich einen „Späti4You“. Come in and find out. Auch einen schicken Fachladen mit Luxus-Alkoholsorten gibt es, in Berlin-Mitte. Eigentlich fehlt nur noch der Hunde-Späti. Wenn nicht bald jemand einen eröffnet, mache ich es selbst. Vegane Hundekekse wird es keine geben.
Silvia Meixner ist Journalistin und Herausgeberin von http://www.good-stories.de