Die Produkte israelischer Hightech-Unternehmen sind weltweit höchst begehrt – und Silicon Wadi schlägt sogar viele Milliarden schwere Übernahme-Angebote aus.
Weit entfernt davon, boykottiert zu werden, wie die antisemitische Boykottbewegung BDS es gerne sähe, sind die Produkte israelischer Hightech-Unternehmen weltweit höchst begehrt. Nun kann es sich eines von ihnen sogar leisten, zu einem atemberaubend hohen Übernahmeangebot nein zu sagen: Der Wiz-Konzern mit Sitzen in Tel Aviv und verschiedenen Städten der USA, dessen besondere Expertise im Scannen von Cloud-Computing-Daten auf Sicherheitsrisiken liegt, hat eine Offerte von Google über 23 Milliarden Dollar ausgeschlagen, da ein Verkauf „nicht im Interesse der Investoren“ liege. Mit anderen Worten: Die Eigentümer glauben, dass die Firma mehr wert sei.
IT-Sicherheitsunternehmen haben seit dem Corona-Crash an den Börsen einen sagenhaften Run erlebt. Einer der Marktführer, Palo Alto Networks, hat eine Marktkapitalisierung von hundert Milliarden Dollar. CrowdStrike war, bevor es vor einigen Tagen durch seine Verantwortung für weltweite IT-Probleme Schlagzeilen machte, neunzig Milliarden wert (jetzt immerhin noch sechzig).
Der Wiz-Deal wäre die größte Übernahme in der Firmengeschichte von Google gewesen. Doch vergangenen Montag ließ das Wiz-Management ihre Mitarbeiter per Mail wissen: „Wir fühlen uns durch die Angebote, die wir erhalten haben, geschmeichelt, haben uns aber entschieden, unseren Weg zum Aufbau von Wiz fortzusetzen.“ Die „plötzliche Kehrtwende“ sorgte bei vielen Branchenbeobachtern für Kopfschütteln und lasse „einige der Risikokapitalgeber von Wiz die Haare raufen“, schreibt die Londoner Financial Times in einer Analyse: „Das Angebot von Google schien mehr als großzügig zu sein, und die Geber von Risikokapital (VC) leiden in den letzten Jahren unter einem Mangel an lukrativen Geschäften. Einige der bekanntesten VC-Fonds der Welt, darunter Index Ventures, Sequoia Capital und Insight Partners, würden von dem Verkauf erheblich profitieren.“
Von Google gab es keinen Kommentar; auch auf der jüngsten Bilanzpressekonferenz des Mutterkonzerns Alphabet war die gescheiterte Übernahme kein Thema. Die Financial Times mutmaßt, dass auch wettbewerbsrechtliche Hürden einer Übernahme im Weg gestanden haben könnten. Wiz will nun, wie es weiter heißt, den jährlich wiederkehrenden Umsatz auf eine Milliarde Dollar im nächsten Jahr verdoppeln und schließlich an die Börse gehen.
Aus Fehlern anderer gelernt
Der israelische Firmengründer und CEO Assaf Rappaport arbeitete früher für den Microsoft-Konzern, der in Israel ein Forschungs- und Entwicklungszentrum betreibt, das Microsoft selbst als eines der „strategisch wichtigsten Zentren von Microsoft“ beschreibt (Microsoft half 2019 auch mit, die Schriften von David Ben-Gurion computerlesbar zu machen und mittels künstlicher Intelligenz zu analysieren). Ausgerechnet im März 2020, auf dem Höhepunkt der weltweiten Corona-Krise, verließ er aus freien Stücken das Unternehmen.
Auf der Fortune-Brainstorm-Technologie-Konferenz, die vom 15. bis 17. Juli in Utah stattfand, gab er zu, die Entscheidung habe sich eine Zeitlang wie „die schrecklichste aller Zeiten“ angefühlt. Sein Vorteil war, aus „den Fehlern anderer lernen“ zu können. Es ist interessant, dass Rappaport mit dem Begriff „Fehler“ anfängt, wenn es darum geht, die Ursachen seines Erfolgs zu beschreiben. In ihrem Bestseller Start-up Nation (2009) benennen Dan Senor und Saul Singer Israels „Kultur des Scheiterns“ als einen der Gründe für den Erfolg des Landes. In den meisten Gesellschaften ist Scheitern verpönt und wird als persönliche Demütigung empfunden, was dazu führt, dass viele den Weg der Sicherheit dem Wagnis vorziehen. In Israel hingegen wird zu Fehlschlägen ermutigt und der Einzelne für seine Versuche und Bemühungen gelobt. Er kann so aus seinen Misserfolgen lernen und es beim nächsten Mal besser machen, statt sich in Scham zu verstecken. Zudem, so die Buchautoren, hätten Israelis die Fähigkeit, zu improvisieren und schnell auf Unbekanntes zu reagieren.
Die beiden Autoren illustrieren dies am Beispiel der ersten Tage des Yom-Kippur-Krieges. Die Ägypter hatten von den Sowjets drahtgesteuerte Panzerabwehrlenkwaffen des Typs 9K11 Maljutka (NATO-Codename: Sagger) erhalten, die Panzer auf drei Kilometer Entfernung zerstören können. Die israelischen Panzerfahrer wussten nichts von diesen Waffen und konnten sich, als ein Panzer nach dem anderen explodierte, nicht erklären, wer da auf sie schoss. Wie Senor und Singer erzählen, reagierten die Israelis, indem sie mit ihren Panzern möglichst viel Staub aufwirbelten, um den Schützen die Sicht zu nehmen. Das war eine spontan entwickelte Antwort (trotzdem verbrannten hunderte israelische Panzer). Es überrascht daher nicht, dass Israelis großartig sind, wenn es darum geht, unbekannte Bedrohungen aus dem Internet unschädlich zu machen.
Gut vernetzt
Zu den etablierten israelischen Anbietern von IT-Sicherheit gehören Checkpoint Software und CyberArk. Israel, so scheint es, ist eine schier unerschöpfliche Quelle von innovativen Ideen und Unternehmen. Google eröffnete bereits 2006, nur fünf Jahre nach seiner Gründung, ein Büro in Israel.
Auch der Darmstädter Wissenschafts- und Technologiekonzern Merck ist seit Langem in Israel präsent. An einer Reihe von wichtigen Arzneien, die Merck entwickelt hat, waren israelische Forscher beteiligt. Im Gespräch mit Mena-Watch lobte Gangolf Schrimpf, der Unternehmenssprecher für den Bereich Healthcare, Science & Technology, die gute Vernetzung in Israel, wo Merck mit zahlreichen Forschungseinrichtungen kooperiert. Als Beispiele nannte er das Weizmann Institute, die Hebrew University, die Tel Aviv University, das Technion in Haifa, die Ben Gurion University Negev und die Sourasky & Sheba Research Centers. „Diese Liste ist nicht vollständig, wir kooperieren mit vielen Einrichtungen vor Ort“, so Schrimpf.
Die Vernetzung von Wirtschaft und Wissenschaft wird in Israel auch durch die kurzen Entfernungen und, noch wichtiger, viele persönliche Kontakte unterstützt. IT-Entwickler kennen einander nicht selten aus ihrer Zeit bei der Armee. Wiz ist da durchaus typisch. „Wie viele der weltweit führenden Cybersicherheitsexperten“, so die Financial Times, stammen die vier Gründer des Unternehmens, Assaf Rappaport, Ami Luttwak, Yinon Costica und Roy Reznik, aus der Einheit 8200, der Cyber-Geheimdienstabteilung der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte. 2012 gründeten sie ihr erstes Cloud-Sicherheitsunternehmen Adallom, das sie drei Jahre später für 320 Millionen Dollar an Microsoft verkauften. Israel, so die Zeitung, sei „seit Langem ein ertragreiches Jagdrevier für US-Technologieunternehmen, die sich Fachwissen aneignen“ wollen.
Beispiel Nvidia
Auch der Chipdesigner Nvidia, der in diesem Jahr durch die spektakuläre Entwicklung seines Aktienkurses im Zuge des Booms künstlicher Intelligenz (KI), bei der das Unternehmen weltweit führend ist, allgemeine Bekanntheit erlangte, ist zu einem Teil israelisch.
2019 übernahm Nvdia für 6,9 Milliarden Dollar den israelischen Chipdesigner Mellanox, einen Spezialisten für Netzwerklösungen. Heute hat der Jahresumsatz mit Produkten auf Basis der Mellanox-Technologie dreizehn Milliarden Dollar erreicht. Die meisten dieser Produkte wurden in Israel entwickelt. Sergey Vastchenok, leitender Aktienanalyst bei Oppenheimer & Co., sagt, dass Mellanox Nvidia „die Eintrittskarte in den wettbewerbsintensiven KI-Markt“ gegeben habe.
Google wird auch ohne Wiz weiterhin stark von Israel profitieren. „Unsere Google-Mitarbeiter in den Büros in Tel Aviv und Haifa beeinflussen täglich das Leben von Millionen von Menschen und sorgen für Fortschritte im maschinellen Lernen, Data Mining und in der Spieletheorie“, heißt es auf der Unternehmenswebsite. Zu den hier entwickelten renommierten Produkten gehören die Landkarten-App Waze, die automatische Vervollständigung bei der Google-Suche, Insights for Search zur Erstellung von Prognosen (etwa zum Ausgang von Wahlen oder der Verbreitung von Seuchen) und die Vermisstensuche.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Mena-Watch.
Stefan Frank, geboren 1976, ist unabhängiger Publizist und schreibt u.a. für Audiatur online, die Jüdische Rundschau und MENA Watch. Buchveröffentlichungen: „Die Weltvernichtungsmaschine. Vom Kreditboom zur Wirtschaftskrise“ (2009); „Kreditinferno“. „Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos“ (2012).