Roger Letsch / 03.12.2019 / 08:50 / 130 / Seite ausdrucken

Sie schämen sich nicht

Es gibt zwei Möglichkeiten, sich in Deutschland anstrengungslos ins moralische Recht und das Gegenüber ins moralische Unrecht zu setzen. Man bezeichnet den Anderen einfach als Nazi, wirft ihm Machtergreifungs- und Massenmordphantasien sowie mangelhaftes Demokratieverständnis vor, worauf dieser zerknirscht in sich gehen möge. Diese nukleare Option anzuwenden gibt es längst keine Hemmungen mehr, weshalb die Öffentlichkeit sich irgendwie daran gewöhnt hat.

Das Fatale daran ist, dass Ideologie und Verbrechen der echten Nazis so verharmlost werden und die Debatte in der Gegenwart einen surrealen Zug erhält. Wer nimmt denn heute noch ernst und fühlt sich getroffen, wenn er so beschimpft wird? Da die Keule durch häufige Benutzung ihren Schrecken verloren hat – und sich deshalb auch echte Waschbretthirne wieder ans Licht wagen – wird nun die nächste Eskalationsstufe gezündet: Man spannt die Opfer des faschistischen Regimes, besonders die Millionen ermordeten Juden, vor den Wagen des eigenen Bedeutungsgewinns. Gefragt hat man weder Opfer noch Überlebenden oder deren Kinder und Enkel.

Die Aktivistengruppe „Zentrum für politische Schönheit“, bekannt dafür, einst AfD-Rechtsaußen Höcke eine Nachbildung des Berliner Holocaustmahnmals zur „inneren Einkehr“ vor die Tür gestellt zu haben, errichtete nun vor dem Berliner Reichstag eine „Gedenkstätte gegen den Verrat an der Demokratie“ in Form einer Stele, in der nach eigenen Angaben Asche ermordeter Juden aus Auschwitz enthalten sei. Begleitet wird die Aktion, die sich selbstredend allein gegen eine gewisse Schwefelpartei richtet, von medialem Feuerwerk auf Facebook, Tagesspiegel, Spiegel-Online und anderswo. Ich versuche, mich kurz zu fassen, deshalb hier nur in Stichpunkten, was ich von der Sache halte.

  1. Hier (gemeint ist der Reichstag) begann eben gerade nicht die letzte deutsche Diktatur. Es folgte mindestens noch eine weitere, nämlich in Sichtweite der Reichstagsruine auf der Ostseite der Stadt. Ob eine weitere folgen kann, wird auf den Straßen rundherum aktuell jeden Tag neu ausgehandelt.
  2. Die systematische Ermordung von Millionen Juden war nicht das Ergebnis eines Verrats an der Demokratie, sondern in letzter Konsequenz des Verrates am Rechtsstaat. Dieser wurde ausgerechnet mit demokratischen Mitteln abgeräumt, weshalb ich auf den Begriff „Demokratie” allein wenig gebe, wenn sie nicht auf universellen Rechten des Einzelnen selbst gegen alle ruht. Vor dem Demokratieverständnis des „Zentrums für politische Schönheit“, in dem das #wirsindmehr über Wohl und Wehe entscheidet, möge uns der Rechtsstaat bewahren, in dem sich der Einzelne auch gegen den Staat, gegen Gruppen und herbeipropagandierte Mehrheiten aller Art zur Wehr setzen kann.
  3. Sollte es zutreffen, dass das ZPS tatsächlich in der Erde der Gedenkstätte Auschwitz herumgestochert hat, möchte ich hier die Worte von Ramona Ambs von der Jüdischen Allgemeinen zitieren: an das Zentrum für Politische Schönheit, ich erklär Euch jetzt mal, wie Salmen Gradowski den Satz: „Suchet in der Asche. Die haben wir verstreut, damit die Welt sachliche Beweisstücke von Millionen von Menschen finden kann“. gemeint hat. Es ist eigentlich ganz einfach: Er wollte, dass die Welt erfährt was passiert ist. Er wollte, dass man weiß, wer und wieviel verloren ging…Er hat nicht gesagt: „Nehmt unsere Toten, grabt sie aus, stopft sie in eine Säule und beleuchtet sie, damit die Nachfahren der Täter mal wieder moralische Selbstbesoffenheit feiern können.”Ihr wollt die Toten „der Lieblosigkeit entrissen” haben? Fuck you. Das war keine „Lieblosigkeit”, sondern mörderischer Hass Eurer Opas und Omas. Das war ihr Gas, ihr Zyklon B, ihre Brennöfen- jede verfickte Wolke am Himmel erzählt mir mehr davon als Eure „Kunst”. Und wie Ihr an den jüdischen Reaktionen bisher darauf sehen könnt, finden die Angehörigen das überhaupt nicht lustig, was Ihr da mit unseren Omas und Opas treibt. Wenn Ihr Euch nur ein wenig mit jüdischer Ethik befasst hättet, könntet Ihr wissen, dass das, was Ihr da macht, NULL mit Judentum zusammen geht. Aber wozu sich mit Juden auseinander setzen, wenn man die Opfer doch prima zweitverwerten kann, um eine politische Message zu verbreiten und sich gleichzeitig noch als Retter der toten Juden fühlen? Der Lieblosigkeit entrissen… Ihr habt se doch nicht alle!
  4. Dem sei hinzugefügt, dass vor der Selbstermächtigung hier die Selbstgerechtigkeit steht: die Arroganz, zu entscheiden, dass für den vermeintlich „guten Zweck“ selbst die ekelhaftesten Mittel erlaubt seien. Mit solchen Tugenden kann man auch – und ich zitiere hier Oscar Lafontaine, der sich in dieser (damals rhetorisch überspitzten) Weise an Helmut Schmidt wandte – ein KZ führen. Über Rhetorik sind wir heute, die Aktion beweist es, längst hinaus. Das ZPS findet es völlig legitim, die sterblichen Überreste bestialisch Ermordeter aus einer Gedenkstätte zu zerren, in ein Glas zu stecken, effekthascherisch zu beleuchten und aus der Belehrung Anderer moralischen Honig zu saugen.
  5. Sollte es sich bei der „Grabung“ in Auschwitz nur um einen PR-Gag handeln – und ich weiß im Moment nicht, was mich wütender machen würde – wäre die politische Instrumentalisierung nicht weniger schlimm. Man stelle sich nur vor, die verbale Nazikeule würde nun ersetzt durch eine verächtlich geschleuderte Handvoll Erde. Wie tief könnte ein Land noch sinken, als so verächtlich mit seiner Geschichte, seiner Verantwortung und den Millionen Opfern einer mörderischen Ideologie umzugehen.
  6. Um das Ganze zu einem merkantilen Erfolg zu machen, bietet das ZPS in Harz gegossene „Bodenproben“ als Souvenir an. Die Vorstellung, dass… nein, ich breche hier ab. Den selbsternannten moralischen Heroen beim ZPS muss wohl aufgefallen sein, dass es vielleicht doch keine so gute Tat oder Idee sein kann, die Überreste ermordeter Juden für 50 Euro unter jenes Volk zu bringen, das zwischen den Säulen des Holocaustmahnmals auch gern in lustigen Posen für Tinder posiert. Seien die Proben echt oder nicht, sind sie doch echt geschmacklos. Man ergänzte das „Angebot“ schnell mit dem Hinweis „Bodenprobe (negativ)“ – und schlug damit gleich das nächste Loch in die Wand der eigenen Zurechnungsfähigkeit. Prüft das ZPS die Erdproben auf „jüdische Anteile“? Hat man einen „Judentest“ entwickelt? Spinnt ihr?

Geht’s eigentlich noch bekloppter, zynischer und selbstgerechter? Volker Beck jedenfalls hatte offensichtlich die Nase gestrichen voll von dieser Aktion und hat Strafanzeige erstattet. Was das ZPS da verzapft und auf welch ekelhafte Weise Philipp Ruch und Konsorten die Millionen jüdischen Opfer des Faschismus instrumentalisieren und verhöhnen, ist nicht hinnehmbar.

Dieser Beitrag erscheint auch auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Harald Hütt / 03.12.2019

@Dr. Ralph Buitoni, vielen Dank für Ihren zutreffenden, und im Rückblick auf die Geschichte der Entstehung des Nationalsozialismus, nachvollziehbaren Kommentar.

Julian Schneider / 03.12.2019

Der Zentralrat der Juden unter Vorsitz von Herrn Schuster wird es toll finden und noch einen gegen die AfD darufsetzen.

Marc Blenk / 03.12.2019

Lieber Herr Letsch, das ist die neue Masche von ein paar Linksfaschisten, 6 Millionen jüdische Opfer zu instrumentalisieren. Die Ästhetisierung des Politischen ist ja seit jeher Kampfinstrument jeglicher Totalitarismen und von denen, welche es werden wollen. Die Ästhetisierung hat sich auch das lügengewohnte Zentrum für politische Schönheit, der kulturpolitische Arm der Antifa, auf die Fahne geschrieben. Es kann nur selbstentlarvender Schwachsinn herauskommen, wenn ‘Kunst’ als Waffe eingesetzt wird, weil die Künstler keine mehr sind, wenn sie Agitprop betreiben und dabei andauernd schräge Vergleiche, Lügen und Geschmacklosigkeiten am laufenden Band produzieren. Eine Offenlegung von Wahrheit mit den Mitteln der Kunst findet hier nicht statt, sondern ihr Gegenteil. Das ästhetische Verfahren dieser Polittrolle erinnert an Ironie, ist aber ihr glattes geisttötendes Gegenteil. Wo Ironie uns neue Wahrheitswelten eröffnet, wird hier Wahrheit durch Verzerrung verächtlich gemacht, um Menschen gesellschaftlich gefügig zu machen und politmoralisch zu erpressen. In dem Fall tritt übrigens auch Antisemitismus offen zutage. Wer den Holocaust nutzt, um anderer Ziele wegen, ist auch antisemitisch. Der Haschischnebel verzieht sich und man wird ja auch mal wieder nüchtern und müsste spätestens dann merken, dass man nicht bei Sinnen war. Aber wer das erwartet, weiß nicht um die über Leichen trampelnde Ideologie dieser Leute. Die politische Schönheit zerrt ihren Antisemitismus und ihre manipulativen Absichten selbst ans Licht. Wie kann es auch anders sein bei einem Haufen irrlichternder Totalitaristen, die ihrem salonfaschistischen geistigen Edelpuff einen Namen verpasst haben, der klingt, als hätte Goebbels um 1 Uhr Nachts die Muse geküsst. Das geschmacklos - ästhetische Recycling ermordeter Juden dient den Kunstschülern der Antifa nur einer Sache: Der Durchsetzung ihrer totalitären politischen Agenda.

Gert Köppe / 03.12.2019

Dieses “Zentrum des politischen Missbrauchs” ist für mich eine Ansammlung ideologisch verblödeter Nichtsnutze. Die sollten schleunigst von der öffentlichen Bühne gefegt werden. Man muss sich, gegenüber den Juden, in Grund und Boden schämen, das solche Wirrköpfe hier in Deutschland ungehindert ihr Unwesen treiben können. Der Verfall von Politik und Gesellschaft tritt immer deutlicher zum Vorschein. Den Verfall der Justiz beurteilen wir dann, nachdem wir das Ergebnis gesehen haben, wie mit der Strafanzeige umgegangen worden ist.  Dieser ganze pervertierte linke Haufen, ihre Förderer und Unterstützer, ekeln mich einfach nur noch an.

Frank Holdergrün / 03.12.2019

Hier schwingt ja immer der Vorwurf mit, dass alle AfD Wähler sich wieder so verhalten würden wie die Nazis damals, also ein Volk vernichten und vergasen wollten, die Juden, Muslime oder wen auch immer. Hitler hatte das im Programm und wenn ich den Koran lese, dann wird dort ebenfalls gegen die Anderen, die Ungläubigen, vorgegangen, sowohl verbal als auch nachgewiesen in der Geschichte und inzwischen durch Terror und abermaligen Terror nahezu täglich. Diese ideologische Gefahr verhüllen die Läuterungslinken hinter ihrem Mäntelchen der Toleranz, und sie sind die ersten, die, wie im Iran, dran glauben müssen, wenn diese Ideologie zur Mehrheit kommt. Wer das nicht begreift, sollte schnell auswandern, in einer muslimisches Land seiner Wahl. Vorher könnte er noch das neue Buch von Necla Kelek lesen: “Die unheilige Familie. Wie die islamische Tradition Frauen und Kinder entrechtet.” Das ZPS sollte sich doch mal getrauen, in der Türkei eine solche Aktion zu fahren. Das geht nur bei den Luschen in Berlin, man könnte heulen. Dieser Rauch und Leute wie Denis Scheck (“ich bin eitel genug, mich zur Elite zu zählen”) sind der Niedergang Deutschlands, es sind die neuen Intoleranten, sie sind gedankenleer und verloren in ihrem blinden Hass ohne Vernunft und Verstand.

Gabriele H. Schulze / 03.12.2019

Auf die Killer folgen die Leichenfledderer. Degoûtant, nauseating, ekelhaft.

Albert Pflüger / 03.12.2019

Diese Aktion ist verwerflich. Ich hätte nie geglaubt, daß jemand so dermaßen desorientiert sein kann, der sich nicht als KZ- Aufseher freiwillig gemeldet hat! Verkaufen die auch passende Souvenirs aus den Gaskammern? Vielleicht finden sich noch herausgebrochene Goldzähne, die man dekorativ in Acryl gießen kann? Könnte Steinmeier doch beim nächsten Iran-Besuch als Gastgeschenk mitnehmen! Vielleicht bekommt er ja im Gegenzug einen geschmackvoll drapierten getrockneten Schwulenpenis in der Schmuckschatulle, abgeschnitten von einem am Baukran aufgeknüpften minderjährigen Sünder?

Fanny Brömmer / 03.12.2019

Als Selbstoffenbarung nicht zu überbieten und deshalb auch so unglaublich wertvoll. Nicht künstlerisch natürlich, sondern historisch. Ich wünschte, ich könnte in hundert Jahren mal einen Blick in die Standardwerke zur Merkel - Diktatur werfen…

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Roger Letsch / 01.04.2024 / 12:00 / 58

Der große Lastenfahrrad-Test

Der Versuch einer Jugendgruppe, die nachhaltige Kaffeeversorgung der Kreisstadt Eberswalde per Lastenfahrrad-Ferntransport sicherzustellen, führte zu aufschlussreichen Erkenntnissen. Wir leben in aufregenden Zeiten, denn dank unserer…/ mehr

Roger Letsch / 27.03.2024 / 06:00 / 81

Die „Young Leaders“ werden vom Himmel geholt

In den letzten Jahren brillierten im Westen junge, aktivistische Politiker mit woker Superkraft. Nun disqualifiziert sich einer nach dem anderen selbst. In vielen westlichen Staaten…/ mehr

Roger Letsch / 11.03.2024 / 06:00 / 89

Das Phänomen Trump und die deutsche Angst

Er ist wieder da! Und in Deutschland zittern die Medienschaffenden beim Gedanken an Donald Trumps Rückkehr an die Macht. Das Grinsen von Heusgen und Maas bei der…/ mehr

Roger Letsch / 07.03.2024 / 06:00 / 55

Wer die Demokratie wirklich rettet

Demokraten-Darsteller versuchen, die Demokratie mit undemokratischen Mitteln zu retten. Doch Gerichte und Institutionen wachen langsam auf – vom Supreme Court in USA bis zum Wissenschaftlichen Dienst des…/ mehr

Roger Letsch / 05.03.2024 / 16:00 / 7

Die schiefe Verachtung nach unten

Alexander Wendt analysiert in seinem neuen Buch die Entwicklung des Kulturkampfes und zeigt auf, wie man sich dagegen wehren kann. Das macht fast ein bisschen optimistisch.…/ mehr

Roger Letsch / 20.02.2024 / 14:00 / 33

Die Risiken und Nebenwirkungen des Trump-Urteils

In New York ist Donald Trump zu einer bemerkenswert hohen Strafzahlung verurteilt worden. In dem Eifer, Trump zu schaden, riskieren die Akteure eine verhängnisvolle Entwicklung.…/ mehr

Roger Letsch / 15.02.2024 / 06:10 / 99

Notbremse: Biden soll vor der Wahl weg

Ein innerer Kreis um den Präsidenten der USA versucht, ihn aus dem Amt zu bekommen, bevor es zu spät ist. Bidens kognitive Ausfälle werden beängstigend. Das…/ mehr

Roger Letsch / 10.02.2024 / 09:35 / 128

Das Putin-Interview

War das Interview, das Tucker Carlson mit Putin führte, jetzt wirklich so schlimm? Und hat es zu Erkenntnisgewinn geführt? Wenn, dann doch eher indirekt. Hat Putin irgendetwas…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com