Gunter Weißgerber / 24.01.2017 / 18:39 / Foto: Pete / 13 / Seite ausdrucken

Sigmar Gabriel macht es nicht

Eingeweihte und die, die Eingeweihten nahestehen oder die SPD und ihr Spitzenpersonal einfach kennen, wussten es schon seit vielen Monaten. Auch mich hat es nicht überrascht. Was soll denn an dieser Stelle überraschen? Dass eine Parteispitze nicht in der Lage sein könnte, klug abzuwägen? Dass etwa Eitelkeit den Blick vernebelt? 

Sigmar Gabriel, der seit 1946 nach Willy Brandt dienstlängste Parteivorsitzende der ältesten demokratischen Partei Deutschlands, kann sich, seine Verantwortung für diese Republik und die Sozialdemokratie gut einschätzen. Er zog den Dampfer wie kaum ein anderer bis hierhin und macht nun Platz an der Spitze. Ein Hauen und Stechen wird es nicht geben. Gut so.

Anders als Frau Merkel sieht Gabriel den längst überschrittenen Zenit und übergibt. Die Zustimmung der SPD steht noch aus, die dürfte folgen. 

In der Bilanz gibt es einige Knackpunkte.



Den ersten lieferte sein Vorgänger Kurt Beck: Den wieder entdeckten Demokratischen Sozialismus. 
Beschlossen hat diese Überhöhung eines uralten Begriffs in der Sozialdemokratie der Hamburger Parteitag 2007. Wolf Biermann schrieb dazu im Spiegel am 5. November 2007:

„Sollen die doch - würde ich dem nun fertig geschminkten Kurt Beck schnell noch vor der Sendung sagen -, sollen doch Lafontaine & Co. den toten Hund "Demokratischer Sozialismus" durch Mund-zu-Mund-Beatmung ablecken. Aber Sie? Ich find's tragisch. Bitte! Kurt Beck, lassen Sie das!“



Die SPD beschloss 2007 „Hurra zurück“ ins Grauen der Ideologie und stellte damit die Weichen für den Leipziger SPD-Bundesparteitag 2013 mit dem scham- und anstandslosen „Ja“ nach Linksaußen. Dies geschah in Sigmar Gabriels Verantwortung. 

Ausgerechnet in der Stadt der friedlichen Revolution von 1989/90. Das war schon was sehr Spezielles für die SPD.

Das Kreuz mit dem linken Flügel der SPD

Nun war es nie ganz klar, ob Sigmar Gabriel tatsächlich mit Linksaußen liebäugelte. Ich meine: eher nicht. Er war wie nur wenige im Amt des Parteivorsitzenden auch ein Geschichtskenner. Die Demokratiefeindschaft von Kommunisten und Realsozialisten musste ihm niemand erklären. 
Für mich machte er mit der SPD-Linken einen Tauschhandel: „Ihr lasst mich die große Koalition machen und ich lasse euch, wenn es nicht gut läuft, nach Linksaußen driften.“

Die so depperten wie lauten Stegners gingen darauf ein und fortan lief es ordentlich gegen den Baum. Den SPD-Linken war der Kritikwunsch an der ungeliebten Koalition wichtiger als das Dazu-Stehen. Die übliche opportunistische Haltung im linken Flügel der SPD eben. Nicht sonderlich überraschend. Für das Wahlvolk war es verwirrend.

 Die SPD bot seit 2013 das obskure Bild, zwar in Berlin zu regieren, das jedoch am liebsten sofort mit Hilfe der Linksaußenpartei wegputschen zu wollen.

Es bedurfte Sigmar Gabriels vollen Körpereinsatz, diese Gefahr abzuwenden. 

Woraus ich dies entnehme? Der Krawallpolitiker von der Küste, Ralf Stegner, wollte 2013 Generalsekretär werden und damit die (Linksaußen-)Linie der SPD quasi amtlich vorgeben. 

Es kam zu Sigmar Gabriel Heldentat. Er zog mit Yasmin Fahimi das Frauenargument und statt des Generalsekretärs Stegner musste die abgehärtete Öffentlichkeit fortan den Parteivize Stegner aushalten, was der Politik- und SPD-Verdrossenheit im Lande dennoch mächtig Schub verlieh. Bis heute.

Doch ab jetzt ist das Martin Schulz‘ Problem und nicht mehr das von Sigmar Gabriel.

 Wie nun Martin Schulz mit der Situation umgehen wird, die die SPD mit ihrem Linksaußenruck eingeleitet und der die Union mit der Kanzlerin im grünen Kostüm Platz rechts der demokratischen Mitte freigemacht hat, das kann spannend werden.

Alle Bundestagsparteien sitzen auf dem linken Hebel der politischen Wippe und haben mit ihrem zwar geringer werdenden Gewicht diese Wippe links runter und damit rechts hoch gedrückt. Ständig den Kopf nach oben verrenken, ist unangenehm und erzeugt auf Dauer Schmerzen. 
Auch lässt sich da links unten keine  Antwort auf das selbst verursachte Vakuum rechts der politischen Mitte geben.

Die CSU in allen Ehren, doch die kann das nicht wuppen. 

 Solange die deutsche Sozialdemokratie den Anschein erweckt, mit den Demokratiefeinden von links diese Bundesrepublik führen zu wollen, genauso lange wird der Weg bergab gehen.

 Die SPD muss sich auf ein neues Godesberg besinnen, wenn sie sowohl Deutschland auf sicheren Kurs und Europa gemeinsam mit den Europäern von den Portugiesen bis zu den Polen und Balten, von den Dänen bis zu den Italienern und Griechen neu stärken will. 



Dieser Tage fiel mir ein schönes Papier im Internet auf. Zwar von 2008, aber in manchen Punkten ganz schön aktuell: „Wir wollen das moderne Deutschland“ von den Seeheimer Oberbayern. Der Schlußsatz lautet: "Entschlossenheit und nicht Ängstlichkeit und mehr Freude an der politischen Auseinandersetzung müssen ab sofort und über den Wahltag hinaus unser Handeln wieder bestimmen". Vielleicht liest es Martin Schulz  ja auch nochmal.

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Leserpost

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Michael Jansen / 25.01.2017

Ob es ausgerechnet Martin Schulz als einem der profiliertesten Vertreter der klassischen EU, die für alle bekannten Übel von Flüchtlings- und Schuldenkrise über Hyperregulierung und Bevormundung bis hin zu zwangsweise gedrosselten Staubsaugern und Kaffeemaschinen steht, als Kanzlerkandidat der SPD gelingen wird die Massen anzuziehen, kann ich mir nicht vorstellen. Auch im inzwischen recht schmalen Spektrum links von Merkel wird es ausreichend EU- Skeptiker geben, die nicht ausgerechnet den bisherigen Ober-Eurokraten als Kanzler sehen wollen. Da wird es auch nichts helfen, eine Bedrohung der Demokratie durch alle Kräfte rechts der jetzigen Groko herbeizureden, gegen die nur eine SPD unter Schulz erfolgreich antreten könnte.

Heinz Thomas / 25.01.2017

Lieber Herr Weißgerber, Ihre diversen Artikel zur und über die SPD werden´s auch nicht ändern. Ein neues “Godesberger Programm” wird es nicht geben. Dass es 1959 beschlossen wurde, lag an den damals in der SPD maßgeblichen Personen.  Persönlichkeiten, die heute in der gesamten Parteiführung auch nicht ansatzweise zu finden sind und auch nicht wieder auftauchen werden. Dieser abgewrackte Verein wird den verdienten Weg gehen, und das ist gut für Deutschland.

Hans Jürgen Haubt / 25.01.2017

Für mich, der fast fünfzig Jahre lang die SPD gewählt hat, ist diese Partei nicht mehr wählbar seit der Abkehr von sozialdemokratischen Prinzipien und Leitmotiven unter der Regierung Schröder, die die unteren und mittleren Gesellschaftsschichten mit Kürzungen in nahezu allen Einkommensbereichen massiv bestraft und ihre Lebenslagen,  Probleme, Sorgen nahezu völlig ignoriert hat. Die von der SPD eingeleiteten Reformen sind weniger als halbherzig.  Der Partei ist der Blick auf die gesellschaftlichen Realitäten und auf das gesellschaftliche Gesamtwohl abhanden gekommen. Mit der SPD ist derzeit “kein Staat zu machen”. Bis auf wenige Regierungsmitglieder hat die bisherige Führungsriege im Bund ihre Glaubwürdigkeit verspielt und mit Martin Schulz als Kanzlerkandidat noch weniger Chancen als Gabriel. Olaf Scholz wäre “unbelastet” und vielleicht eine Alternative. Ihm dürfte jedoch die bundes- und außenpolitische Erfahrung fehlen. Die SPD-Führung hätte Charkater bewiesen, wenn sie Merkel’s Entscheidung, die Grenzen offenzuhalten, nicht mitgetragen hätte und von ihren Ämtern zurückgetreten wäre. Das hätte zwar eine Regierungs- und Staatskrise ausgelöst - aber vermutlich zu einer Bereinigung der ideologischen Fronten geführt. Zumindest wäre die Glaubhaftigkeit der Parteispitze, die durch die Regierung Schröder massiv gelitten hat, wenigstens in einem Bereich wieder hergestellt worden. So mussten wir immer wieder miterleben, wie sich unser Vizekanzler und unsere Bundesminister der SPD immer wieder mit Rechtfertigungen “verrenkten”, wenn sie in Opposition zu Merkel gingen. Die ideologische (multikulturelle) Verblendung, die die Partei erfasst hat, führte dazu, dass der Parteispitze der Blick auf die Bevölkerung und den Großteil ihrer Stammwählerschaft mit deren Lebenslage, Sicherheitsbedürfnissen, Sorgen und Problemen verloren ging. Dem Erfolg der Partei wäre es dienlicher (gewesen), wenn sie statt ideologischer Erziehung und Maßregelung der schon lange hier lebenden Bevölkerung mit Genderpolitik und multikultureller Gleichmacherei, sich der Lösung realer Probleme zugewandt hätte (wie z.B. ausreichende Schaffung von Sozialwohnungen, Wohnungsnot in Ballungsgebieten und Städten, ausreichende Bürgerrente unter Einbeziehung aller Einkommensarten ab einer bestimmten Höhe und bis zu einer bestimmten Obergrenze, u.a.)

Roland Richter / 25.01.2017

Der Martin Schulz war bei der EU bestens aufgehoben, zumindest konnte er dort nur begrenzt Schaden anrichten. Nun will ihn die SPD auf uns direkt loslassen, wie einen Kettenhund, an den er mich immer erinnert, wenn er den Mund aufmacht.

JF Lupus / 25.01.2017

Für Deutschland ist Schulz schädlicher als Gabriel. Wie die SPD mit Gestalten wie Schulz, Maas, Stegner usw noch Wählervertrauen aufbauen soll, bleibt fraglich, so viel Godesberg kann es nicht geben.

Roland Vossbender / 25.01.2017

Wo ist eigentlich die Kanzlerin, wenn es um die Bestellung des Postens eines Außenministers geht? Macht in Berlin eigentlich jeder, was er will?

Winfried Sautter / 25.01.2017

Time to say Good-Bye. Und das ist auch gut so.

Dieter Franke / 24.01.2017

Nun muß mit Schulz an der Spitze die SPD fürchten, an der 5% Hürde zu scheitern.

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