Wer im Frühjahr die ehrwürdige Hamburger Kunsthalle besuchte, stieß hinter dem Eingang auf eine Stelltafel mit der „Hamburger Erklärung der Vielen“. Dabei handelt es sich um eine Kriegserklärung grüner, linker und linksradikaler Kulturschaffender an die Adresse der Rechtspopulisten. Im Prinzip zielt sie auf alle, denen der unkontrollierte Zustrom von Menschen nach Deutschland Bauchschmerzen bereitet und die das gelegentlich kundtun.
Die Erklärung, so ähnlich auch in anderen Städten verbreitet, steht in nahezu allen Kultureinrichtungen Hamburgs. Sie nicht aufzustellen hieße, sich selber in den Verdacht von „Rassismus, Diskriminierung und Ausgrenzung“ zu bringen. Oh, so was bringt Ärger! Die Kulturschickeria kennt in solchen Fällen keinen Spaß.
Inzwischen ist die Tafel etwas an den Rand gerückt worden. Möglicherweise haben Proteste von Museumsbesuchern, darunter auch fördernde „Freunde der Kunsthalle“, dafür gesorgt. Oder ist die dezente Abseitsstellung einer Einsicht der Direktion geschuldet, dass zu viel denn doch zu viel sein kann? Neben der „Erklärung“ bietet die Kunsthalle nämlich seit Ende März noch ein weiteres, schwer gen Backbord krängendes Spektakel auf.
Die Ausstellung „Korrektur der Nationalfarben“ widmet sich dem Werk des emsigen Agitprop-Produzenten KP Brehmer (1938 – 1997). Er gilt als „einer der großen Unbekannten der jüngeren deutschen Kunst“, wie der ihm herzlich zugeneigte NDR glaubt. Tatsächlich ist Brehmer außerhalb der altlinken Kunstblase ein No-Name. Seine künstlerischen Anstrengungen in Sachen „Kapitalistischer Realismus“ haben kaum jemanden inspiriert.
Leider gebricht es dem Haus sehr an Zulauf
Nicht, dass er unbegabter gewesen wäre als etwa der Heartfield-Epigone Klaus Staeck. Doch verfolgte Brehmer das Pech, dass niemand sich über seine Werke künstlich erregte oder sie gar wutentbrannt von den Wänden einer Parlamentarischen Gesellschaft gerissen hätte. Ein Fortschrittler, dem die Rückschrittler nicht ans Leder wollen, hat es halt immer schwer.
Zunächst noch ein Wort zur Kunsthalle. Das Museum zwischen Alster und Hauptbahnhof, vor 150 Jahren im italienischen Renaissancestil erbaut, beherbergt viele Schätze, unter anderem Bilder von C. D. Friedrich, Cézanne, Degas, Gauguin, Toulouse-Lautrec, Menzel, Liebermann, Runge, Corinth, Böcklin. Ein backsteinernes Dementi der gängigen Vorstellung, die Hamburger seien von jeher „Pfeffersäcke“ gewesen; Kunstbanausen, immer bloß an Geld, nie an Erhabenem interessiert. In Wahrheit wurde der Kunsthallenbau hauptsächlich von Bürgern finanziert, und die Kosten für eine großangelegte Renovierung im Jahre 2013 übernahm in der Hauptsache – immerhin 15 Millionen Euro – eine Stiftung der Versandhausdynastie Otto.
Leider gebricht es dem Haus sehr an Zulauf, obwohl Hamburg sich in der vergangenen Dekade zu einem regelrechten Touristenmagneten gemausert hat. 2013, noch vor der Renovierung, kamen 380.000 Besucher, 2018 nur mehr 310.000. Was wohl auch daran liegt, dass der Kunsthalle in den letzten Jahren kaum eine Ausstellung gelang, die über längere Zeit für Schlangen an der Kasse gesorgt hätte. Dafür gibt es unterschiedliche Gründe, finanzielle wie personelle. Die „Zeit“ meint, das Museum sei „zu leise“.
In dieser Lage ausgerechnet mit einer Gestalt wie KP Brehmer punkten zu wollen, grenzt an Sabotage. Brehmers verkopfte Art der Agitation, deren „ironische Unterwanderung der vorherrschenden politischen, medialen und kommerziellen Bildsprache der Bundesrepublik Deutschland“ (so der Einführungstext zur Schau) sich vorzugsweise in verfremdeten Diagrammen und auf den Kopf gestellten Vermögensverteilungs-Torten äußert, gern mit gegen den Strich gebürsteten Schautafeln und Tabellen operiert, sie ist vor allem eines: zum Fürchten langweilig.
Selbst hartgesottene Kapitalismusverächter werden vergrault
Und die über eine ganze lange Wand gezogenen, aus dubiosen Quellen irgendeiner Sozialforschung gespeisten Kalenderstatistiken, welche „Seele und Gefühl eines Arbeiters“ (so der ernstgemeinte Titel der Darbietung) verdeutlichen sollen, vergraulen selbst hartgesottene Kapitalismusverächter. Kunst könne zum „sinnlichen Instrument emanzipatorischen Bewusstwerdens“ (KP Brehmer) taugen? Keiner widerlegt das so überzeugend wie KP Brehmer, ein Meister des Unsinnlichen.
Dass ihm kein beifallsumtoster Auftritt im Zirkus Hau-den-Westen beschieden sein würde, dürfte er früh geahnt haben. Klaus Peter Brehmer, der seine Vornamen aus Sympathie zur verbotenen KPD abkürzte, aber schlauerweise nicht in deren Nachfolgepartei DKP eintrat, ergatterte 1971 gerade noch rechtzeitig (der „Radikalenerlass“ war schon in der Pipeline) eine Professur an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Dort blieb er, großzügig alimentiert, bis an sein Lebensende.
So wuchs zusammen, was zusammengehörte. Seit den frühen 1970ern ist die HfbK ja wie kaum eine andere deutsche Kunstschule ein warmes Nest für Staatsverdrossene, welche Staatsknete mitnichten verdrießt. Das sogenannte Lerchenfeld war auch langjähriger Ernährer von Bazon Brock, der Kloppo der höheren Geschwätzwissenschaften („Neuronale Ästhetik“).
Dass man mit KP Brehmers Masche von Kultur-, Konsum- und Gesellschaftskritik, die bereits beim Entstehen etwas ranzig roch, auch heutzutage keine Besucherhorden locken kann, hat die Kunsthalle nun, am Ende der Schau, schwarz auf weiß. Zu dumm, der Ansturm hielt sich durchaus in Grenzen. Warum nur? Einer wie der weltoffene KP hätte die „Erklärung der Vielen“ doch subito erstunterzeichnet! Sind die Vielen am Ende gar nicht soviele?