Die Ergebnisse der 19. Shell Jugendstudie „Pragmatisch zwischen Verdrossenheit und gelebter Vielfalt“ sind online. Was beschäftigt Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 12 bis 25 Jahren?
Auf Platz eins der aktuellen Ängste befindet sich mit 81 Prozent der „Krieg in Europa“ – zum Vergleich: 2019 gaben nur 46 Prozent an, dass sie diese Möglichkeit ängstigen würde. Angesichts des seit 2022 andauernden bewaffneten Konflikts in der Ukraine ist dieser Umstand nicht verwunderlich. 69 Prozent der Jugendlichen sind der Meinung, dass es eine starke NATO bräuchte, während nur sechs Prozent sich dagegen aussprachen. In der auf der Seite von Shell veröffentlichten Zusammenfassung heißt es:
„Der Aussage ,Russland hat die Ukraine angegriffen und muss dafür bestraft werden‘ stimmen 60% der Jugendlichen zu, nur 13% insgesamt, aber immerhin 21% im Osten, sehen dies explizit anders.“ Und weiter: „Nur 50% wollen, dass Deutschland die Ukraine militärisch unterstützt, die Zustimmung ist im Osten mit 44% im Vergleich zu 52% der Jugendlichen aus den westlichen Bundesländern geringer ausgeprägt. 24% lehnen dies hingegen ab: 22% im Westen und 34% im Osten.“
Beim Thema „Krieg in Israel“ gab es keine einheitlichen Tendenzen – 30 Prozent finden es gut, dass Deutschland auf der Seite Israels steht, eine ähnliche Zahl ist dagegen. 27 Prozent sind unentschieden. Erwähnenswert bei Jugendlichen, die Israel ablehnen, ist, dass viele von ihnen oder ihre Eltern aus arabischen Ländern oder der Türkei stammten. Der Frage der besonderen Verpflichtung Deutschlands gegenüber Israel stimmten in dieser Gruppe nur 26 Prozent zu, 42 Prozent lehnten ab.
Auf Platz zwei der Ängste kommt die „Armut“ mit 67 Prozent, und Platz drei teilen sich „Umweltverschmutzung und „Wachsende Feindseligkeit zwischen Menschen“ mit 64 Prozent, dicht gefolgt von „Sozialer Ungleichheit“, „Klimawandel“ und „Terroranschläge“. Ich persönlich finde die hohen Prozentzahlen der Ängste erschreckend – der Untertitel „Verdrossenheit“ passt gut zu diesen Werten.
Trotzdem scheint man noch zufrieden mit der Demokratie. 75 Prozent gaben an, sehr/eher zufrieden zu sein, während nur 24 Prozent sehr/eher zufrieden waren. Das passt dazu, dass Jugendliche sich mit einem Mittelwert von 5,3 sicher eher links einstuften. Man scheint die Probleme und die daraus folgenden Ängste durchaus zu spüren, zieht aber nur wenig konsequente Schlüsse.
Woke Frauen
Auffällig, aber auch nicht überraschend ist, dass junge Frauen woker sind als junge Männer. 72 Prozent der Frauen sprachen sich für eine vielfältige, bunte Gesellschaft aus, während dem nur 56 Prozent der jungen Männer zustimmten. Noch größer ist die Kluft beim Thema „Feminismus“. Hier stimmten 59 Prozent der Teilnehmerinnen dafür – nur 20 Prozent der Männer taten es ihnen gleich. Amüsant ist vor allem, dass „Männlichkeit“ nur 20 Prozent der jungen Frauen wichtig ist. Mich lässt diese Zahl etwas fragend zurück. Was stellen sich die jungen Frauen, die nicht dafür gestimmt haben, unter „Männlichkeit“ vor? Den bösen, brachialen Mann, der darauf wartete, sich wie ein Bär im Wald auf sie zu stürzen oder den Patriarchen, der sie an den Herd fesseln will?
Beim Thema „Gendern“ ging der Trend bei den Männern in eine ähnlich konservativere Richtung. Nur 15 Prozent der Frauen lehnen das Gendern völlig ab, während es sich bei den Männern zumindest auf 31 Prozent beläuft. 21 Prozent der Frauen und nur neun Prozent der Männer waren eher dafür. 35 Prozent der Männer und 34 Prozent der Frauen war das Thema egal. Ich vermute, es wird in Schule und Uni so häufig die Relevanz von Gendern gepredigt, dass es viele einfach nur noch nervt und sie sich gar nicht mehr großartig damit auseinandersetzen wollen. Im Durchschnitt sind es dann doch eher Frauen, die mit woken Themen und dem Hang zum Gendern auffallen, was keine großartige Überraschung ist.
Bei der Frankfurter Allgemeinen titelte man mit folgender Überschrift: „Studie: Mehr junge Männer sehen sich politisch ,eher rechts‘“. Ich finde sie ein wenig zu reißerisch – zumal es sich lediglich um jeden Vierten (25 Prozent) handelt. In der Zusammenfassung der Studie auf Seite 16 heißt es sogar:
„Auf der anderen Seite positionieren sich gleichzeitig mehr männliche Jugendlichen als eher links oder links (2019: 38%; 2024: 41%). Und auch bei den weiblichen Jugendlichen ist eine etwas ausgeprägtere Positionierung im eher linken Spektrum feststellbar: von 44% im Jahr 2019 auf 51% im Jahr 2024.“
Der Inhalt des eben erwähnten Artikels zur Studie relativiert die Überschrift – das muss man der FAZ zugestehen. Über den Studienautor Mathias Albert wird berichtet:
„Einen pauschalen Rechtsruck unter jungen Leuten sehen er und sein Team aber nicht. Die Gesamtauswertung habe ergeben, dass sich Jugendliche im Mittel sogar ,leicht links‘ verorten würden, hieß es.“
Lieber Angst vor Krieg als vor Zuwanderung
Das politische Interesse junger Leute ist ingesamt angestiegen. Während 2019 noch 42 Prozent angaben, sich dafür zu interessieren, sind es 2024 bereits 50 Prozent. 51 Prozent gaben an, sich über Tagespolitik zu informieren, und 37 Prozent ist persönliches politisches Engagement wichtig.
Auch interessant ist die Berichterstattung des ZDF zur Studie. Die Überschrift lautete: „Generation Z: Besser als ihr Ruf?“ Im Teaser schrieb die Autorin unter anderem, dass die größte Angst der Jugend ein „Krieg in Europa“ sei. Wenn man den Zahlen Glauben schenkt, ist das formal keine falsche Aussage. Auf mich wirkt die Überschrift in Kombination mit dem Teaser allerdings so, als freute man sich heimlich darüber, dass die Jugend doch nicht so rechts sei wie vermutet und Angst vor einem Krieg schon mal besser wäre als Angst vor „Zuwanderung nach Deutschland“. Diese Zahl belief sich im Übrigen tatsächlich nur auf 34 Prozent.
Außerdem berichtete das ZDF, „dass Ängste je nach Bildungsgrad variieren. Jugendliche mit höherem Bildungsgrad sorgen sich vermehrt um das Klima, während für die mit mittlerem oder niedrigerem Bildungsgrad die wirtschaftliche Lage höhere Priorität hat. Jugendliche und junge Erwachsene mit niedrigerem Bildungsgrad sorgen sich vermehrt um Migration und Zuwanderung.“
Ja, weil Jugendliche mit höherer Bildung meist auch aus einem wohlhabenderen Elternhaus kommen und dementsprechend in ihren Wohnvierteln und sozialem Umfeld weniger mit tatsächlichen Problemen, wie finanziellen Engpässen oder kriminellen Migranten, konfrontiert werden. Sie haben also Kapazität, sich über den Klimawandel Gedanken zu machen.
Marie Wiesner, Jahrgang 1999 stammt aus Sachsen und ist gelernte Ergotherapeutin.