Ein alter Freund von mir, der mit einer Französin verheiratet ist und sich deshalb häufig in Frankreich aufhält, hatte dort einmal folgendes Erlebnis. Ein Auto mit französischem Kennzeichen nahm ihm die Vorfahrt. Als beide an der nächsten Ampel halten mussten, stieg mein Freund aus und machte den Fahrer in akzentfreiem Französisch darauf aufmerksam, dass dieser ihm die Vorfahrt genommen habe. Darauf der Franzose mit süffisantem Lächeln: „Monsieur, vous n’avez jamais ici la priorité.“ – Mein Herr, Sie haben hier niemals Vorfahrt.
An diesen Vorfall muss ich jedes Mal denken, wenn wieder mal irgendjemand die Rassismuskeule schwingt: Wir, die autochthonen, indigenen Deutschen können manchen, was wir wollen, wir ziehen bei Meinungsverschiedenheiten mit Ausländern, in Sonderheit mit (türkischen oder arabischen) Muslimen, immer den Kürzeren. Zu schwer hängt der Mühlstein der zwölfjährigen Schreckensherrschaft des so genannten Dritten Reiches um unserem Hals. Da hilft es auch nichts, wenn der marokkanische Schriftsteller Taher Ben Jelloun uns Schützenhilfe leistet: „Genau, wenn einem die Argumente ausgehen, bleibt immer noch der Rassismus“ („Verlassen“, Berlin Verlag). Jelloun hat seiner damals zehnjährigen Tochter Mérième auch erklärt, was Rassismus bedeutet: „Le Racisme expliqué à ma fille“ („Papa, was ist ein Fremder?“).
Vor gut zwei Jahren schrieb ich auf der Achgut.com zu diesem Thema: „Mit der Ausdehnung des Diskriminierungsbegriffs haben wir genau so einen Holzweg betreten wie beim Toleranzbegriff (lies hierzu Henryk M. Broder, Kritik der reinen Toleranz) und der sozialen Gerechtigkeit (lies hierzu August Friedrich von Hayek, Die verhängnisvolle Anmaßung: Die Irrtümer des Sozialismus) Und Holzwege landen irgendwann in der Sackgasse".
In der Rassismus-Diskussion, die eigentlich gar nicht stattfindet, befinden wir uns längst in der Sackgasse. Argumente haben in diesem Zusammenhang nichts verloren. Wenn Deutschland wirklich so rassistisch ist, wie manche meinen, fragt man sich allerdings, warum sie diesem schrecklichen Land noch nicht den Rücken gekehrt haben. Und warum so viele Migranten nach Deutschland drängen. Offenbar haben sie nicht die geringste Ahnung, wie es hier zugeht. Und wenn sie es nach ihrer Ankunft merken, ist es meistens zu spät. Oder wie muss ich mir das vorstellen?
„Zu den Gefilden hoher Ahnen“
Was soll ich von einem Deutschen mit türkischen Wurzeln, der übrigens nur die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, halten, wenn er auf Englisch erklärt: “I have two hearts, one German and one Turkish.“ – In meiner Brust schlagen zwei Herzen, ein deutsches und ein türkisches. Klingt fast wie Goethes Faust: „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“. Aber da endet auch schon die Gemeinsamkeit. Oder vielleicht doch nicht. Bei Goethe heißt es weiter: „Die eine will sich von der andern trennen; die eine hält, in derber Liebeslust, sich an die Welt mit klammernden Organen; die andere hebt gewaltsam sich vom Dust zu den Gefilden hoher Ahnen.“ Dass Goethe da mit seinem „dust“ (Staub) ins Englische geraten sein könnte, ist natürlich abwegig, denn es handelt sich um eines der zahllosen veralteten Wörter aus Goethes riesigem Sprachschatz, an das heute allenfalls noch die Wendung „zappenduster“ oder der Kinderreim „pinke, panke, puster, im Keller ist es duster“ erinnert.
Doch zurück zu einer eventuellen Parallele. Wenn Ulf Poschardt in der Welt von Mesut Özils „heideggerschen existenziellen Sorge“ fabuliert, dann darf hier wohl auch das Goethe-Zitat strapaziert werden.
Dass Özil sich „an die Welt mit klammernden Organen“ hält, mag man bei einem Jahresgehalt von 15,6 Millionen GBP (etwa 17,5 Millionen Euro) gerne glauben. Er verdient dieses schöne Geld allerdings in England, weshalb er vermutlich „aus Respekt“ vor seinem derzeitigen Gastland seine Auseinandersetzung mit dem DFB und anderen auf Englisch verfasst hat. Ich bin wahrlich kein Freund von Heiko Maas, aber der Ansicht, „dass der Fall eines in England lebenden und arbeitenden Multimillionärs“ keine Auskunft über die Integrationsfähigkeit in Deutschland gebe, kann ich meine Zustimmung nicht versagen.
Beim Treffen mit Erdoğan zog es Özil dann offenbar „zu den Gefilden hoher Ahnen“, denn “my mother has never let me lose sight of my ancestry, heritage and family traditions.“ – Meine Mutter hat mich niemals den Blick auf meine Ahnen (sic!), mein Erbe und meine Familientraditionen verlieren lassen.
"Vielfalt, die nicht auf Einheit zurückgeht, ist Wirrwarr"
Allerdings scheint er für einen Moment von Größenwahn und tiefer Ignoranz gleichzeitig befallen worden zu sein, als er sein Treffen mit dem türkischen Präsidenten mit der Begegnung zwischen diesem und der Königin sowie der britischen Premierministerin in einem Atemzug nannte: „Having respect for political office is a view that I’m sure both the Queen and Prime Minister Theresa May share, when they too hosted Erdogan in London.“ Respekt vor einem politischen Amt zu haben ist ein Standpunkt, den – da bin ich mir sicher – auch die Königin und Premierministerin Theresa May teilten, als sie Erdogan in London empfingen.
Leider ließ er diesen Respekt gegenüber dem Land vermissen, dem er so viel verdankt. Es erschien ihm offenbar attraktiver, in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft zu spielen statt in der türkischen (wie etwa der ebenfalls in Gelsenkirchen geborene Hamit Altintop). Aber damit hatte es sich dann auch. Die Nationalhymne wollte er nicht mitsingen und betete stattdessen lieber.
Die Vielfalt in der Nationalmannschaft ist in der Tat beeindruckend. Aber schon der französische Philosoph Blaise Pascale hatte erkannt: „La multitude qui ne se réduit pas à l'unité est confusion; l'unité qui ne dépend pas de la multitude est tyrannie.“ – Vielfalt, die nicht auf Einheit zurückgeht, ist Wirrwarr. Einheit, die nicht auf Vielfalt gründet, ist Tyrannei. Nicht umsonst hat Poschardt dem derzeitigen Arsenal-Spieler einen „erratischen Charakter“ bescheinigt. Laut Duden bedeutet erratisch „im Schlingerkurs befindlich, abirrend, nicht stringent“.
Doch, wie gesagt, das wird uns alles nicht helfen, wie uns schon Dunja Hayali ins Stammbuch geschrieben hat: „Wenn Sie sich rassistisch äußern, dann sind Sie verdammt nochmal ein Rassist.“ Und was rassistisch ist, entscheidet immer noch der Mainstream oder eben Dunja Hayali oder Naika Foroutan oder Sawsan Chebli oder zur Not auch Katarina Barley oder wie sie alle heißen.