Der frühere SPD-Vorsitzende und heutige Bundesaußenminister Sigmar Gabriel lädt zur internationalen Konferenz "Friedensverantwortung der Religionen" ins Auswärtige Amt. Im Berliner Tagesspiegel konnte er vor Beginn der Konferenz schon einmal eine Art „Wort zum Sonntag“ dazu schreiben:
„Religionen bewahren ein tiefes Wissen um Schuld, Vergebung und Versöhnung. Religionsgemeinschaften können für Ausgleich und Gerechtigkeit in ihren Gesellschaften eintreten. Sie haben ein langes Zeitverständnis, das etwa in der Friedensarbeit notwendig ist. Und sie machen an den Grenzen der Nationalstaaten nicht halt.“
Das klingt so schön unverbindlich und allgemein, dass man wahrscheinlich schon von vornherein dem Herrn für eine Konferenz in vollendeter falscher Harmonie danken kann. Denn anders als es uns Prediger Sigmar zum Sonntag verkündet, ist das „Wissen um Schuld, Vergebung und Versöhnung“ unter den Religionen doch recht ungleich verteilt. Das wird bekanntlich gern verschleiert, denn sonst müsste man dem Umstand ins Auge sehen, dass es unter den Weltreligionen derzeit eine gibt, auf die sich exorbitant viele Diktatoren, Terroristen und Menschenschlächter berufen. Und dass diese Anhänger keinesfalls daran denken, „an den Grenzen der Nationalstaaten“ halt zu machen, weil ihr ideologischer Machtanspruch universell ist, ist Teil des nie offen ausgesprochenen Problems. Denn auch Massenzuwanderung wird vor allem dann ein Problem, wenn ein großer Teil der Zugewanderten die Idee in sich trägt, das Land, das sie besiedeln, müsse über kurz oder lang ihrem einzig wahren Glauben folgen.
Wenn es um den Frieden geht, kann man alles probieren
Das ist ebenso wenig neu, wie es ebenso selten politisch offen debattiert wird. Stattdessen wird wolkig einer Gleichheit der Religionen das Wort geredet, so als hätte es nach der Verkündung der jeweiligen Heiligen Schrift keine unterschiedlichen Entwicklungen mehr gegeben.
Bemerkenswert ist es natürlich, wenn ausgerechnet der Ex-Vorsitzende einer Partei zum Religionsgipfel lädt, die einst, als es nur um christliche Kirchen ging, den Einfluss religiöser Institutionen auf die Politik eher zurückdrängen wollte.
Doch vielleicht sollten wir nicht so nörgeln und dem Genossen Gabriel noch einmal lauschen, denn er meint es ja gut. Und wenn es um den Frieden geht, dann kann man ja jede Gesprächsrunde mal ausprobieren, oder? Also bitte:
„Wenn wir am 22. Mai über einhundert Vertreterinnen und Vertreter des Judentums, des Christentums und des Islam sowie weiterer Religionen aus Europa, aus dem Mittleren und Nahen Osten und aus Nord- und Westafrika im Auswärtigen Amt zu Gast haben, dann ist dies ein Novum. Erstmals führen wir einen engen, langfristig ausgerichteten Dialog mit Religionsvertretern aus aller Welt und fügen unserer Außenpolitik der Gesellschaften einen weiteren Baustein hinzu.“
Fällt Ihnen was auf? Nein? Noch meine ich nicht den schönen Begriff „Außenpolitik der Gesellschaften“. Asien und Amerika kommen nicht vor. Gibt es dort keine religiösen Konflikte? Oder umschreibt der Außenminister so den Umstand, dass seine Konferenz auf eine allzu starke Präsenz beispielsweise von Buddhisten und Hindus zu verzichten gedenkt? Ich weiß es nicht, aber ein Außenminister wird ja wohl nicht vergessen, Asien zu erwähnen, wenn es vertreten ist. Doch kommen wir nun zu den ewigen Weisheiten:
Fest steht: Religion hat großen, weltweit steigenden Einfluss auf Gesellschaft und Politik. Dies kann ich nach wenigen Monaten als Außenminister auch aus den Erfahrungen meiner Gespräche und Reisen bestätigen. Fest steht aber auch: Religion polarisiert und wird verantwortlich gemacht für Rückschrittlichkeit und Fanatismus, für Gewalt und sogar für Terror. Wer allerdings nur das Stereotyp pflegt, dass Religion stets konfliktverschärfend wirkt, begeht aus meiner Sicht einen großen Fehler.
Wir wollen mit unserer Initiative daher bewusst auf das Friedenspotenzial der Religionen und auf ihre Verantwortung für den Frieden in den Gesellschaften schauen. Denn das ist die „Zumutung“, die wir an die Religionsgemeinschaften richten möchten. Deshalb bringen wir Priester, Rabbiner und Imame aus der ganzen Welt im gleichen Raum zusammen.
Die Zumutungen sind ungleich verteilt
Die Welt wird ein besserer Ort sein, wenn es der deutsche Außenminister geschafft hat, dass es Priester, Rabbiner und Imame im gleichen Raum mehrere Tage miteinander aushalten. Nur auch hier verschweigt der Gastgeber höflich, wie ungleich die Zumutungen verteilt sind. Denn in heutiger Zeit – das ändert sich nicht durch den Verweis auf Jahrhunderte, in denen das anders war – sind es vor allem Imame und seltener Priester oder Rabbiner, die zur Landnahme und zum Töten Ungläubiger aufrufen. Wer diesen Einwand macht, wird des Generalverdachts gegen alle Muslime – oder in diesem Fall alle Imame – angeklagt. Doch es ist nur der Beginn einer Differenzierung, der selbstverständlich jene folgen muss, nach den freiheitsliebenden, toleranten und friedlichen Imamen und Muslimen zu suchen, die ohne Zweifel Unterstützung verdienen. Gerade auch gegen radikalislamische Verfolger. Doch die relativierende Gleichmacherei verhindert genau das.
Leider lassen auch die Worte des Bundesaußenministers nicht hoffen, dass er sich um eine differenzierte Lagebeurteilung bemühen möchte. Er liebt es weiterhin eher wolkig:
„Die Perspektive der Kirchen und Religionsgemeinschaften erweitert unsere außenpolitischen Analyse- und Handlungsmöglichkeiten, sie ist Teil der kulturellen Intelligenz, die wir brauchen, wenn wir die Träume und Traumata anderer Gesellschaften verstehen wollen. Wir streben deshalb über die Konferenz hinaus ein Netzwerk an, das zugleich als eine Art Frühwarnsystem und Ausgangsbasis für Gespräche vor Ort dienen könnte.
Diese Öffnung unserer Außenpolitik für mehr Impulse aus der Zivilgesellschaft ist auch Teil der strategischen Neuausrichtung unserer Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik seit Beginn dieser Legislaturperiode – weg von einer Außenpolitik zwischen Staaten und hin zu einer Außenpolitik der Gesellschaften. In einer Welt voller pseudoreligiös aufgeladener Konflikte ist sie wichtiger denn je.“
Der Außenminister möchte also weg von der Außenpolitik zwischen Staaten? Er ist der Außenminister eines Staates und hat bitteschön die damit verbundenen Aufgaben zu erledigen und die entsprechende Verantwortung zu übernehmen. Was soll eine „Außenpolitik der Gesellschaften“ sein? Wohlfühlveranstaltungen wie das Pfarrer-Imam-und-Rabbi-Treffen? Wer keine Außenpolitik zwischen Staaten machen will, der ist an der Spitze des Auswärtigen Amtes einfach falsch. Blumige „Außenpolitik zwischen Gesellschaften“ kann er vielleicht bei Greenpeace, dem IOC oder der FIFA machen. Die letzteren beiden – so hört man – bieten mitunter auch eine bessere Besoldung als das Auswärtige Amt. Aber Gabriel ficht das nicht an, er holt sich bei Priester, Imam und Rabbi jetzt den Segen.
Dieser Beitrag erschien auch auf Peter Grimms Blog sichtplatz.