Henryk M. Broder / 16.02.2007 / 16:42 / 0 / Seite ausdrucken

„Selig sind, die reines Herzens sind“ - Friedrich Schorlemmer auf Teneriffa.

Natalie Lazar in der Zeitung “Teneriffa Nachrichten” über einen Besuch des Wittenberger Theologen und Bürgerrechtlers auf der Sonneninsel:

Er schart seine Jünger um sich. Die Reisegäste sind angehalten worden, doch bitte schweigsam aus dem Bus zu steigen und die knapp siebenhundert Meter ins Innere der Caldera andächtig und wortlos zu beschreiten. Leises Flüstern ist nicht zu vermeiden, auch können die von manch einem mitgebrachten Klappstühle nicht völlig tonlos auseinandergefaltet werden, Füße scharren. Endlich sitzen doch alle auf mehr oder weniger dafür gedachten Vorrichtungen. Der Klarinettist, auf zwei Steinblöcken sitzend, bläst mit nicht ganz lautlosem Atem in sein Instrument und in die Stille. Eine besondere Atmosphäre liegt allenthalben über der Versammlung. Der Teide ist der tatsächlich Verschwiegenste aller Teilnehmer, und steht nicht nur örtlich über allem. Laut und gewichtig verkündet Schorlemmer, in ein braunes, mit der Landschaft harmonierendes Wildleder-Jackett gekleidet, seine Worte. Nein, eigentlich ist es Martin Luthers Übersetzung des Matthäusevangeliums aus dem Jahre 1534. Und nun verkündet ein Wittenberger die archaischen Worte. Wohl macht sich „das Salz der Erde“ in diesem kargen Naturszenarium gut aus, „Selig sind die Friedfertigen!“ klingt es mit Luther durch die Stille. Wer wird da schon so kleinlich sein und bedenken, dass diese Worte von einem Theologen ins Deutsche übertragen wurden, dessen glühender Antisemitismus alles andere als friedfertig war. „Lasst Euer Licht leuchten!“ mahnt es von dem biblischen Berge herab ins Hier und Jetzt in die Nachbarschaft des höchsten Bergs Spaniens.

Darauf versteht sich Friedrich Schorlemmer gut, er bringt sich in den richtigen, wichtigen Rahmen unter leuchtender Januarsonne. Die Umhersitzenden lauschen andächtig. Nach der Lesung gibt es Weißbrot und Wasser, den deutschen Urlaubern schmeckt es, die würzige Bergluft tut ihr übriges.

Die Suche nach Halt, nach Trost, nach Leitlinien und zelebrierten Feierlichkeiten ist wohl ein menschlicher Zug. Nachdem die sonntägliche Predigt beendigt ist, darf geplaudert werden. Die gemeinschaftliche Inszenierung wird gelobt, Wortfetzen über Religion, über selbst gestrickte Versionen der Weltauslegung, über Begeisterung an den erbaulichen Worten durchhallen die Cañadas und gehen in dem strahlenden Blau des lau-frischen Himmels Teneriffas auf.

Wer ist dieser Mann, der da die Menschen um sich schart? Der Theologe und Publizist Dr. h.c. Friedrich Schorlemmer, Jahrgang 1944, ist bereits zum zweiten Mal auf Teneriffa gewesen. Dieses Jahr hat er zusammen mit Thomas Rosenlöcher eine vierzehntägige Reise begleitet - und sich sogar nebenbei noch erholt, „denn die Sonne hier gibt einem viel!“ lacht er hinter seiner Brille.

Schorlemmer - eine schwer einzuordnende Figur.

Manch einer kann ihn kaum ertragen, andere sind wieder ganz begeistert von dem Theologen, der sich immer wieder in politische Bereiche wagt und sich einmischt. „Zivilcourage“ fordert er von sich und seinen Mitmenschen, denn sie ist „die Grundtugend einer Demokratie.“ Und ferner solle jeder „nach Vermögen Gutes tun.“

Große Vorbilder sind ihm (neben dem Reformator Luther) der Bürgerrechtler Martin Luther King Jr., Gandhi, Mutter Theresa oder Mandela. Sie alle gelten ihm als Beispiele, „dass Christus in unserer Welt lebendig ist“. Er präzisiert: „Das waren glaubende Menschen, die Religion nicht wieder zur Herrschaftsideologie machen wollten.“ Und auch wenn der Protestant sonst für die Katholiken nicht nur Gutes im Munde führt, lobt er die 2003 ausgesprochenen warnenden Worte des Johannes Paul II. vor dem Irakkrieg: „Krieg ist immer eine Niederlage der Menschheit!“

„Ich möchte Frieden mit friedlichen, aber aktiven Mitteln, ,Leben und leben lassen‘“ oder wie er mit Albert Schweitzer sagt: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“

Friedrich Schorlemmer sucht nach einer Synthese zwischen Religion und Politik. Und dies nicht nur aus Anlass der derzeitig politischen Ereignisse, sondern „auch um sich selbst zu vergewissern: Aus welchen Wurzeln leben wir?“. Politik ist ihm der Versuch, menschliche Beziehung zu zivilisieren – wer mag, kann einen Anklang an Hobbes Leviathan heraushören, denn belesen ist er, der Studienleiter der Evangelischen Akademie Wittenberg. Religion, so Schorlemmer, wirke in diesem politischen Versuch als Ferment, wenn sie nicht in Versuchung gerät, Herrschaft ausüben zu wollen. Ein guter Gottesdienst als Praxis der Religion soll den Menschen läutern, ihm die Wahrheit über sein Verhalten und Versagen mitteilen, doch ihm auch Hoffnung bringen. Und diese Hoffnung wurzelt in der Botschaft, die Schorlemmer als sein Glaubensbekenntnis frischweg aus seinem Buch „Woran du dein Herz hängst… Politisches Handeln und christlicher Glaube“ (erschienen im Herder-Verlag 2006) zitiert. Wichtig ist ihm, dass man nicht „an“ etwas glaube, sondern jemandem glaube: „Nach allem, trotz allem glaube ich ihm/Jesus aus Nazareth, Menschensohn/Bruder/Heiland.“ – so definiert er seinen persönlichen Christusglauben.

Und dann kommt Schorlemmer in Fahrt. Er kritisiert die „irreversible Zerrüttung“, die wir Menschen im vollen Gange betreiben. Moses und das Alte Testament halten ihm passend den Herrschaftsauftrag des Menschen parat: die Erde zu bebauen und zu bewahren. Da sei doch `was schief gelaufen bis jetzt. „Jeder gläubige Mensch, egal aus welcher Religion,“ davon geht Schorlemmer aus, „ weiß im Grunde, was gut ist.“ 
Was ist das Gute? Jedenfalls nicht das derzeitige „parasitäre Verhalten des Menschen“.

Wortgewandt weicht Schorlemmer jeglicher Konkretisierung aus und orientiert sich an aktuellen politischen Themen, ohne zu sehr in die Tiefe zu gehen. Er

kritisiert das lästerliche Beten eines George Bush, die „Mac-Donalds-Geschmacksverirrungen“ unserer Zeit, das Problem „Armutsfalle“, greift zwischendurch mit Predigerstimme zu Effekt haschenden Charakterisierungen des „furztrockenen“ Inselsüden Teneriffas - wobei allerdings dieses Mikroklima durch und durch natürlichen Ursprungs ist und nicht auf den menschlichen Wasserverbrauch zurückzuführen ist (Anm. N.L.) - und, wortgewaltig und mit den notwendigen unterstreichenden Gesten und sprachlichen Pausen, resümiert er: „Die Welt braucht ein einendes Prinzip, oder sie fährt in den Orcus!“ Religion also als einendes Prinzip? Das klingt utopisch.

Während Schorlemmers Worte über Glauben und Religion für einen Atheisten doch eher befremdlich sind, klingen andererseits seine – wenn auch sehr allgemein gehaltenen - Aussagen über die großen Probleme und Fragen unserer Zeit plausibel, zumindest gängig. Und wer kann sich heute schon leisten, den Klimawandel nicht zumindest zu erwähnen, egal ob nun kritisch oder nicht? Niemand wird Verletzungen von Menschenrechten für Gut heißen. Dass Migrationsfragen angegangen werden müssen, steht jeden Tag in der Zeitung.

Doch, Gretchenfrage, nun sag, wie steht es denn mit der eigenen politischen Vergangenheit?

Schorlemmer bedenkt sich. Natürlich habe ihn die DDR geprägt. Zwar kritisiert er die „Beglückungsideologie“, die hinter der doch „richtigen, ausgewachsenen Diktatur“ gestanden habe, doch erkennt er auch die theoretischen, die „großen Ziele“. Jener Staat habe in ihm Fragen über Gerechtigkeit, Reichtum und Armut aufkommen lassen, Antworten habe er bei den alttestamentarischen Propheten gesucht. Und er schließt, dass einen 45 Jahre in einem System wohl oder übel formen. „Vor allem dann,“ erklärt er, „ wenn man widerstehe, ohne ganz und gar zum Feind zu werden.“ So viel zur Vergangenheit. Und die Zukunft?

„Aktiv bleiben“ wolle er, solange die eigenen Kräfte das erlauben und es Menschen gibt, die ihm zuhören möchten. Sein Wunsch: „Wir brauchen in Zukunft eine globale Grüne Bewegung zum Erhalt dieser wunderbaren Schöpfung.“ Sein Hauptaugenmerk werde sich auf ökologische Fragen richten, betont er. Und er fügt erklärend hinzu: „Das bin ich meinen fünf Enkelkindern schuldig.“

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