Fabian Nicolay / 28.03.2018 / 06:15 / Foto: Thomas Edwards / 2 / Seite ausdrucken

Facebook-Wars (3): Aus Convenience wird Repression

Die Demokratie läuft Gefahr, von der „KI“ abgedrängt zu werden. Der Startbutton wurde schon gedrückt. Der Wechsel vollzieht sich auf technisch-medialer Ebene, aber auch im Zusammenwirken von Algorithmen und gesellschaftlicher Rückkopplung. Die verborgene Eigenschaft, sozusagen das revolutionäre Potenzial der Innovation, kann man jedoch als asymmetrische Information bezeichnen, weil die Gesellschaft bei Einführung der Technik von ihr keine Kenntnis hatte. Unbeabsichtigt führt die Gesellschaft also die asymmetrische Information zum Erfolg und muss sich zunächst mit kollateralen Effekten rumschlagen.

Die Pöbelei im Netz, antidemokratische Hetzereien, Verschwörungstheorien, Diskreditierung von Einzelpersonen und Diffamierung ganzer gesellschaftlicher Gruppen: Das sind die kollateralen Effekte, deren Eindämmungsversuche die nächste Phase der Eskalation einläuten: Die Social Media-Plattformen werden vom Gesetzgeber unter immens hoher Einzelfall-Strafandrohung verpflichtet, ihre Künstliche Intelligenz zur Eindämmung der missliebigen Erscheinungen anzuwenden.

Eine staatliche Instanz beauftragt also eine privatwirtschaftliche damit, einen algorithmen-gesteuerten Überwachungsapparat zu unterhalten, der eigentlich als der technische Verursacher anzusehen ist. Der Staat, der Kontrolle ausüben möchte, gibt diese sogleich wieder an die Unternehmensadresse ab, die erneut eine asymmetrische Informationslage erzeugt. Niemand weiß genaues nicht, nicht einmal Marc Zuckerberg, Jeff Bezos oder Larry Page.

Weder haben von Zensur, Sperrung oder Ausschluss betroffene Einzelpersonen Einblick in die Vorgänge, noch können staatliche Instanzen ihre durch die Gewaltenteilung vorgegebenen Pflichten erfüllen. Eine nachvollziehbare Umsetzung grundgesetzlich garantierter Rechte kann bei diesem Verfahren weder gewährleistet werden, noch ist eine zeitnahe juristische Bearbeitung möglich. Der „Apparat“ verselbstständigt sich, und der Gesetzgeber scheint die Erosion verfassungsmäßiger Rechte und Konstitution zu ignorieren oder als kleineres Übel hinzunehmen.

Facebook ist angezählt

Die Demokratie erleidet ohnehin Schaden, weil sie durch die skandalisierten Inhalte sich selbst diskreditiert und durch die Gegenmaßnahmen der jeweils Herrschenden zusätzlich dekonstruiert, also durch Zensur, Stigmatisierung und Einschränkung von Bürgerrechten. Solch ein Paradigmenwechsel manifestiert sich nicht schlagartig, sondern schleichend. Zunächst richten sich die Effekte gegen die Nutzer selbst, was aber eine paradoxe Situation erzeugt. Die Algorithmen der Convenience werden zu denen der Repression. Social-Media-Nutzer sind aber ein intelligenter Schwarm: Ein paar werden abgefischt, die anderen weichen aus und formieren sich neu. Das wissen auch Facebook und Co. Wenn dieses Dilemma nicht gelöst wird, führt es zwangsläufig zum Niedergang der einen oder anderen Plattform. Facebook ist angezählt.

Die Plattformen könnten ihre Nutzer ja auch nicht in großer Zahl ausschließen, ohne dass dabei das Medium selbst direkt Schaden nimmt. Der Selbsterhaltungstrieb des neuen Mediums wird sich letztlich gegen seine technische Einschränkung zur Wehr setzen müssen. Die gesetzlich vorgenommene Eindämmung von Hass-Tiraden mittels Zensur und Überwachung bei den Plattformen selbst kommt also dem Bock gleich, den man zum Gärtner macht.

Der Buchdruck konnte von der Katholischen Kirche übrigens nicht aufgehalten werden, weil seine Technik und Verbreitungsgeschwindigkeit erfolgreicher waren als die sozialen Repressionen. Der subversiven Verbreitung der protestantischen Idee standen die machthabenden Kleriker nur reaktiv gegenüber, genau wie die Gesetzgeber heute. Der Kollateral-Nutzen der Hochdruck-Technik mit beweglichen Lettern, nämlich die Bibel in „einfacher“ deutscher Sprache für alle lesbar zu machen und ihre Aussagen damit zu sozialisieren, war unbeabsichtigt viral und irreversibel erfolgreich.

Die beschworene Sozialromantik ist längst dahin

Der primär vorgegebene Zweck sozialer Netzwerke, das Konsumverhalten seiner Nutzer mit Algorithmen zu steuern und zu befeuern, um ihre Werbeaffinität sicherzustellen und ihr Kaufverhalten zu beeinflussen, gerät schon heute in den Hintergrund vor der Diskussion, wie mit den Algorithmen politische Manipulation betrieben werden kann.

Dem Manipulationspotenzial der Datensätze stehen die Reichweitenbeeinflussung und Zensurpolitik der Gesetzgeber als Antagonist gegenüber. Ob das Kräfteverhältnis ausgewogen ist, kann zum jetzigen Zeitpunkt niemand beurteilen. Jedenfalls ist beides Mist. Die Diskussion zeigt hingegen deutlich, dass Social-Media längst ein überwiegendes Politikum geworden ist. Die Sozial-Romantik, die Facebook noch immer so niedlich und beharrlich beschwört, ist längst dahin.

Die Frage ist: Welchen positiven Nutzen will eine demokratische Gesellschaft aus Social Media ziehen? Wenn sie den Diskurs wertschätzt, darf sie das harte Geraune im Netz nicht verängstigen. Wenn sie aber sicher gehen will, dass alles „gesittet“ zugeht – und es sieht danach aus, dass dies der eingeschlagene Weg ist –, dann muss sie zwangsläufig die Redefreiheit mit der Macht der Algorithmen einschränken und Sittenwächter installieren.

Wir müssen uns aber im klaren sein, dass auch eine Einschränkung der Freiheit der KI zu entsprechenden Schlussfolgerungen auf höherer Ebene verhilft. Auch Künstliche Intelligenz lernt dazu. Und Algorithmen werden die Stimmungslage „eingeschränkte Freiheit“ in irgendeiner spezifischen Form bewerten und verarbeiten, das ist sicher. Wird die KI also Neutralität behalten oder Einschränkung lernen müssen? Es scheint, als sei das entschieden.

Ende der Serie.

 

Facebook-Wars (1): Social-Media als Kampf-Roboter

Facebook-Wars (2): Das Medium als Aufheizer

Hier noch einmal zusammengefasst die zentralen Thesen, die in dieser Serie verhandelt wurden:

  • Der mediale Paradigmenwechsel mobilisiert nicht den Pöbel. Er sorgt für seine Unterdrückung.
  • Social Media ist der Lockstoff für humane Zielscheiben
  • Personalisierte Produkt-Werbung fördert politische Radikalisierung
  • Die Demokratie läuft Gefahr von der „KI“ abgeschafft zu werden. Der Startbutton wurde schon gedrückt.

Fabian Nicolay ist Kommunikationsdesigner in Berlin.

Einer der besten Vorträge zum Thema von Zeynep Tufekci 

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Leserpost

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Sven Kuchary / 28.03.2018

Bei weiterer Zensur werden sich die Menschen anders organisieren, z. B. dass jeder seinen Blog hat, und die Blogs bei “Freunden” Posts sammeln. Damit hat man die Verknüpfungen (das “soziale Netzwerk”) dezentral. Daten zur Werbung lassen sich dann wenige gut abschöpfen, Kehrseite: daher wird es wohl auch niemand kostenlos betreiben. Für Facebook bleiben dann die Katzenvideos.

Helmut Driesel / 28.03.2018

Ich denke, dass sowohl die “Steuerung des Konsumverhaltens” als auch die “politische Manipulation” der Rezipienten überschätzt werden. Es geht da zu chaotisch zu, als dass man mit kausalen Instrumenten zielgerichtet etwas erreichen kann. Das klappt vielleicht sporadisch das ein oder andere Mal. Beim nächsten Versuch wird es dann misslingen. An dem Tag, wo die Software aus der Zeitgeschichte lernen kann, was der Mensch nicht vermag, dann müsste der Mensch einen Schritt zurück treten und die Algorithmen machen lassen. Das sehe ich für die nächste Zukunft nicht.

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