Funklöcher und kein Internet gibts nur daheim in Deutschland, während man im Auslandsurlaub gut arbeiten kann? Fehlanzeige!
Frankreich ist ein sehr schönes Land mit teilweise sehr schönen Leuten, die alle französisch sprechen, wenn man Engländer oder Deutscher ist. Auch die Esskultur ist weltberühmt, und tatsächlich schmecken Froschschenkel (nicht zu verwechseln mit Froschenkeln) und Schnecken sogar sehr gut, wenn man sie in einer aggressiven Knoblauchsoße versenkt, die auch nach drei Tagen noch nachwirkt.
Außerdem gibt es lecker Wurst und Käse und Nüsse und Esskastanien, und wenn Deutsche und Franzosen nicht gerade Krieg gegeneinander führen – und nach dem Gang über den Hamburger Fischmarkt und dem Verkosten von frischem Matjes im Brötchen war Macron dicht dran – besuchen die Deutschen die Franzosen recht gerne, um Landschaft und Kulinarik zu genießen. Umgekehrt übrigens nicht.
Es gab also viele gute Gründe für den Schatz und mich, eine gute Freundin und Kollegin gemeinsam mit anderen Freunden in der Ardeche zu besuchen. Die 900 Kilometer riss auch der Datschia als Bewährungsprobe als Urlaubsauto gerne ab. Eine Herberge war auch bald gefunden, ein malerisches ehemaliges Hofgut mitten in der französischen Prärie, mit Frühstücksbrötchen, Panoramablick, einem Pool und – Internet. Und „Wireless Lan“.
Ober schlägt Unter
Nun begab es sich zu der Zeit, dass ich einen wichtigen Termin hatte, bei dem ein Skript mit zwei anderen Redakteuren zu besprechen war, das in 48 Stunden in Druck gehen sollte, danach hätte ich endlich auch Urlaub. In einem mitteleuropäischen Land mit der technischen Ausstattung mindestens des Saarlands sollte das nun wirklich kein Problem sein, in der touristischen Hochburg in den Bergen der Ardeche erst recht nicht.
Nach einem erlesenen Frühstück aus Wurst, Käse, Marmelade, Kaffee, Eiern, Butter, Baguette, Brioche und den unvermeidlichen Croissants (an dieser Stelle herzliche Grüße an meinen Diabetologen, wir haben Gesprächsbedarf) bin ich einsatzbereit. Notebook ist aufgebaut, Verbindung zum Wlan hergestellt – zwei Balken, obwohl ich direkt neben dem Repeater sitze – der wiederum ist im Internet eingeloggt. Wie daheim im Büro. Sehr schön. Der Konferenzanruf kommt mit einer knappen Stunde Verspätung, weil also, ja, uhm, ehm, irgendjemand muss immer etwas noch Dringlicheres erledigen.
Und weil das der Chef ist, schlägt Ober nun einmal Unter. So ist das Leben. C’est la vie. Wir starten also munter los und kommen gemeinsam ganz flott durch das Script, als ich „plötzlich und unerwartet“ nichts mehr höre. Keine Korrekturen, keine Verbesserungsvorschläge, nicht einmal ein Atmen. Gar nichts höre ich. Außer dem munteren Gesang der Vögel der Ardeche und dem Rasenmäher des Latifundienbesitzers unseres französischen Hofguts. Aber das bringt mich in der Besprechung so eher semi weiter.
„Avevudepetitdeschöner“
Ist das Wlan noch da? Ja, ist es. Eingeloggt bin ich, sowohl mit dem Handy als auch mit dem Notebook. Allein, dem Wlan fehlt das Internet. Ein Wlan ohne Internet ist wie ein Auto ohne Räder. Man kann zwar drinsitzen, aber es bringt einen nicht weiter. Was also macht der findige Tüftler? Er zieht das Kabel aus dem Repeater, wartet ein paar Sekunden und rebootet das System. Das klappt auch ganz hervorragend, das Wlan ist sofort wieder da, meine Geräte loggen sich folgsam ein, jedoch: Das hat kein Internet herbeigezaubert.
Wären wir im Lande der Teutonen, würde ich nun über Google auf dem Handy checken, ob die Telekom mal wieder Schluckauf hat, dann die Störungsstelle anrufen, mich nach zwanzig Minuten Warteschleife bitterlich beschweren, über die Warteschleife, die Warteschleifenmusik mit dem „DododoDiDong“-Jingle und der Magenta-Werbung und der Frage, ob ich schon den Online-Service der Telekom kenne, bei dem ich „bequem meine Rechnung einsehen könne“, dann natürlich über die Telekom selbst und zum Schluss über meine Ansprechpartnerin mit dem starken osteuropäischen Akzent. Dann würden die bei sich rebooten und mein Internet wäre wieder da. Oder auch nicht. Aber eigentlich wars dann immer wieder da, wenn das, was selten genug vorkommt, tatsächlich mal passiert ist. Die Telekom ist ja nicht die Deutsche Bahn.
Das ist in Frankreich etwas schwieriger. Zumal, wenn sich das eigene französische Repertoire auf den Satz „Avevudepetitdeschöner“ beschränkt. Ein Frühstück nutzt mir da herzlich wenig. Außerdem kenne ich ja nicht die Rufnummer, die Pin, den Einwahlcode, die Rechnungsnummer und die Kundennummer, die Schuhgröße, das Geburtsdatum, die Masterpin und den Mädchennamen des Haustiers und den Namen der ersten Großmutter meines Gastgebers. Hier ist also erst einmal Ende Gelände.
Gut. Oder vielmehr „nicht gut“. Eher blöd. Saublöd. Nun gibt es bekanntlich keine Probleme, sondern nur ungelöste Aufgaben. Die Stufen auf der Treppe zum Erfolg.
Höflich sind sie, die Gallier
Step 1) Den Chef anrufen, um ihm mitzuteilen, dass mein Internet hier abgeraucht ist. Ein, wie ich meine, im Europa des 21. Jahrhunderts recht einfacher Vorgang – sofern es ein Funknetz gibt. Gibt es hier, mitten in den Bergen der Ardeche, aber eher so nach dem Zufallsprinzip. Mein Handy findet ein Funknetz von einem obskuren Anbieter namens „Bree“, den aber nur mit einem winzigen Bälkchen. Das reicht, um einen französischen Notruf abzusetzen, falls mein Blutdruck neue, ungeahnte Höhen erklimmt, das reicht aber nicht, um eine Person im fernen Almanistan anzurufen. Ich laufe also, wie 1999, die kleine Gasse vor dem Höllengehöft auf und ab und winke eifrig mit dem Handy. Ein Bauer auf einem etwas entfernten Traktor winkt zurück. Höflich sind sie, die Gallier.
Zwischen einem Gullideckel und einem wirklich malerischen Brünnchen habe ich tatsächlich drei Balken, aber die nur dann, wenn ich das Handy im 45 Grad Winkel nach oben halte und am Polarstern ausrichte. Leider komme ich so aber nicht auf die „Anrufen“-Taste. Ich kann mein Handy hier nur als Geigerzähler für ein bestehendes Funknetz benutzen. Nach dem Motto: „Ja, ist da, aber nicht für Dich.“
Ich kann aber das Funknetz auf „Vert“ wechseln, dann lese ich zwar „Vert“, habe aber gar keinen Balken. Und „LTE“ kann ich kurz hämisch aufflackern sehen, bevor es wieder verschwindet. Hier kommen wir also maximal mit Rauchzeichen weiter, von denen ich nicht weiß, ob sie im fernen Stuttgart gesehen werden.
Step 2) Ich gehe zum Vermieter dieses abgeschiedenen und intimen Etablissements und erkläre mein Problem: „Linterrnätteseperdü“. „Wui“, sagt er, „seperdü“ und ich glaube, er meint damit, dass wir soeben eine Meta-Diskussion über Essensbilder auf Facebook und die Postings von Sawsan Chebli auf X führen. Ich probiere es mit „Lintärrnetsemalade“ und er antwortet „Wuitremalade“. Ja doch! Warum ich nicht den Sprachübersetzer von Google nehme? Ja, weil ich kein Internet habe, Ihr Helden! Ich versuche es mit „The Internet is gone, no connection“, und er sieht mich an, als wäre ich ein fliegendes Schwein. Wozu haben Engländer und Amerikaner eigentlich die Franzosen befreit? Und warum?
Wenn sich eine Tür schließt, geht irgendwo Windows auf
Letzter Versuch, wieder in der angeblichen Landessprache: „Intärrnetadisparü“. Jetzt fällt der Centime! „Ah, wuiseseparee.“ Ja. Gut. Bien. Bon. Und was machen wir jetzt mit dieser Information, wir beiden Hübschen? Nudöscholli? Ja nichts. Er zuckt mit den Schultern und sagt: „Ilreviandräsörtelnmon“, was so viel wie „ist mir kastanienwurstegal“ bedeutet. Er lächelt. Und ich habe das leise Gefühl, Klaus Schwab hat morgens bei ihm angerufen und so etwas wie „dreh dem Idioten das Internet ab“ gesagt.
Step 3) Ich kenne ja Leute in Frankreich. Auswanderer. Gar nicht so weit weg. Etwa zehn Kilometer entfernt. Eine Distanz, die ich mit dem Datschia und bei den in der Ardeche herrschenden Straßenverhältnissen locker in dreißig Minuten schaffe. Ich könnte die ja anrufen beziehungsweise kann ich ja nicht, mich ins Auto setzen und einfach dort hinfahren, mich vor der Türe aufklappen und um elektronisches Asyl bitten. Wenn – ja wenn ich denn ein Auto hätte! Das hat nämlich der Schatz, der damit zu irgendeinem Supermarsché gefahren ist, um Klopapier und einen Schweinskopf oder was weiß ich käuflich zu erwerben. Und anrufen und um sofortigen Rückzug bitten, kann ich sie in dieser Funknetzdiaspora ja auch nicht. Alternativ kann ich auch zehn Kilometer laufen, dann wäre ich gegen Abend dort. Vielleicht. Wenn ich’s finde und wenn meine Asylgewährenden auch anwesend wären. Wären sie es nicht, stünde ich mutterseelenallein ohne Funknetz in der französischen Walachei und könnte mich auf eine urige Nacht im Freien oder einer Scheune freuen. Wenigstens wäre es Anfang Mai, selbst in der Ardeche gibt es da nur selten Bodenfrost.
Es blüht alles schon so schön hier. Die Vögel singen. Ein Franzose mäht auf seinem Traktor eine Wiese. Warum auch immer. Die Menschen sind freundlich und entspannt. Und haben kein Datum und keine Deadline mit irgendeiner Firma, die auf ihre Vorlagen wartet, um weitermachen zu können. Ich verliere soeben einen Auftrag. Aber ist das nicht immer so im Leben? Wenn sich eine Tür schließt, geht irgendwo Windows auf. Das kann ich mir jetzt ansehen. Mit einem Kaffee in der Sonne sitzend, wissend, dass ich es selbst schuldlos komplett verkackt habe. Ich rauche einen Zigarillo. Und esse ein Stück Landwurst mit Kastanien drin. Das Leben ist schön. Lawieäbell.
Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.(Weitere kabellose Artikel des Autors unter http://www.politticker.de)