Henryk M. Broder / 27.05.2021 / 10:30 / Foto: Acgut.com / 32 / Seite ausdrucken

Sex im KZ

Am 17. Dezembert 1904 veröffenlichte Karl Kraus in der Nummer 171 seiner Fackel einen längeren Essay „Rund um den Schandlohn", über käuflichen Sex, die Moral der Freier und die Not der Prostituierten. Der Text fing mit diesen Sätzen an:

In München tagte neulich ein Kongreß zur Bekämpfung des Mädchenhandels. Der einzige praktische Vorschlag, den ein Major a.D. machte, fand große Beachtung: Die Besucher der Bordelle mögen die Mädchen schlecht bezahlen, dann würden diese die Lust, in die Etablissements zu gehen, bald verlieren. (Diese, nicht jene.) Der Münchener Blitzmajor macht Schule. Die Herren der Schöpfung wollen das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden, zugleich der Prostitution und der Prostituierten an den Leib rücken...

In Potsdam findet in Kürze ein Online-Seminar zu einem Thema statt, das „lange mit einem Tabu belegt" war, schreiben die Veranstalter in der Einladung, nämlich: Lagerbordelle. Sex-Zwangsarbeit in nationalsozialistischen Konzentrationslagern. Nun aber, 76 Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, können endlich die Fragen gestellt werden, die zu stellen sich bis jetzt niemand getraut hat. Wer waren die Frauen? Wie waren die Lebensbedingungen in den Bordellen und wie hoch ihre Überlebenschancen? Außerdem werden auch die Organisation des Bordellbetriebs und die Motive von Bordellbesuchern in dem Vortrag erörtert.

Ja, das sind wichtige Fragen. Wie mag der Bordellbetrieb organisiert gewesen sein? Gab es geregelte Arbeitszeiten, einen Betriebsrat, eine binäre oder eine diverse Personalstruktur? 

Zehn Jahre habe ein Berliner Historiker über das Thema geforscht, bis endlich feststand, dass die SS weibliche Häftlinge aus Ravensbrück und Auschwitz-Birkenau meist mit falschen Versprechungen oder unter Zwang für die Arbeit in den Lagerbordellen rekrutiert hatte. Wer hätte so etwas der SS zugetraut? Unter Zwang, mit falschen Versprechungen, das grenzt ja an Betrug und Nötigung! 

Nie war das Thema Lagerbordelle. Sex-Zwangsarbeit in nationalsozialistischen Konzentrationslagern wichtiger als heute, da uns Corona gefangen hält und wir nicht einmal auf einen Mokka in die Artemis-Bar dürfen. Und so freuen wir uns mächtig auf das Einstein-Forum am 1. Juni, bei dem die Herren der Schöpfung mit Hilfe einiger Damen das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden, zugleich der Prostitution und der Prostituierten an den Leib rücken werden, rein wissenschaftlich natürlich und unter Einhaltung aller Corona-Regeln.

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K. Reinhold / 27.05.2021

Mich würden vor allem die Motive der Bordellbesucher interessieren. Eine mögliche Antwort geht mir nicht aus dem Kopf: Mal abschalten vom stressigen Lageralltag und mal so richtig die Sau rauslassen.

G. Ruchowski / 27.05.2021

Ich habe schon lange das Gefühl, dass es zuviele “Forschende” gibt. Wirklich gute Leute, die eine Wissenschaft voran bringen, sind ja eher selten. Der Rest forscht so vor sich, gern über Themen, die außerhalb des engsten Fachgebiets niemanden interessieren, immer in der Hoffnung auf Festanstellung an einer Uni oder sonst irgendwo. Keine Zusammenfassung, die nicht weiter zusammengefasst werden könnte, keine Frage, die noch nicht gestellt, geschweige denn beantwortet wurde. Jedenfalls nicht in der nötigen Tiefe. Forschung im Leelauf. Das Problem betrifft auch nicht nur die Sozialwissenschaften. Nachdem beispielsweise vor Jahrzehnten der Urknall postuliert, Entschuldigung: bewiesen wurde, so durften wir bald erfahren, was in den ersten drei Minuten danach geschah. Beobachtet hat das niemand, aber macht ja nichts. Inzwischen erforschen einige Leute die Frage, was denn vor dem Urknall war. Dagegen ist die Erforschung der Arbeitsbedingungen in KZ-Bordellen doch sehr bodenständig.

Peter Brückl / 27.05.2021

Ist der Gipfel des Irrsinns schon erreicht? Ich befürchte nein! Wofür man heutzutage alles Zeit und vor allem Geld hat. Einfach Unglaublich!

Frank Mora / 27.05.2021

Dafür gibt es doch sicher einen Doktortitel. Für die Forschung.  

Mathias Rudek / 27.05.2021

Was Karl Kraus wohl über den aktuellen Zeitgeist gesagt hätte würde mich brennend interessieren. Der absolute Schwachsinn tänzelt auf Messers Schneide.

Stefan Leikert / 27.05.2021

Haha! Endlich! Das mit dem Tabu hätte ich gerne genauer erklärt Ausbeutung von Sklaven kann`s nicht sein. Ficken mit all seinen Aspekten und Möglichkeiten schon lange auch nicht mehr. Da fällt mir am ehesten ein Film zu ein: “Der Nachtportier”.???

Jörg Themlitz / 27.05.2021

Ja so ist das. Manche forschen 10 Jahre. Andere lesen das Buch “Ab heute heiße ich Margo” von Cora Stephan. Kürzlich ZDF ich glaube Historie oder so ähnlich, ( sorry hatte mich auf der Fernbedienung vertippt ) Eine Frau Dr. Historikerin ? ist jetzt zur Erkenntnis gelangt, bzw. man gelangt jetzt zur Erkenntnis, die NSDAP wurde von der Arbeiterschaft getragen. Was hat die bisher gemacht? War die schon mal in einer Bibliothek? Da kann man das nachlesen. Oder, ´wes Brot ich es, des Lied ich sing` und sie darf das jetzt erst sagen. Egal was, alles gleich verwerflich und einer Historikerin unwürdig.

Wolfgang Nirada / 27.05.2021

Kommt Mieschel Friedman auch??? Als Experte sollte der schon dabei sein…

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