Werden Bürger auf der Straße befragt, vor oder nach einer Wahl, was sie von dem Ergebnis halten, müssen sie nicht lange nachdenken. Kinder, Jugendliche, Ältere und Greise reden mit fester Überzeugung. Das Wort „rechts“ ist ihnen bloß noch als Schimpfwort geläufig.
Große Teile des deutschen Volkes denken inzwischen politisch gleichgeschaltet. Werden Bürger auf der Straße befragt, vor oder nach einer Wahl, was sie von dem Ergebnis halten, müssen sie nicht lange nachdenken. Prompt heißt es, dass ihnen der Stimmenzuwachs der „Rechten“ Angst mache. Von Faschismus und Rechtsradikalismus ist die Rede. Geht es um Donald Trump, liegt für Junge wie Alte auf der Hand, Amerika werde unter ihm einen Rechtsruck erleben, die Demokratie sei in Gefahr, der Weltfrieden und das Klima sowieso.
Aufgesagt wird, was die Medien, allen voran die öffentlich-rechtlichen, verbreiten. Das ZDF zumal macht sich dabei zum Büttel linksgrüner Politik. Der Amerika-Korrespondent Elmar Theveßen verpasst keine Gelegenheit, den zukünftigen Präsidenten so darzustellen, wie ihn die SPD, die Linken und die Grünen sehen wollen. Wie einst Karl-Eduard von Schnitzler im DDR-Fernsehen, färbt Theveßen das tatsächliche Geschehen so ein, dass mit der „Nachricht“ politische Vorurteile zuverlässig bestätigt werden.
Statt der angekündigten "Nachrichten" gibt es Kolportagen, Gerüchte, Meinungen vom Hörensagen, die von den Zuschauern in Deutschland, weit weg vom Geschehen, für bare Münze genommen werden. Denn es ist ja nicht allein das ZDF, bei dem man den Zeitgeist bedient. Das Erste, die Radioprogramme, die großen Zeitungen und Magazine tun das Gleiche, so dass sich alles zusammen wie eine Propaganda-Glocke über das Land wölbt. Ob „die Menschen draußen im Land“ – so sie denn nach ihrer Meinung befragt werden – noch die Schulbank drücken oder schon am Stock gehen, spielt keine Rolle. Kinder, Jugendliche, Ältere und Greise reden mit fester Überzeugung. Das Wort „rechts“ ist ihnen bloß noch als Schimpfwort geläufig.
Spaßfreie Omas gegen rechts
Geht es um die „Demokratie“, verstehen auch die „Omas gegen rechts“ keinen Spaß. Ihre Herzen schlagen linksaußen, mit oder ohne Schrittmacher. Im Internet liest man, sie wollten „einen Beitrag zum Schutz der Demokratie leisten, um auf die bedrohliche Zunahme von Faschismus, Rassismus, Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit zu reagieren“.
Die gängigen Schlagworte, aneinandergereiht. Ob die Omis wissen, was diese bedeuten, was es mit der Demokratie überhaupt auf sich hat, scheint allerdings weniger gewiss, als die markigen Worte vermuten lassen. Setzt die demokratische Staatsform doch voraus, dass sich der politisch regierende Wille aus dem Zusammenspiel und dem Streit unterschiedlicher Überzeugungen ergibt. In der intakten Demokratie reicht das Spektrum der Meinungen von rechts bis links.
Entstanden ist die Unterscheidung zwischen „rechts und links“ Anfang der 19. Jahrhunderts in Frankreich. In der Kammer der französischen Deputierten saßen links die „Bewegungsparteien“, deren Ziel es war, politisch soziale Verhältnisse zu verändern, rechts die „Ordnungsparteien“, die für die Bewahrung bestehender und historisch gewachsener Verhältnisse eintraten.
Bis heute sitzen im Deutschen Bundestag von links bis zur Mitte die Abgeordneten der Linken, der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen; rechts bis zur Mitte die Abgeordneten der bürgerlich-konservativen Parteien, von CDU und CSU, unterdessen auch die der AfD. Der vor den Parlamentariern thronende Bundestagspräsident überschaut den ganzen Halbkreis von links bis rechts. Zwischen den beiden Blöcken hat er die „Mitte“ vor sich, bisher vertreten durch die FDP.
Wenn die „Rechten“ nunmehr als undemokratisch angesehen werden und wegfallen sollen, wird es freilich auch keine Mitte mehr geben. Was bleibt, ist der Flügel linker Blockparteien, in den Angela Merkel nach DDR-Vorbild auch die CDU einbinden wollte, indem sie die rechten Partei in den Freiraum der „Mitte“ führte. Nicht zuletzt wurde sie deshalb von vielen als „die letzte Rache Honeckers“ bezeichnet. Diese Etikettierung mag man als unsachlich betrachten, aus der Luft gegriffen ist sie nicht. Fällt doch in Merkels Regierungszeit die zielstrebige Ausrichtung des Staates nach der Maßgabe linker, sozialistischer und grüner Vorstellungen. Eine politische Abkehr vom Westen, vor allem von Amerika, und die gleichzeitige Hinwendung zum Osten – Russland sowie zu China.
Schlüsselstellungen besetzen und halten
Seit Jahrzehnten verbreitet war diese geistige Entfremdung von der westlichen Zivilisation im Westen selbst durch die Linken und die Grünen, als logische Folge der 68er-Proteste. Während im Osten, unter der Diktatur der SED, das Bekenntnis zum Sozialismus ein formales gewesen ist, erzwungen obendrein, erfolgte die linksgrüne Orientierung breiter Schichten in der BRD freiwillig und durchaus aktiv.
Bei ihrem „Marsch durch die Institutionen“ konnten die Achtundsechziger Schlüsselstellungen überall da besetzen, wo Meinungen gemacht und verbreitet werden: in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, bei privaten Sendern, in Redaktionen großer Zeitungen und Magazine, in Buchverlagen, Theatern und Filmproduktionen. Nicht zu vergessen die Schulen, Hoch- und Fachschulen. Bei den Gewerkschaften und den meinungsführenden Verbänden, überall bis in die kirchlichen Institutionen hinein herrscht mittlerweile der gleiche Geist. Wer es da noch wagt, „rechte“, im Grunde konservative, Positionen zu vertreten, gerät unversehens in den Verdacht, rechtsradikal zu sein.
Die Warnungen vor drohendem Faschismus und Nationalsozialismus sind wohlfeil. Dass es bei diesen Zuschreibungen de facto auf eine Relativierung des Holocaust hinausläuft, fällt den „antifaschistischen“ Maulhelden kaum noch auf. Wenn sich ein paar wirre Köpfe zu Schießübungen im Wald hinter dem Haus verabreden, bewaffnet mit Luftgewehren, dann führen sie einen faschistischen Staatsstreich im Schilde, was im Umkehrschluss bedeutet, dass der Nationalsozialismus so schlimm nicht gewesen sein kann. Tatsächlich nimmt die Zahl antisemitischer Übergriffe zu, als handle es sich um Kavaliersdelikte.
Eine Bewegung, die dem Staat zuarbeitet
Das sagt zwar niemand so direkt, aber die Botschaft sickert langsam in die Gehirne, wenn die politischen Eliten ständig eine bedrohliche Vergangenheit beschwören, nur um sich selbst in der Abgrenzung kenntlich zu machen. Der von Angela Merkel eingesetzte und eben erst aus dem Amt geschiedene Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, ein ungeduldiger Scharfmacher, malte die Gespenster einer „rechten Szene“ an die Wand, um mit ihrer Verfolgung davon abzulenken, dass das Land längst zur Spielwiese mehr oder weniger radikal gesinnter linker und grüner Ideologen geworden ist.
Ausgerechnet die militante „Letzte Generation“ hielt der Mann im Grunde für harmlos. Ihre „Straftaten“ seien nicht “extremistisch oder gegen den Staat gerichtet“; die Bewegung wolle den Staat „zum Handeln“ auffordern. So die Darstellung von Haldenwangs Denken bei Wikipedia. Ein Sympathisant des Terrorismus an der Spitze eines bundesdeutschen Nachrichtendienstes. Was soll man dazu noch sagen?
Dass die Bürger dann, sobald sie gefragt werden, aus welcher Richtung uns Gefahren drohten, reflexartig auf die „Rechten“ zeigen, kann nicht verwundern. Es ist die Folge einer Dauerberieslung auf allen Kanälen. Wenn die auf der Straße Befragten reflexartig antworten, sie fürchteten sich vor der AfD oder den Reichsbürgern, klingt das nicht, als habe man ihnen vorher aufgeschrieben, wie sie sich äußern sollten. Nein, so wie sie denken, so spricht es aus ihnen. Nach der Gefangenschaft in einer ideologischen Dunkelkammer fürchten viele den Schritt ins Licht, das politische Denken auf eigene Gefahr.
Vor uns liegen die Mühen der Ebene
Selbst wenn CDU/CSU den nächsten Kanzler stellen sollte, wird die Mehrheit der Deutschen nicht zwangsläufig anders denken, als es ihr bisher beigebracht wurde. Ehe breitere Schichten der Bevölkerung zu einem Demokratieverständnis zurückkehren, das nicht auf dem Ausschluss rechter und konservativer Anschauungen beruht, braucht es Zeit. Von heute auf morgen sind die Verdächtigungen der Jahrzehnte nach 1968 nicht aus den Köpfen verschwunden.
Der Untergang der kommunistischen Diktaturen im Osten war ein Schauspiel, das der Westen vom Sofa verfolgen konnte. Nun aber geht es – fast schon wörtlich zu verstehen – ans Eingemachte, an die Überwindung eigener Verblendung, der linksgrünen Gehirnwäsche. Mit Brecht zu sprechen: „Vor uns liegen die Mühen der Ebene“. Was der große Lyriker damals, 1949, auf die Überwindung nationalsozialistischen Denkens in den Köpfen der Deutscher bezog, lässt sich heute über die Befreiung von linksgrünen Dogmen sagen.
Wenn es auch stimmt, dass sich die Geschichte nicht wiederholt, so gibt es doch wiederkehrende Verhaltensmuster, das Fortwirken geistiger Beschränkungen, sich widersprechender sogar. Die Flaggen mögen ihre Farben wechseln, diejenigen, die der Fahne mit einem Lied auf den Lippen folgen, sind immer die gleichen – Menschen, die an die Hand genommen werden wollen, statt die Last eigenen Denkens zu schultern.
Dr. phil. Thomas Rietzschel, geboren 1951 bei Dresden, verließ die DDR mit einer Einladung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Er war Kulturkorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung FAZ und lebt heute wieder als freier Autor in der Nähe von Frankfurt. Verstörend für den Zeitgeist wirkte sein 2012 erschienenes Buch „Die Stunde der Dilettanten“. Henryk M. Broder schrieb damals: „Thomas Rietzschel ist ein renitenter Einzelgänger, dem Gleichstrom der Republik um einige Nasenlängen voraus.“ Die Fortsetzung der Verstörung folgte 2014 mit dem Buch „Geplünderte Demokratie“.