Peter Grimm / 19.11.2020 / 08:34 / Foto: Rudolf Wildermann / 199 / Seite ausdrucken

Selbstentmachtung unter Wasserwerfer-Begleitung

Egal was wir machen, es entsteht Schaden. So ungefähr sagte es Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in der Debatte im Deutschen Bundestag zum sogenannten Dritten Bevölkerungsschutzgesetz. Mit der Rede, aus der dieses Zitat stammt, sollte er immerhin um die Zustimmung zu einem Gesetz werben, das ihm Vollmachten verleiht, wie noch keinem Minister zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Er kann jetzt beispielsweise theoretisch die Bewegungsfreiheit der Bürger mittels Reiseverboten, Grenzschließungen oder Ausgangssperren einschränken. Nur durch ministerielle Anordnung könnte also mal Landesarrest und mal Hausarrest verhängt werden, es muss nur irgendwie mit dem Corona-Virus zu tun haben. Auch Kontaktverbote, Geschäftsschließungen, die zwangsweise Stilllegung des gesamten Kulturbetriebs und andere Restriktionen aus dem inzwischen ja hinlänglich bekannten Ausnahmezustands-Instrumentarium können auf der Grundlage einer einfachen Regierungs-Verordnung verhängt werden. Die Parlamente in Bund und Ländern müssen nicht mehr gefragt werden, dieser Entmachtung haben Bundestag und Bundesrat mehrheitlich zugestimmt, indem sie die Regierungen zu derartigen Maßnahmen ermächtigt haben.

Weil im Gesetz zwei Dutzend Mal vom „ermächtigen“ die Rede ist, lag das böse Wort vom Ermächtigungsgesetz einfach zu nahe, so dass die Gesetzes-Unterstützer die Chance bekamen, ihren Kritikern den Missbrauch historischer Assoziationen zur Zeit des Nationalsozialismus zu unterstellen. Und weil viele Deutsche, die auf dem Gebiet öffentlich geführter Debatten zu Hause sind, falsche NS-Vergleiche ebenso lieben wie die Verurteilung derselben, gibt es schon mal einen schönen Nebenkriegsschauplatz, auf dem man gefahrlos seit Jahrzehnten liebgewonnene Sprechblasen verwenden kann.

Hier soll selbstverständlich nicht mit 1933 assoziiert werden, wir konzentrieren uns lieber ganz auf 2020. Und da bleibt festzuhalten, dass eine solche parlamentarische Selbstentmachtung in der deutschen Nachkriegsdemokratie etwas Außerordentliches ist. Bei solch einem außerordentlichen Gesetzesvorhaben hätte man als zuschauender Wähler oder wählender Zuschauer eigentlich auch eine außerordentliche Debatte im Deutschen Bundestag erwartet, mit vielleicht wenigstens etwas argumentativer und rhetorischer Bilanz. Doch obwohl es immerhin um etwas so Wichtiges wie den Umgang mit den Grundrechten der Bürger ging, blieb die Debatte in der Zweiten Lesung dieses Gesetzes eher auf Ramsch-Niveau, weitgehend bestehend aus Textbausteinen vom Wühltisch. Da gab es leider nur gelegentliche, also regelbestätigende Ausnahmen.

Die Kraft der Fraktionsdisziplin

Gesundheitsminister Jens Spahn – immerhin einer der machtpolitischen Hauptgewinner des neuen Gesetzes – hatte diesbezüglich allerdings keine solche Ausnahme zu bieten. Die Regierung brauche bei diesem Virus eine gewisse Flexibilität und dazu die nötigen Instrumente. Zu begründen, warum nach einem de facto bald acht Monate in verschiedenen Graden herrschenden Corona-Ausnahmezustand dieses Gesetz plötzlich im Eiltempo durch die Instanzen gebracht und in Kraft gesetzt wurde, hielt er nicht für nötig. Warum auch? Auf die Kraft der Fraktionsdisziplin kann man sich bei Union und SPD offenbar immer noch verlassen, wozu sich dann noch mit Argumenten mühen? Zudem die Grünen, die sich ja als Regierungspartei im Wartestand verstehen, in dieser Zweiten Lesung zwar noch etwas Kritik am Entwurf übten, aber zur Zustimmung aufriefen. Opposition wollte die Partei an dieser Stelle nicht mehr sein. Viel lieber möchte ihre Führung vielleicht ab nächstem Jahr selbst mit solchen Gesetzen und weitreichenden Pauschalvollmachten regieren.

Das Muster eines „Persilscheins für die Exekutive“ – wie ein CDU-Abgeordneter, der sich nicht der Fraktionsdisziplin unterwarf, das Gesetz beschrieb – lädt jede Regierung zur Nachahmung ein. Unter Verweis auf das „erfolgreiche“ Corona-Beispiel kann diese Kompetenz-Verschiebung zulasten der Grundrechte der Bürger durch einfache Regierungsmehrheiten auch in Bezug auf weitere gefühlte oder tatsächliche Notstände Anwendung finden.

Während nun das neue Gesetz mit schwarz-rot-grüner Mehrheit beschlossen wurde, gab es in der Nähe des Reichstags, am Brandenburger Tor, eine Begleitung durch Demonstranten gegen den Corona-Ausnahmezustand und eine Polizei, die demonstrieren wollte oder sollte, dass sie konsequent gegen maskenverweigernde Protestierer vorgeht. Während im Reichstag debattiert wurde, mühte sich die Berliner Polizei, die Demonstration am Brandenburger Tor mittels Wasserwerfern, Pfefferspray und zahlreichen Festnahmen aufzulösen.

Zwar haben der Berliner Innensenator und der Regierende Bürgermeister diesen Einsatz gelobt, doch als Zuschauer von Fernsehbildern und Live-Streams bin ich als Ex-Berliner und Neu-Leipziger durchaus dankbar, dass die hiesige Polizeiführung auf Deeskalation setzte und friedliche Demonstranten trotz Verbots und Maskenlosigkeit am 7. November durch die Stadt ziehen ließ.

Sanfte Wasserwerfer

Dem medialen Zaungast der Demonstration lieferten die Medien quasi erwartbare Bilder und Interpretationen. Öffentlich-rechtliche Sender, wie der rbb, verwiesen darauf, dass Neonazis, NPD-Funktionäre und Rechtsradikale anwesend waren, unterlegten das mit Bildern von Udo Voigt und Jürgen Elsässer im Demonstrationsgeschehen und insinuierten, dass Rechtsextreme das Geschehen maßgeblich bestimmten. Außerdem wurde von Angriffen auf die Polizei berichtet.

Folgte man dem Livestream von Boris Reitschuster, sah man ein etwas anderes Bild: Vor allem gewaltfreie Normalbürger-Demonstranten, die der Staatsgewalt in Form der Berliner Polizei ausgesetzt waren.

Wie bei Reitschuster war auch bei der zeitweisen Live-Übertragung von Welt-TV zu sehen, dass aus der Menge der Demonstranten heraus Festgenommene von mehreren Beamten gewaltsam zu Boden gedrückt wurden. Immerhin – so versicherten Polizeiführung und Politik – sei der Wasserwerfereinsatz eher sanft gewesen. Statt mit hartem Strahl hätte es an diesem Novembertag eher einen dichteren Nieselregen gegeben. Es dauerte jedenfalls lange, bis die Polizei die Demonstranten vom Brandenburger Tor vertrieben hatte. Ein Teil der Protestierenden war dann noch vor das Schloss Bellevue gezogen, wo ja der Bundespräsident das Gesetz mit seiner Unterschrift in Kraft setzte. Auch dort sorgte, den Bildern zufolge, ein massives Polizeiaufgebot für eine Auflösung.

Berliner Prioritäten

Man kann das als konsequente Durchsetzung geltenden Rechts verstehen. Doch wenn man den Maskenzwang durchsetzen will, weil die Menschen von dieser einen Atemwegserkrankung bedroht sind, die die Welt in diesem Jahr in Atem hält, dann drängt sich die Frage auf, ob in der zweiten Novemberhälfte eine Wasserwerferdusche auf eine von der Polizei zusammengedrängte Menschenmenge dem Gesundheitsschutz wirklich dienlich ist.

Außerdem gibt es in Berlin so einige Orte, wo die Polizei geltendes Recht entweder nicht mehr durchsetzen darf, nicht mehr will oder nicht mehr kann. Als ein Beispiel sei hier nur der florierende Drogenhandel im Görlitzer Park genannt.

Aber Berlin setzt halt seine Prioritäten. So wie Jens Spahn auch seine Prioritäten setzt und dazu erklärtermaßen die Vollmachten des neuen Gesetzes wünscht. Und was erwartet die Bürger?

Auf den Anfang hat uns Angela Merkel ja schon am Montag nach ihrer Konferenz mit den Ministerpräsidenten vorbereitet: schärfere Kontakt- und vielleicht Reiseverbote. Allerdings wissen wir noch nicht, ob sie durch einen neuen Bund-Länder-Beschluss oder auf den neuen Verordnungswegen verhängt werden.

Auf alle Fälle kann man bei dieser Regierung sicher sein, dass sie diesen Machtzuwachs ausnutzen wird. Nach dem, was etliche Verfassungsrechtler sagen, könnte das Gesetz als verfassungswidrig vom Bundesverfassungsgericht gekippt werden. Aber reicht es, darauf zu hoffen?­

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Matthias Strickling / 19.11.2020

Wird dann das Gesetz bei der nächsten Grippewelle Anwendung finden -  und bei der Übernächsten? - -Und bei den dann darauffolgenden ? Und bei einer drohenden Schweinegrippe? - - und bei eine Vogelgrippe HNXXX ? Also Masken, Beschränkungen etc. for ever.

Franck Royale / 19.11.2020

Für die Grünsozialisten war das ein innerer Reichsparteitag, eine Grünpause zur Durchsetzung radikaler klimapolitischer Ziele wenn sie regieren. Sie brauchen nur noch den Klimanotstand ausrufen, und schon hängt das Volk in den Ketten. Das ganze Land lahm legen, totale Überwachung des privaten und öffentlichen Raums, Verbrauchs- und Abgaswerte werden von jedem einzelnen Bürger in der Regierungs-Cloud gespeichert, Zwangsenteignungen von Verbrenner-Autos und nicht isolierten Häusern, und so weiter und so fort. Alles zum Schutz der Bevölkerung, alles für die gute Sache.

Peter Woller / 19.11.2020

Was wir zeitgleich zum Willkürgesetz in Deutschland gerade erleben, ist eine öffentliche Hetze gegen die Maßnahme-Kritiker, wie es sie seit 1945 nicht mehr gegeben hat. In vorderster Front steht hier die “Hamburger Morgenpost”. Was diese MoPo da auf ihren Titelseiten an Hass und Hetze raushaut, ist schon kriminell. Ich überlege ernsthaft, über Anwälte für Aufklärung und über Klagepaten gegen dieses widerliche und ekelerregende Hetzblatt MoPo vorzugehen. Diese MoPo-Leute sind keine Journalisten, sondern Erfüllungsgehilfen der Hölle. Sie müssen sich für jedes böse Wort, was sie öffentlich geschrieben haben, verantworten. Und die Polizei ist für mich seit gestern mein persönlicher Feind.

Klaus Schmid Dr. / 19.11.2020

Glaube schon dass wegen Corona wirkungsvolle Maßnahmen abgebracht sind - wenn man aber dann den Söder mit seiner recht wirkungslosen Bayern-Maske sieht da er sich offenbar weigert eine richtige FFP2-Make aufzusetzen dann zweifelt man schon wie der Mann Prioritäten setzt.

Eugen Karl / 19.11.2020

Vergleiche mit 1933 sind verboten? Warum eigentlich? Das ist doch nur eine absurde Korinthenk***erei, die daran glaubt herumnörgeln zu können. Das Parlament hebt die Gewaltenteilung auf, d.h. de facto regiert Merkel mit quasidiktatorischer Vollmacht, und zwar unbefristet und ohne den Zustand von harten Fakten abhängig gemacht zu haben. (Es reicht fürderhin nicht mehr eine objektiv feststellbare Pandemie, sondern allein die subjektive Befürchtung, es könnte zu einer solchen kommen.) Glaubt einer ernsthaft, Merkel sei ein Cincinnatus, der seine Macht freiwillig zurückgibt? Nein, die Vergleiche mit 1933, die ja keine Gleichsetzungen sind, werden völlig zu recht gezogen. Und wenn diejenigen, die unser Land gestern ausgeliefert haben, sich deswegen naserümpfend empört zeigen, so gilt hier mehr als irgendwo das Diktum Karl Krauss’: “Was trittt, trifft auch zu.”

Hans-Peter Dollhopf / 19.11.2020

“Also hier soll selbstverständlich nicht mit 1933 assoziiert werden, wir konzentrieren uns lieber ganz auf 2020.” Es stimmt, dass die AfD-Abgeordneten nicht sofort nach der Abstimmung verhaftet und in die Lager gebracht wurden. Aber der Rückblick auf das, was ab 1933 geschah, erfolgt ja auch aus einem Abstand von circa 90 Jahren. Der Rückblick auf den 18. November 2020 erfolgt mit dem Abstand von 1 Tag und den soll man bekanntlich nicht vor dem Abend loben. Anders als 2020 ist, dass 1933 die EU nicht den Ton vorgab, in dem dieses Parteienherrschaftssystem auf alle Fälle seine Zukunft weiß. Übrigens stammt aus jener Epoche noch ein anderes interessantes Wort: Gleichschaltung. Die Bedeutung der Worte bleibt, die Umsetzung in Politik erfolgt aber nach moderneren Methoden. Nur das Wort Bluthund lautet nun Bludhündin: “Der Staat muss zeigen, wer in diesem Land das Gewaltmonopol hat.”

A. Iehsenhain / 19.11.2020

Jens Spahn - da war doch noch was im Restaurant…und das stand sogar im Süddeutschen Beobachter! Aber vielleicht fliehen die Viren ja wieder schneller aus ihm raus, weil seine Körpertemperatur immer konstant bleibt. Ich habe mir Boris Reitschusters Livestream angeschaut - ein Teil der Polizei scheint angewidert vom eigenen Einsatz zu sein, während der andere wie im Rausch ins Getümmel drischt. Gestern konnten einem wirklich beide Seiten leidtun. Im Parlament roch es indes wohl nach Lachgas, nachdem die Bundesrohrkrepierer sich ihr vorzeitiges Weihnachtsgeschenk endlich besiegeln lassen konnten; und auf den Ordnungsämtern haben die Hilfssheriffs sicherlich auch die Sektkorken knallen lassen.

Walter Barth / 19.11.2020

Als sich Orban im April solche Zugeständnisse hat geben lassen, war das Geschrei EU-weit ganz groß komischerweise.

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