„Ein Kluger bemerkt alles, ein Dummer macht über alles seine Bemerkungen“, hat Heinrich Heine mal gesagt. Ich verehre Heine, und so schmerzt es mich umso mehr, dass er mich zu den Dummen zählt; denn ich muss zu allem Möglichen meinen Senf dazugeben. Ich folge da eher Valentin Ludwig Fey, besser bekannt als Karl Valentin, von dem der Satz stammt: „Es ist [zwar] schon alles gesagt, aber nicht von allen.“
Apropos „meinen Senf dazugeben“: eine schöne Redensart. Sie soll seit etwa 1700 im Gebrauch sein. Damals war Senf ein sehr beliebtes Gewürz, Kult würde man heute wohl sagen. Sämtliche Wirte jener Zeit servierten deshalb, ob erwünscht oder nicht, ihren Gästen zu jeder Speise Senf. Da dies oft ebenso unpassend war wie ein unerwünschter Rat, bürgerte sich nach einiger Zeit die Wendung „seinen Senf dazugeben“ ein. In anderen Sprachen ist es nicht der Senf, sondern das Salzkorn (ajouter son grain de sel) oder eine unbedeutende Summe Geldes (add one’s two cents) oder irgendein „Stückchen“ (mettere la pezzetta) oder ein Stich (mettre baza) wie im Kartenspiel.
Eine Institution, die zu allem und jedem ihren Senf dazu gibt, ist die Kirche, in Sonderheit die evangelische. Manchmal, wenn sie sollte, schweigt sie allerdings, wie Henryk M. Broder kürzlich erfahren musste. So hat die EKD Union und SPD dazu aufgefordert, in den Koalitionsgesprächen 2013 den Blick stärker auf den Klimaschutz zu lenken. „Die Energiewende ist ein Projekt, auf das Deutschland sehr stolz sein kann“, sagte der EKD-Bevollmächtigte bei der Bundesrepublik Deutschland, Martin Dutzmann, in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst . Für den internationalen Klima- und Ressourcenschutz sei es entscheidend, dieses Projekt mit Nachdruck fortzuführen. Wenn man bedenkt, dass Petrus bekanntlich für das Wetter und damit wohl auch für das Klima verantwortlich ist, ergibt sich die Kompetenz der EKD für dieses Thema geradezu von selbst.
Benedikt XVI gab relativ scharfen Senf dazu
Prälat Dr. Dutzmann war nebenher übrigens noch evangelischer Militärbischof (von 2008 bis 2014). In dieser Eigenschaft hat er am 25. Januar 2010 mit dem Vorstand der EKD „Ein Evangelisches Wort zu Krieg und Frieden in Afghanistan“ veröffentlicht, das vor einem bloßen „Weiter so“ in der Afghanistanpolitik warnt. Dies würde dem militärischen Einsatz die friedensethische Legitimation entziehen. In der Schrift heißt es außerdem: „Eine Intervention mit militärischen Zwangsmitteln wie in Afghanistan muss von einer Politik getragen werden, die über klare Strategien und Ziele verfügt, Erfolgsaussichten nüchtern veranschlagt und von Anfang an bedenkt und darlegt, wie eine solche Intervention auch wieder beendet werden kann.“ Außer Dutzmann hatten noch Dr. Margot Käßmann als Vorsitzende des Rates der EKD („Nichts ist gut in Afghanistan“), Präses Nikolaus Schneider als Stellvertretender Vorsitzender sowie Schriftführer Renke Brahms, Friedensbeauftragter des Rates der EKD unterzeichnet. Friedensbeauftragter! Was es nicht alles gibt! Prof. Dr. Käßmann ist ja heute „Botschafterin des Rates der EKD für das Reformationsjubiläum 2017“, wie die offizielle Bezeichnung lautet. Da kommt also noch was auf uns zu.
Die katholische Organisation „Pax Christi“ konnte das evangelische Wort natürlich nicht unwidersprochen lassen, sondern musste ebenfalls ihren Senf dazu geben: „Unseres Erachtens steht diese Positionierung in eklatantem Widerspruch zu dem im Titel zum Ausdruck kommenden Selbstverständnis und Anspruch.“ Und: „Insgesamt ist festzustellen, dass die sieben Punkte des EKD-Worts in sich zwiespältig und inkonsequent sind. Im Besonderen wird in fünf davon der militärischen Option mehr oder weniger unverblümt oder relativierend auf ‚zivile Anstrengungen’ das Wort geredet wird. Zum Abschluss erscheint der militärische Einsatz auf eine Stufe gestellt mit zivilen Hilfs- und Aufbaumaßnahmen...Was das mit ‚Gottes Frieden’ der christlichen Botschaft tun hat, erschließt sich uns nicht; ebenso wenig ist nachvollziehbar, wie man auf diesem Weg ‚für gerechten Friede sorgen’ will. Wer diese Haltung auch noch mit Jesu Preisung des Friedenstiftens in der Bergpredigt zu begründen versucht, nimmt diese Ansage kaum ernst.“
Mein lieber Mann, das lässt an Deutlichkeit ja nichts zu wünschen übrig. Ja, und dann kam der Papst höchst selbst mit seinem „Evangelii Gaudium“, dem Spaß an der frohen Botschaft. Seine beiden Vorgänger hatten die Messlatte ja ziemlich hoch gehängt. Nachdem Johannes Paul II. schon den Koran geküsst hatte, war es für Benedikt XVI. natürlich nicht ganz einfach, da noch eine Steigerung rein zu bringen. Er versuchte es deswegen zunächst andersrum: Er gab relativ scharfen Senf dazu, indem er in seiner Regensburger Rede am 12. September 2006 den Islamgründer kritisierte, wenn auch nur dadurch, dass er eine Aussage des spätmittelalterlichen byzantinischen Kaisers Manuel II. Palaiologos (1350-1425) zur Rolle der Gewalt im Islam in einer Unterhaltung mit einem persischen Gelehrten zitierte: „Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten“. Oha, das stieß den Muslimen aber mächtig auf, so dass der Heilige Vater sich kurz darauf bei dem damaligen Chef der türkischen Religionsbehörde Diyanet, Ali Bardakoğlu, quasi entschuldigen musste: Da sei er natürlich gründlich missverstanden worden.
Das „Evangelii Gaudium“ Is halt a Mordsgaudi und der Papst a rechter Gaudibursch
Sein Nachfolger Franziskus verwendete deshalb von Anfang an süßen Senf. In „Evangelii Gaudium“ vom 24. November 2013 lobte er den Islam über den grünen Klee:
„252. In dieser Zeit gewinnt die Beziehung zu den Angehörigen des Islam große Bedeutung, die heute in vielen Ländern christlicher Tradition besonders gegenwärtig sind und dort ihren Kult frei ausüben und in die Gesellschaft integriert leben können. Nie darf vergessen werden, dass sie » sich zum Glauben Abrahams bekennen und mit uns den einen Gott anbeten, den barmherzigen, der die Menschen am Jüngsten Tag richten wird".
Die heiligen Schriften des Islam bewahren Teile der christlichen Lehre; Jesus Christus und Maria sind Gegenstand tiefer Verehrung, und es ist bewundernswert zu sehen, wie junge und alte Menschen, Frauen und Männer des Islams fähig sind, täglich dem Gebet Zeit zu widmen und an ihren religiösen Riten treu teilzunehmen. Zugleich sind viele von ihnen tief davon überzeugt, dass das eigene Leben in seiner Gesamtheit von Gott kommt und für Gott ist. Ebenso sehen sie die Notwendigkeit, ihm mit ethischem Einsatz und mit Barmherzigkeit gegenüber den Ärmsten zu antworten.
"253. Um den Dialog mit dem Islam zu führen, ist eine entsprechende Bildung der Gesprächspartner unerlässlich, nicht nur damit sie fest und froh in ihrer eigenen Identität verwurzelt sind, sondern auch um fähig zu sein, die Werte der anderen anzuerkennen, die Sorgen zu verstehen, die ihren Forderungen zugrunde liegen, und die gemeinsamen Überzeugungen ans Licht zu bringen. Wir Christen müssten die islamischen Einwanderer, die in unsere Länder kommen, mit Zuneigung und Achtung aufnehmen, so wie wir hoffen und bitten, in den Ländern islamischer Tradition aufgenommen und geachtet zu werden. Bitte! Ich ersuche diese Länder demütig darum, in Anbetracht der Freiheit, welche die Angehörigen des Islam in den westlichen Ländern genießen, den Christen Freiheit zu gewährleisten, damit sie ihren Gottesdienst feiern und ihren Glauben leben können. Angesichts der Zwischenfälle eines gewalttätigen Fundamentalismus muss die Zuneigung zu den authentischen Anhängern des Islam uns dazu führen, gehässige Verallgemeinerungen zu vermeiden, denn der wahre Islam und eine angemessene Interpretation des Korans stehen jeder Gewalt entgegen.“
Dass Franziskus die islamischen Terrorakte mit tausenden von Toten lediglich als „Zwischenfälle“ ansieht, mag die einen befremden, andere werden darin einen Beleg dafür sehen, dass er eben das große Ganze im Auge hat. Einem Bekannten, den diese Passagen sehr empörten, schrieb ich: „mit der Dummheit kämpfen bekanntlich Götter selbst vergebens, wie uns Friedrich Schiller in der Jungfrau von Orleans hinterlassen hat. Nun käme man schlecht damit an, den Stellvertreter Gottes auf Erden (bedenken Sie!) der Dummheit zu zeihen. Aber was ist es dann? Richtige Antwort: Diplomatie.
Vor ein paar Jahren habe ich einen Freund in Tübingen bewogen, uns einmal zusammen mit dem Stuttgarter Bischof Otfried July einzuladen, mit dem mein Freund gut bekannt ist. So geschah es. Mein (naiver) Hintergedanke: July für meine kritische Sicht des Islams zu gewinnen. Doch schon nach kurzer Zeit merkte ich, das ist gar kein Kirchenmann, das ist ein Diplomat. Was ist ein Diplomat? ‚Ein Diplomat ist ein Mann, der offen ausspricht, was er nicht denkt’ (Giovannino Guareschi, der Vater von ‚Don Camillo und Peppone’). Genauso verhält es sich mit dem Papst. Das kann man beklagen oder hinnehmen – ändern kann man es nicht. Immerhin: Der Titel des apostolischen Schreibens suggeriert: Is halt a Mordsgaudi das Evangelium, und der Papst a rechter Gaudibursch. Sehen Sie's doch einfach mal so. Dann wird's etwas erträglicher.“
Die muslimische Interpretation der christlichen Senfsauce
Die Muslimen nehmen die Sache schon ein bisschen ernster und lassen keinen Zweifel, wie ihre „angemessene Interpretation“ der christlichen Senfsauce aussieht. Der Text zu diesem Bild lautet:
Das Schwein, der Kirchgänger des Kreuzes
Er verehrt einen geschlachteten Affen auf einem Kreuz
Arglistig, abstoßend/böse
Ein verwünschter Teufel
Opfere ihn/enthaupte ihn
Möge der Fluch Gottes auf ihm sein
Verschütter und Sauger von Blut
Aber die so etwas schreiben gehören natürlich nicht zu den „authentischen Anhängern des Islam“, denn diese sind ja gegen jede Gewalt und würden nie dazu aufrufen, jemanden zu enthaupten, geschweige es denn tun. Andererseits sagen muslimische Quellen, der Gesandte Gottes höchst selbst, der ja „ein schönes Vorbild“ für alle Muslime ist (Sure 33,21), habe 43 Morde in Auftrag gegeben. Da soll noch einer durchblicken.
Aber vielleicht liegt das ja alles nur an diesen kleinen Punkten, von denen es Im arabischen Abdschad, also dem ABC, nur so wimmelt. Mal stehen sie über einem Zeichen, mal darunter. Ähnlich wie die lateinische Schrift nicht nur von den Römern bzw. den Italienern als ihren Nachfolgern geschrieben wird, sondern fast von allen Völkern der EU (Griechen und Bulgaren ausgenommen), wird auch das Arabische mitnichten nur von den Arabern geschrieben, sondern auch von Afghanen, Persern, Indonesiern und etlichen anderen. So kann im Persischen (Farsi) durch einen zusätzlichen Punkt zwar aus einer Mücke kein Elefant werden, wohl aber aus einem Elefanten Lärm (fi:l) ﻓﻴﻞ (ġi:l). ﻗﻴﻞ
Die Beispiele lassen sich beinahe beliebig vermehren und ehe man sich versieht, ist aus dem gesetzlich angetrauten Ehemann ein Busenfreund geworden, der wahlweise berühmt oder bedürftig sein kann, je nachdem ob der Punkt über dem „h“ oder darunter steht oder ganz fehlt.
Der choresmische Universalgelehrte Abu 'r-Raihan Muhammad ibn Ahmad al-Biruni (973-1048), ein Zeitgenosse Ibn Sinas/Avicennas („Der Medicus“), der gerne „In den Gärten der Wissenschaft“ (Reclam Leipzig 1991) wandelte, bekannte, dass es ihm lieber sei, „auf Arabisch beschimpft als auf Persisch gelobt zu werden“. Dabei dürften die Punkte, die so genannten diakritischen Zeichen, eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben. Denn, so al-Biruni: „Die arabische Schrift hat ... einen großen Mangel, nämlich die ähnliche Gestalt der paarweise vorhandenen Buchstaben und die Notwendigkeit der Unterscheidung durch diakritische Punkte und Vokalzeichen. Wenn man sie weglässt, wird der Sinn verdunkelt, und wenn dann noch das Vergleichen und Korrigieren nach der Vorlage vernachlässigt oder ganz unterlassen wird, und das ist bei unseren Zeitgenossen weit verbreitet, so läuft es auf eines hinaus, ob das Buch noch vorhanden ist oder nicht und ob man noch weiß, was darin steht oder nicht.“ (Hervorhebung von mir) Eine ganz erstaunliche Feststellung.
Senf heißt übrigens auf Arabisch ﺧﺮﺩﻝ (chardal). Setzt man den Punkt unter das ﺣ (h) wird daraus Eimer ﺟﺮﺩﻝ (dschardal). Wer also nicht aufpasst, wenn er seinen Senf dazu gibt, kann ganz schnell im Eimer sein.