Gastautor / 13.12.2007 / 21:36 / 0 / Seite ausdrucken

Sibylle Berg: Zürich zum Beispiel

liebe knaufhufler,

es wäre zu einfach, euch einen depressiven wintertext zu schicken, nur
weil aus versehen dunkel herrscht vor der tür. ein deprimierender
sommertext, das ist, was einem jetzt weiterhelfen kann. wenn es im sommer auch
mies ist, kann man jetzt auch durchhalten. und sich die zeitschrift mit
dieser nackten ex fusballergattin kaufen, retouschierte bilder ansehen, und
dazu die ex-fusballergattin im fernsehen reden hören: ich wollte allen
frauen über 40 mut machen. sagt die dame mit käsebrotintelligenz und meint
damit: wer sich in dem alter noch nackig fotographieren lässt und damit jedes
vorurteil über damen füttert, hätte sich auch bereit mit 18 die
lampe ausblasen können, und prost also auf das überleben als amöbe.
und jetzt—ein bisschen sommer in eure wintermuffigen
hauptquartiere—-

Fast 50% der bindungsfähigen Erwachsenen in Europa sind
alleinstehend,las ich und das ist viel. Fast die Hälfte.Da muss man ja völlig
umdenken,denn das ist ein prächtiges Markensegment zum Beispiel für Reisefüher.
Es gibt ja Sachen, die gehen alleinstehend gar nicht. Alleinreisend
noch viel weniger.

Zürich zum Beispiel.
Zürich ist unbedingt eine Reise wert. Es ist nah von überall, HATTE
eine schöne Airline und ist so angenehm teuer, das man hier kaum betrunkene
Kegelreisende trifft. Es ist eine Stadt, die unbedingt für
Alleinreisende taugt. Bedingt. Also-Jahreszeitenbedingt. Im Winter ist es hier so blöd wie überall.
Dunkel, Regen, und ihr steht auf der Strasse, nass und kalt wie ein Hund, in
den Häusern kleine Familien (so um die 1.50)  sitzen und Kaminfeuer brennen
und alle sagen : ich liebe dich Daddy. Auch der Daddy selbst würde das
sagen und die Familie würde sich umarmen und wären sie keine Familie
sondern ein Paar, dann würden sie sich halten, in Bauernbetten mit karierter
Bettwäsche,  während draußen der Schnee die Welt leise atmen macht
und Oma wär noch am Leben und brächte Kuchen.

Und so weiter, aber nehmen wir
an es ist warm—-  das geht wunderbar. Wenn es hell ist.Tagsüber—prima,
kein Problem einsamer Mensch. Du läufst durch die Stadt, die den
unbedingten Vorteil hat, das man durch sie eben laufen kann. Von einer Ecke zur
anderen, alles mit Füssen machbar. Will man nicht mehr mit den
Füssen, dann leiht man sich ein Rad, das ist hier umsonst, um die Umwelt zu
streicheln.

Zürich, bye the way ,im Sommer ist ein einziges Streicheln. Die Luft
ist luftwarm, die Menschen angenehm leise und uninteressiert, in der genau
richtigen Dosierung: Freundliches schauen, kein blödes anquatschen.Keine
Sorge muss man haben um seine Besitztümer, denn wo auch immer du
herkommst: es ist für die Schweizer die 3.Welt.Der alleinreisende, einsame Mensch
kann also ungestört herumlaufen und fahren, alle 3 Meter gibt es feinen Kaffee,
frischen Saft, hübsche Läden, in denen er sich nichts kaufen kann
wegen zu teuer, und klares Wasser. So klares Wasser, das es albern wirkt, in
Kombination mit den weißen Alpen irgendwo weiter hinten. Und überall
hat es Badeanstalten. Am Fluss am, See, Hunderte. Die meisten aus Holz und
sehr alt, mit Türmchen und verrosteten Schildern, die einem lehren nicht
ins Wasser zu spucken,mit sauberen Wiesen und gesiebtem Strand, mit kleinen
Kiosken in denen wunderbarer Kaffee und frischer Saft, frische Kuchen
und Salate verkauft werden.

Leise ist es, gepflegt dümpelt die Stadt und
Kinder wurden in Akademien zum Schweigen erzogen. Gesittet und ebenfalls
wunderschön laufen sie mit entspannten Kindergesichtern herum.Man
könnte eine ganze Woche damit zuzubringen den See zu umrunden, der in den
Fluss übergeht, und alle zehn Minuten könnte man sich in einer neuen
Badeanstalt aufhalten.Wunderbar, denkt man sich, als Alleinreisender und ist mit
nichts auf die Gefahren der Dunkelheit vorbereitet. Die Haut so frisch vom
schwimmen, der Bauch so angenehm gefüllt mit feinen Speissen fürchtet
man nichts, doch schleichend, böse, wenn dann der Abend langsam kommt, die
Restaurants sich füllen, die Luft voll mit teurem Parfüm und Seide
und der Boden aussieht wie Marmor, wird der Alleinreisende auf einmal schwer.
Er weiß noch nicht zu sagen warum, vielleicht ist es das zuviel an Perfektion,
die ihm die eigene Vergänglichkeit klar macht. Die Stadt wird leise,
Gläser klirren, Amseln beginnen ihre Arbeit.Die Badis verwandeln sich zu
exotischen Bars, wenn die Nacht eintritt.Farbiges Licht, Fackeln,
Sitzkissen, Wasser gluckert, Luft streichelt. Und da sitzt er dann ,
der alleine Mensch.

Die schönste Badibar ist die ,in der unter Tag koschere
Judenmänner schwimmen, ein uraltes Ding, mitten in der Stadt an einem
kleinen Flussausläufer. Hügel beschützen sie, Holz verwahrt vor
neugierigen Blicken, und in der Nacht ist man hier, wie auf einer Insel, in Asien,
oder in einer besseren Welt. Es riecht so , wie es an Flüssen in einer
Sommernacht riecht. Ab und zu sieht man ein hübsches Mädchen leise
ins Wasser gleiten, überall zarte Gespräche, sanfte Luft und für soviel
Schönheit ist keiner alleine eingerichtet. Was kann man da tun,
alleine, auf einem Sitzkissen, Fackeln werfen perfekte Schatten, das Getränk
hat genau die richtige Temperatur—soll man mit sich reden? Mit einer
Taschenlampe Murakami lesen? Nichts kann man machen, außer sich
vielleicht betrinken, was die Sache aber auch nicht leichter werden lässt. Hier
inmitten des Traumes einer besseren Welt,in der es keine Angst gibt und
keine Not, keine Hässlichkeit und Krankheit, sitzt man und sieht sich
:
ALLEIN. 
Und dann, auf einmal, wo doch alles so perfekt ist, möchte man nicht
mehr hier sein. Am besten nicht auf der Welt und wenn das zu kompliziert ist
vielleicht einfach nur im Bett , irgendwo wo es normal hässlich ist
und kalt. Wo es nicht weiter auffällt, das da niemand ist, der gut riecht,
dessen Hand man halten kann, der einem leise Schwachsinn erzählt, bis
man müde wird, der dann fragt bist du müde, wollen wir zu Bett? Und dann
bleibt ihr noch ein wenig , fast schlafend, und seht all das Heile um euch ,
und es ist nicht mehr als eine Fototapete, und das Wasser macht nur für
euch Geräusche, und es ist schön,. wegzugehen aus der Badi später ,
irgendwo auf dem Bauch eines anderen Menschen dann schlafen zu können, und es
könnte überall sein. Doch all das ist nicht, merkt der Alleinreisende
Einsame, es ist ein verdammter geborgter Traum, in dem du sitzt, alleine in der
Nacht und dann wirst du wieder heimfahren müssen, wo hin, da es garantiert
nicht schöner ist, aber der Alltag ist da, UND DU BIST ALLEINE.
Nie, und merken sie sich: nie sollten sie einsam in der Nacht in
Zürich unterwegs sein, und sehen sie eine dieser Badeanstaltenbars, die sie
lockt mit Fackeln und leisem gluckern: laufen sie, laufen sie um ihr schönes
einsames Leben.

wie immer ausnahmslos freundliche mails an:
postvonfrauberg@sibylleberg.ch

 

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