Annette Heinisch / 04.12.2018 / 06:29 / Foto: Pixabay.de / 62 / Seite ausdrucken

Sie reden vom Ende der Welt, wir vom Ende des Monats

Nach dem Brexit erklärte die Politik vollmundig: „Wir haben verstanden!“ Hat sie das tatsächlich? Hat sie verstanden, was die „just about managing (Jams)“ umtreibt? Menschen, bei denen am Ende des Geldes noch eine Menge Monat übrig ist, für die es eine Katastrophe ist, wenn die Waschmaschine kaputt ist oder gar etwas am Auto, so dass man nicht mehr zur Arbeit kommt. Wohlgemerkt, es sind Menschen, die tagtäglich hart arbeiten. Viele von ihnen leben nicht mehr in London, das etwas für die „posh people“ ist, die Milliardäre aller Herren Länder oder die Finanzgurus der City. Für normale Briten ist London kein bezahlbares Pflaster mehr und es ist mittlerweile sogar für viele, die es sich leisten könnten, nicht mehr attraktiv.

Nach dem Brexit stellte sich heraus, dass nicht nur die „Abgehängten“ für „leave“ gestimmt hatten, sondern auch viele sehr wohlhabende, eigentlich kosmopolitische Bürger. Wer Jahre lang in Hongkong gearbeitet hat, in einem „concrete rabbit hole“ lebte, sehnt sich nach dem „richtigen“ England und nach Freiraum – gerne in einem großen Haus mit Blick auf das Meer. Ähnlich geht es vielen, die ein Vermögen für eine kleine Wohnung in London zahlen mussten und täglich dem Stress einer übervollen, oft dreckigen und als überfremdet empfundenen Metropole ausgesetzt waren. Auch sie zogen sich auf das Land zurück, wollten wieder „Luft zum Atmen“ in einer als noch heil empfundenen Welt.

Es entstand eine Spaltung der Gesellschaft zwischen den „somewheres“, die sich zu ihrem Land und dessen Kultur gehörig fühlen und den „anywheres“, die als Nomaden der Neuzeit überall dorthin ziehen, wo es für sie gerade vorteilhaft ist. Verändern sich die Umstände zum Negativen, ziehen sie weiter. Sie bevölkern die angesagten Metropolen wie London, sehen sich als „Elite“ und geben von dort den Ton an.

Ein Pendant zur Stimmung in Großbritannien

Nun ist Frankreich an der Reihe. Es sind ebenfalls diejenigen, die gerade so über die Runden kommen, die jetzt ihre „gilets jaunes“ überziehen und auf die Straße gehen. Le Monde zitiert einen Demonstranten mit den Worten: „Die Eliten reden vom Ende der Welt, aber wir, wir reden vom Ende des Monats.“ Einer von ihnen, Alois Gury, seines Zeichens Geflügelzüchter, hat ein viel beachtetes Video aufgenommen, die „Welt“ schreibt dazu:

Beim Staatsbankett zum Ende des Ersten Weltkriegs hat Macron den Großen der Welt Bressehuhn serviert, es mundete Merkel, Putin und sogar Trump. Wenige Tage später hat Gury mit gelber Weste, einsam im Stall, ein Video aufgenommen.

„Monsieur Macron, Sie haben meine Bressehühner nicht verdient“, sagt der junge Mann. „Die Woche ist noch nicht zu Ende, aber ich habe schon 77 Stunden gearbeitet, um mir 700 Euro auszuzahlen. Immer dienstags kommt meine Mutter und füllt für 50 Euro meinen Kühlschrank.“ Nach diesem Satz muss Gury sich fassen, er kämpft mit den Tränen, erfolglos.

Gurys Verzweiflung ist so anrührend wie sie allgemein zu sein scheint. Sein Video wird ein großer Erfolg, viel kommentiert, häufig geteilt. Es drückt die Gefühle der vielen aus, die mit der Politik abgeschlossen haben. Sie wollen sich weder von Links- noch von Rechtspopulisten vereinnahmen lassen.

Ihre Bewegung hat viele Gesichter, vor allem aber ist sie Ausdruck der Ablehnung. Sie ist gegen die Macht, gegen die Politik, gegen die Elite, gegen Medien. Und gegen Paris.

Paris – genauer gesagt, praktisch die gesamte Ile de France – genießt außerhalb der Metropole nicht sonderlich viel Ansehen, schon gar nicht in der Bretagne. Insoweit ist es nicht überraschend, dass es eine Bretonin war, Jacline Mouraud, mit deren Wutrede alles begann. Es ist wie ein Déjà-vu, das alles ist praktisch ein Pendant zur Stimmung in Großbritannien, einer Stimmung, die zum Brexit führte. Auch in Frankreich wird die Bewegung von viel mehr Menschen als nur den „Abgehängten“ getragen. 

Die Wutrede endete mit der Frage an den Präsidenten Macron: „Où va la France?“ – Wohin geht Frankreich? Eine gute Frage. Und es ist eine Frage, die sich nicht nur für Frankreich stellt oder Belgien, wo es ebenfalls die „gilets jaunes“ gibt. Die Frage, wo es hingeht, ist eine Frage, die sich jeder in Europa stellen sollte. 

Lohnsklaven des Staates

Wie ist es denn bei uns? Wer mag Berlin oder glaubt, dass irgendetwas Gutes von dort kommt? Gilt es nicht deutschlandweit eher als abschreckendes Beispiel einer failed city? Wie viele Bürger vertrauen darauf, dass die Bundespolitik die wirklichen Probleme erkennt und – was noch wichtiger ist – auch löst? Berlin hält sich für Deutschland wie Paris für Frankreich und London für Großbritannien, dem ist aber mitnichten so. Die abgekoppelten Eliten leben in ihren Wagenburgen, die es ihnen unmöglich machen, die wahre Welt da draußen auch nur zu sehen, geschweige denn zu verstehen.

Was das Fatale daran ist: Eben diese Politik wird auf eher kürzere als längere Sicht zugeben müssen, dass sie gescheitert ist. Der Internationale Währungsfonds hat kürzlich untersucht, wie reich oder arm einzelne Staaten wirklich sind, also geschaut, wie viele Schulden und wie viel Vermögen diese haben. Hier ist der Überblick:

Deutschland gehört wie auch Frankreich und Großbritannien zu den ärmsten Staaten weltweit! Diese angeblich reichen Wohlfahrtsstaaten haben weit über ihre Verhältnisse gelebt. Wie wollen Regierungen das aber dem Volk klar machen? Wie wollen sie Bürgern, die ohnehin schon das Vertrauen in die Politik verloren haben, erklären, dass der ausufernde Sozialstaat mit funktionierender Marktwirtschaft zwar länger durchhält als der reine Sozialismus, aber letztlich genauso wenig finanzierbar ist? Dabei geht es nicht um die Frage, wie man das findet, ich persönlich bedaure es. Aber ich mag auch keinen Regen und er fällt trotzdem. 

Die deutschen Privathaushalte verfügen zudem noch über deutlich weniger Vermögen als die Italiener, Spanier oder Franzosen, wie Daniel Stelter in seinem Buch „Das Märchen vom reichen Land“ nachweist. Deutsche müssen im Durchschnitt eine Abgabenlast von 57 Prozent des Lohns (ohne Mehrwertsteuer und alle Steuern, die auf den Konsum anfallen) schultern, das heißt, sie sind praktisch Lohnsklaven des Staates. Damit tragen sie nach den Belgiern die zweithöchste Abgabenlast innerhalb der EU, zur Vermögensbildung bleibt da praktisch nichts mehr übrig. Die meisten müssen sich daher auf den Staat verlassen, womit sie dann auch wirklich verlassen sind.

Sie verstecken sich wie kleine Kinder unter der Decke

Was passiert, wenn das Kartenhaus zusammenbricht? Die Risiken stapeln sich, irgendwann wird es soweit sein. Vielleicht schon bald, immerhin fragte das Handelsblatt vor kurzem: „Abschwung oder Crash? Das Warten auf den großen Knall.“

Was passiert dann? Kommt das Helikoptergeld, um das Volk ruhigzustellen? Wird die Lösung von Problemen wieder einmal vertagt, laufen die Verantwortlichen wieder einmal vor den Problemen davon, nur um an der Macht zu bleiben? Wer soll das alles auf Dauer bezahlen? 

Keiner weiß es. Es ist kein Wunder, dass die restliche Welt die westliche für schwach hält, denn genau das sind wir. Unsere Verantwortlichen laufen vor Problemen weg, verstecken sich wie kleine Kinder unter der Decke. Wie diese können sie auch nicht rational argumentieren, sondern finden nur diejenigen doof, die das Spiel „Ich bau mir die Welt, wie sie mir gefällt“ nicht mitspielen wollen. Zur „Strafe“ dürfen die dann nicht mitspielen, ätschibätschi!

Es wird Zeit, dass endlich Erwachsene das Ruder übernehmen. Insoweit kann man gespannt sein, wie die CDU sich nun entscheiden wird. Die Ironie der Geschichte: Es mag sein, dass die Bürger Europas sich nie näher waren als jetzt in der gemeinsamen Ablehnung der Politik.

Foto: Pixabay.de

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H.Milde / 04.12.2018

Vielen Dank Frau Heinisch.  “Das Volk hat kein Geld für Benzin, oder Brot? Soll es doch E-Drive fahren, oder Kuchen essen.” Der Elysee-Palast, oder Berlins Reichstag lassen es weiter krachen. Das MerkelSystem schafft es. Deutschlands Grenzen und gutenRechtsstaat abzushaffen, sowie es ua Herr Sarrazin beschrieben hat. Anstatt die Chance der Weidervereinigung zu nutzen, das/die Beste/n beider Hälften zusammen zu fügen, wurden alte Verfahrensweisen der Gängelung und Enteignung weitergepflegt, bis sie die Gesellschaft komplett durchdrungen haben, bis hin zur Kita ->AAS Anleitung ,iS “Erkenne (deutsch)völkische Umtriebe, und merze sie aus!” Auch die sog. ->ZPS (Zenrum für Politische Schönheit!) mit dem Aufruf Demonstranten in Chemnitz (Hase, du bleibst hier) mit Kopfgeld zu denunzieren, die Causae Knabe, Maaßen uva, sind die Dreyfuß´dieses Klassenkampfes, in der fast nicht mehr als “deutsch” wiedererkennbaren Gesellschaft. Sowie A.Özoguz es iS einst fröhlih formulierte,”.....keine deutsche Kultur jenseits der Sprache erkennbar.” Das ist mM ein Krieg der Ideologien, die gut zusammenpasst mit faschistoiden Pseudoreligionen, das waren früher die christlichen Kirchen, heute Importware, die ihren anspruch immer unverhohloener äußert,-> Brief des DTA an den BMI . Izmirübel.

Stefan Schultz / 04.12.2018

Ich mache mir ernsthaft Sorgen! Trotz gut laufender Wirtschaft, sind die Sozialausgaben in Deutschland zuletzt explodiert. Diese Bundesregierung hat den Sozialstaat auf die ganze Welt ausgeweitet, Millionen Menschen eingeladen. Wenn es zum nächsten Konjunktureinbruch kommt, wird es sehr bitter werden. Zumal auch noch die Eurokrise ungeklärt ist. Ich fürchte, dass das kein gutes Ende nehmen wird.

Horst Hauptmann / 04.12.2018

In einem früheren Beitrag zum Thema hieß es in Anlehnung an eine arrogante Äußerung von Marie Antoinette: “sollen sie doch Taxi fahren”. Das war lustig gemeint. Gar nicht lustig ist die Realität in Deutschland. Hier heißt es immer öfter: “sollen sie doch FAHRRAD fahren”! Z.B. auf dem 50 km langen Fahrradschnellweg von Darmstadt nach Frankfurt und anschließend noch durch die Innenstadt zum Arbeitsplatz. Auch die Variante “sollen sie doch ÖPNV fahren” ist arrogant, funktioniert selbiger zu Stoßzeiten doch kaum noch und ist teurer als das Auto. Es bleibt die spannende Frage, wie lange sich der träge und autoritätsgläubige Deutsche diese (in allen Bereichen!) vermurkste Politik noch gefallen lässt. Echte Alternativen bei den Parteien sucht man vergebens, also genügt es auch nicht, sein Kreuzchen bei der nächsten Wahl an einer anderen Stelle zu machen. Die Dauer-Groko hat jeden politischen Diskurs zunichte gemacht, auch die vierte Kraft - kritische Medien - versagen rundum bei der Kontrolle der Regierung. Dumme Weltrettungs-Mentalität bestimmt unsere Gesellschaft, erfunden und mit verbaler und physischer Gewalt durchgesetzt von einer Minderheit. Es wird also höchste Zeit für eine neue APO, diesmal aus der bürgerlichen Mitte!

Thomas Weidner / 04.12.2018

Dazu kommt: Viele Angehörige der sog. Mittelschicht sind 40…50 Jahre alt. Werden diese arbeitslos - beginnt i.d.R der Absturz. Denn diese Menschen haben nicht selten gute Verdienste, welche bei Arbeitgebern nur allzu gern reduziert werden würden - durch junge und billige (und unerfahrene) Kräfte. Bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz hört der Mittelschichtler dann zwei Argumente: Frauenbevorzugung und “Überqualifikation”, letzteres als Ausrede für “zu teuer”. Das hat zwei Konsequenzen: Der Mittelschichtler stürzt (Alg 1 endet nach 1 Jahr - während es für Arbeitsunwillige heute defacto das bedingungslose Grundeinkommen schon gibt - nicht aber für den Mittelschichtler, der muss erst all sein Erarbeitetes meist zu hohen Verlusten verkaufen) ab - und die Folgen der unerfahrenen Kräfte sehen bzw. erleben wir tagtäglich: Am Nicht-Funtionieren…

Andreas Rochow / 04.12.2018

Selbstverständlich sorgt die EU-Zentrierung mit der vielbeschworenen Stabilitäts- und Wachstumskriterien und der EUropäischen Zentralbank für “Harmonisierung”, d.h. überall sollen die gleichen Fehlentwicklungen nach Möglichkeit gleichzeitig vorangetrieben werden. Ein “EUropa der verschiedenen Geschwindigkeiten”  darf es ja nicht geben. Das wird realisiert, indem per EUrokrise alle gleichzeitig an die Wand gefahren werden. Mal sehen, wer uns dann aus der Patsche hilft. Solange wir uns aber Giga-UNO-Partys wie Katowice noch leisten können, scheint es aber nich nicht so schlimm nicht zu stehen.

Michael Hofmann / 04.12.2018

Auch wenn es Keiner mehr hören möchte.Vieles hat die Einführung des Euros verursacht.Die Preise haben sich verdoppelt und zum Teil verdreifacht,Vor der Euro - Einführung habe ich meine Pizza im Restaurant am Ort für 4000 Lire bekommen.Heute sind bis zu 8 Euro fällig.Die Flasche Grappa kostete 6000 Lire- Heute sind es 8 Euro. Kein Wunder, daß das Moos zum Monatsende knapp wird.Das Einkommen hat diese Schritte nicht mitgemacht.

Werner Arning / 04.12.2018

Derjenige, der darum kämpfen muss, über die Runden zu kommen, interessiert sich für die Klimarettung eher etwas weniger. Denn diese bleibt ein abstraktes Problem, ein theoretisch mögliches Problem, Doch währenddessen kämpft er mit ganz konkreten, äußerst unabstrakten Problemen. Er möchte sein derzeitiges Leben überleben. Er kämpft, weil er allererste Bedürfnisse zu stillen hat. Was kümmert ihn die Atomkraft, die Ehe für alle, Gendergerechtigkeit, das Klima auf den Malediven und der Meeresspiegel im Allgemeinen. Auch mit eingebildeter rechter Gefahr hat er nichts am Hut. Die Gefahr, der er täglich ausgesetzt ist, ist konkreter. Die Einwanderer lernt er auch besser kennen als die meisten Grünwähler es wahrscheinlich tun. Er wohnt nämlich in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft und betreut keinen Flüchtling in seiner Freizeit, sondern konkurriert mit ihnen um Arbeitsplatz oder staatlicher Unterstützung. Seine Sicht auf die Dinge ist eine Unmittelbare. Seine Ängste sind keine eingebildeten und die Schlüsse, die er aus seinen Beobachtungen zieht, werden von abgehobenen Politikern schwer verstanden.

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