Jesko Matthes / 10.01.2020 / 11:20 / Foto: Pixabay / 20 / Seite ausdrucken

Selfies mit Seehofer

Kennen Sie Horst Seehofer? Ja? – Dachte ich auch erst. Kennen Sie Anatol Marco Josepho? Nein? – Macht nichts, ich kannte ihn auch nicht. Bis mir mein Vater davon erzählte, dass er schon als junger Mann in Berlin Selfies machen konnte, denn etwa ab 1890 gab es dort automatische Bosco-Ferrotypien, und ab etwa 1926 vollautomatische Fotos in Schwarzweiß. Damals standen die ersten Fotoboxen in Berlin, zunächst auf Jahrmärkten, dann bald auch in U-Bahn-Stationen, wo auch ich sie bis in die 1980er Jahre noch sah, beispielsweise am U-Bahnhof Walther-Schreiber-Platz. Dann verschwanden die Dinger und tauchten erst später wieder auf, und wieder sah ich sie zuerst auf dem Dresdner Striezelmarkt und zuletzt sogar als mobile Fotokabine auf einer ziemlich großen privaten Party. Die Gäste, auch ich, machten alberne Selfies und klebten sie in ein bereitliegendes Gästebuch, und es war Sommer.

Anatol Marco Josepho also erfand das Ding, die automatische Fotobox, den „Photomaton“. Josepho war ein sibirischer Jude aus Omsk, der ab 1912 in Berlin, den USA und in Budapest als Fotograf arbeitete, 1917 aus Russland über China in die USA flüchtete und dort in New York den ersten Selfie-Automaten aufstellte. Eine Karriere wie Erwin Lottemann mit seiner Herrenboutique in Wuppertal, mag man denken. Weit gefehlt! Er, also der Automat, entwickelte acht kleine Fotos in acht Minuten für 25 Cent. Allerdings benötigte er ein bis zwei gut gekleidete Techniker in Glacéhandschuhen für seinen Betrieb. Schon der erste Automat hatte 280.000 Kunden bis Frühjahr 1927. Seit Erfindung der Fotografie bis zum ersten Sofortbildautomaten waren noch keine neunzig Jahre vergangen. 1928 verkaufte Josepho seine Erfindung für den damals unglaublichen Betrag von einer Million Dollar an Henry Morgenthau sr., einen Mannheimer Juden und ehemaligen US-Botschafter bei der Hohen Pforte. Aha: Fotos hatten schon sehr früh mit Politik, mit Juden und mit Migration zu tun. Das ist sehr verdächtig! Sie raten folgerichtig: An der Stelle kommt Horst Seehofer ins Spiel.

Ein Joint mit Horst – und ein Gesetzentwurf

Plant der geniale Bundesinnenminister – im Frieden bekanntlich mit der schweren Bürde des Schutzes der deutschen Außengrenzen und der inneren Sicherheit zugleich belastet – doch tatsächlich, Josephos gute alte Box in digitaler Form in jedem Einwohnermeldeamt aufzustellen, wo wir gemäß seinem Gesetzentwurf demnächst unsere Selfies für Personalausweis und Reisepass machen dürfen, natürlich unter Aufsicht einer gestrengen Amtsperson. Letztere – hoffentlich – standesgemäß gekleidet in Cut und Glacéhandschuhen. Die Begründung klingt plausibel: Öffnen doch die heutigen digitalen Passbilder – egal ob vom Fotografen  oder selbst gemacht, der digitalen Manipulation Tür und Tor. So ließen sich die biometrischen Merkmale zweier Personen fusionieren, also beispielsweise meine Frau – die Ärmste – mit meiner Nase, und dann könnte sie oder könnte ich oder Einmann oder gar eine Männergruppe wirklich und wahrhaftig unter falscher Identität einreisen! Unvorstellbar! Ist hierzulande noch niemals nicht passiert! Und lag – falls es in völlig unbedeutenden Einzelfällen doch passiert sein sollte – ganz bestimmt an dem Foto auf dem Reisedokument; nur dass dieses das Seehofersche Hoheitsgebiet irgendwie dann doch nicht erreicht hat, während die mehr – oder vielleicht auch weniger – zugehörige Person seither munter ihre Fotos morpht oder kombiniert und dann in die Ferien nach Idlib, Aleppo, Hadramaut, Kundus oder Babylon-City fliegt und unter gleicher, anderer oder mangelnder Identität wieder zurückkehrt. Geht ja gar nicht! Wehret den Anfängen! – Aber, zugegeben, diese Fälle sind ja noch völlig harmlos: Wenn erst Reichsbürger auf die Idee kämen, sich ihre Reichszugehörigkeit mit gefälschten Fotos selbst zu bestätigen oder Björn Höcke mit den Ohren von Herbert Grönemeyer, Alice Weidel mit den Augen – und gar in den Klamotten – von Claudia Roth nach Moskau, auf die Malediven oder nach Damaskus reisen oder... Greta Thunberg mit den Zöpfen von Pippi Langstrumpf sozusagen einen gemorphten Foto-Joint macht, bevor sie mit ihrem Optimisten illegal den Hafen von Konstanz anläuft… nicht auszudenken! Auf deutschem Boden darf nie wieder ein Joint ausgehen!

Wie bekifft muss man eigentlich sein, um… Äh ich wollte natürlich sagen: Lieber Horst – es geht auch einfacher. Verbiete einfach den ganzen digitalen Mist. Stell den guten alten analog-russisch-jüdischen „Photomaton“ vors Kanzleramt und Dich selbst als Servicetechniker daneben, aber bitte im Frack, und natürlich mit Glacéhandschuhen und Deinen sechs Sicherheitsbeamten vom BKA, zu meinem Schutz. Denn ich wette, es kommen mehr als 280.000 Kunden am ersten Wochenende. Ich auch. Ich nehme Dich gern mit in die Kabine, da bin ich dann auch ganz kuschlig ohne gemorphten Joint – kommt morphen eigentlich von Morphin? – mit einer Amtsperson zusammen gut drauf, und wir sind beide voll im Bilde. Und dann lassen wir uns einen gemeinsamen Reisepass machen, mit dem können wir beide einreisen, Du sogar nach Bayern, wenn der Joachim, also der Bayerische Innenminister, Dich reinlässt. Aber dann: biometrisch und fälschungssicher: Bitte nicht freundlich. Klick. Und ab damit ins Fixierbad!

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Hjalmar Kreutzer / 10.01.2020

Die Dänen haben schon länger eine lebenslange ID-Nr. für Sozialversicherung, Steuern, Meldewesen.  (Jung, Elmar: „Alles wegen Dänen“). In D dann irgendwann alles noch viel mehr mit Hightech, zusätzlich bargeldlose Zahlung, Abbuchung GEZ (ganz wichtig für die Demokratie!) und ggf. Lokalisation - alle ab Entbindung gechipt, tärowiert für evtl. sehr seltene Stromausfälle und entwurmt, nee maserngeimpft. Brave new world !

S. v. Belino / 10.01.2020

Man fragt sich unwillkürlich, welche Lobby da nun wieder dahinter stecken mag. Ansonsten herzlichen Dank für einen superwitzigen Artikel. Wie schön, dass es dann und wann doch noch was zum Lachen gibt…

Frank van Rossum / 10.01.2020

Herr Seehofer sollte unbedingt einen Blick in das Regierungsprogramm(zu finden auf Bundesregierung.de) werfen. Zum Thema “Bürokratieabbau” heißt es u.a.: ” Sie(die Bundesregierung) verfolgt ein Ziel: u.a.: ...Weniger Zeitaufwand und weniger Kosten, sowohl für die Wirtschaft und die Verwaltung als auch für die Bürgerinnen und Bürger”. Aha. Es könnte sich aber auch um eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme handeln: Beschaffung von Hard- und Software, Beschulungen und ggf. sogar die Ausweisung neuer Planstellen. Was sagt eigentlich die “Fotografen-Zunft” zum Verlust eines Geschäftsfeldes?

Petra Wilhelmi / 10.01.2020

Und was will uns dieser Artikel sagen? Ich weiß es nicht. Ist das jetzt ein Weinen, weil wir keine Digitalfotos beim Fotografen machen können, die der auch missbrauchen kann. Und wo gibt es noch Fotostudios? Der IKK konnte ich selbst gemachte Bilder digital schicken. Die AOK kann auch, falls Passbilder nicht vorhanden, Passbilder machen. Bei der Einreise in Japan gibt man seine Fingerabdrücke ab und wird in einem Rutsch auch gleich am Flughafen fotografiert. Es gibt Schlimmeres. Fälscher konnten auch VOR den digitalen Fotos Reisepässe und alle anderen Pässe fälschen. Kriminelle sind immer sehr geschickt.

Michael Lorenz / 10.01.2020

Gerne hätte der Horst sich um die Sicherheit der Landesgrenzen gekümmert. Aber er kann doch auch nicht alles auf einmal - erst muss er den verstärkten Kampf gegen Rechts fertig haben, vorher auch noch die Sache mit den unsicheren Passbildern - ach, der arme Horst weiß doch gar nicht, wo er anfangen soll bei so einer Aufgabenflut. Irgendwann kommt er sicher dazu, sich um die Landesgrenzen zu kümmern, versprochen. Aber wie auch immer - unerklärlich bleibt wohl bis zu einer Diplomarbeit zu dem Thema, warum wir Wähler immer wieder unsere Stimme für solche Blitzbirnen abgeben ... da wäre ja das Kreuzchen bei der Spaßpartei oder den Bibeltreuen Christen ehrenhafter! So gesehen kann der Horschtl gar nichts für sein Totalversagen - wir aber schon ...

Ilona Grimm / 10.01.2020

Na klar, wenn man die Grenzen nicht dicht kriegen will und Hinz und Kunz und Ali und Mohammed ungehindert ins Land kommen können und ihre Rundumversorgung in Anspruch nehmen dürfen, kommt nicht nur der Horsti auf die abstrusesten Ideen, um evtl. besorgte Bürger von ihren Sorgen abzulenken. -//- Im Dezember habe ich einen neuen PA beantragt, das Prozedere ist inzwischen voll digitalisisiert. Mein Foto stammt vom Fotografen, und es dauerte ewig, bis mein Kopf in der richtigen Position war und ich mein Dauergrinsen abgestellt hatte. Gemorpht (Falten geglättet o.ä.) hat er nicht. Die diversen Unterschriften im Rathaus musste ich auf einem schräg gestellten Tablet leisten; das Ergebnis hat mit meiner tatsächlichen Unterschrift ungefähr 1% Ähnlichkeit. Wenn wir es mit den Fotos auch so handhaben, brauchen wir gar keine Pässe/Ausweise mehr, dann genügt ein Daumenabdruck. Das wäre echter Fortschritt und eine kolossale Einsparung von Personal und Material.

Klaus Biskaborn / 10.01.2020

Herrlich! Ja unser Horst der sorgt sich um die Sicherheit dieses Landes damit niemand mit gefälschtem Passbild ein- oder ausreist. Eben ein toller Innenminister.

Andreas Rochow / 10.01.2020

Dieser köstlich schelmische Beitrag dürfte so ziemlich das Beste sein, das Seehofer in seiner Amtszeit ausgelöst hat. Die Umnutzung überflüssig gewordener Telefonzellen in Horstomaten - ich krieg mich nicht mehr ein! Immerhin wäre durch den personellen Aufwand der Missbrauch der Häuschen als Pissoir unerkannt nicht mehr möglich. Mit einem Datenschutz, der die Verwertung biometrischer Daten zur Feststellung der Identität eines Einreisenden, eines Asylbewerbers, eines Flüchtlings, eines Migranten, eines Schuldners oder Beihilfe-Antragstellers so exzessiv BEGRENZT, muss man sich aber etwas gaaanz Neues und gaaanz Sicheres einfallen lassen. Mit einem amtlichen Hohlogramm (abgeleitet von Hologramm!) im PA können wir uns überall als Vorreiter ausweisen. - Apropos Morphing: Mich nerven Ansagen wie: “Eben, als Du SO gemacht hast, hast Du ausgesehen wie Deine Mutter!”

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