Sehr geehrte Frau Anetta Kahane von der Amadeu Antonio Stiftung,
die Regierung ist für mich da und passt auf mich auf, das weiß ich jetzt sicher. Die Regierung hat Heiko Maas gesandt und er hat Ihre Stiftung auserwählt, auf meine Sprache aufzupassen und dafür zu sorgen, dass sich schlimme Schmierfinken Hände und Mund mit Seife auswaschen müssen, wenn sie verbotene Worte schreiben oder aussprechen und eine falsche Meinung vertreten. Ich habe ihre Broschüren über „Hate-Speech“, „Hetze gegen Flüchtlinge“ und anderes gelesen. Puh, das war ein hartes Stück Arbeit, denn, wenn ich ehrlich bin, haben mich schon damals in der DDR die Werke über dialektischen Materialismus und Klassenkampf fürchterlich gelangweilt.
Sie müssen wissen, ich bin Blogger und verbringe einen großen Teil meiner Freizeit damit, Texte zu verfassen, die ich einfach so, ungefragt, in die Welt hinaus poste. Ich lasse vorher nicht mal meine korrekte Gesinnung überprüfen, unfassbar! Gerade frage ich mich, wer mir das eigentlich erlaubt hat und ich muss ehrlich eingestehen: niemand. Das muss sich ändern!
Ich bin entsetzt über meine Dreistigkeit! Vielleicht schade ich anderen Menschen durch meine Schreiberei an Leib und Seele, womöglich helfe ich bei der Ausrottung des Bibers, beschleunige die Erderwärmung oder wegen meiner Texte konnte ein Arzt aus Karthum seinen Schlepper nicht bezahlen. Da, schon wieder! Ich kann es einfach nicht lassen. Ständig mache ich solche schnippischen Vergleiche. Warum ich das tue? Keine Ahnung! Schließlich bin ich nicht Jesus, der vom Gleichnis lebte. Ich könnte behaupten, das wäre eben mein spezielles Touret-Syndrom, …aber das nimmt mir beim Schreiben niemand ab. Sorry. Ihre Mitarbeiterin Julia Schramm schrieb am 8.Juli in einem Tweet „Soziale Medien sind der Ort, wo sich alle mal so fühlen können, als würden sie den Sturm auf die Bastille gerade anführen.“ Ich laufe wohl in die falsche Richtung, während viele andere geradewegs in den Abgrund rennen. Oder war ein weiterer Julia-Schramm-Tweet „Heute sind wir Kanzleramt, morgen brennt das ganze Land.“ anders gemeint? Ich bin verwirrt, Ihre Mitarbeiter sagen im Internet Sachen, die ich nicht mehr nachvollziehen kann. Ich muss mich dringen einer Gesinnungsüberprüfung unterziehen.
Kritik, Selbstkritik, Beichte
Ich trennen meinen Müll, zahlen meine Steuern und habe noch nie an eines der Windkrafträder gepinkelt, die sich bei mir in der Nähe drehen. Das wäre doch schon mal etwas Positives, vielleicht wird mir das ja angerechnet. Denn jetzt kommt’s: Ich kritisiere die Regierung! Und die EU! Ich halte beide für komplett unfähig, fehlbesetzt und gefährlich. Ich glaube, dass Deutschland der Eiertanz in der Flüchtl…pardon Geflüchtetenkrise gewaltig auf die Füße fallen wird. Und ich glaube, dass Deutschland die Gefahr, die vom politischen Islam ausgeht, fahrlässig verniedlicht, kleinredet, wegdiskutiert und unter einem Hefeteig aus political correctness erstickt. Ich glaube, dass viele (nicht alle) der Schreie, die Sie als Hate-Speech einordnen, von Menschen kommen, denen dieser Hefeteig gerade über Ohren, Nase und Mund kriecht. In all dem sehe ich eine existenzielle Gefahr für ganz Europa.
Wie ich aber in ihren heiligen Schriften gelesen habe, kommt Hate-Speech ausschließlich von Rechts. „Hate-Speech“ ist gewissermaßen das neue „Nazi“ – und wer möchte schon gern Nazi sein. Wie damals, als wir Kinder waren und „Cowboy und Indianer“ spielten. Alle wollten Indianer sein. Denn Indianer waren gut – der Cowboy war Ausdruck des amerikanischen Imperialismus. Irgendwas muss da also zwischenzeitlich mit meiner Gesinnung durcheinander geraten sein. Ich bin offensichtlich sowas von am Arsch! (Das darf ich doch sagen, wenn es mich selbst betrifft?) Ich brauche eindeutig Hilfe. Hilfe von Ihrer Stiftung!
Dabei war ich mal eindeutig ein Linker, also ein Guter per Definition, ehrlich. Eigentlich müsste ich heute sowas wie der Pate von Katja Kipping sein. Oder deren Redenschreiber (was den Reden vielleicht gut tun, aber todsicher zu Kippings Parteiausschluss führen würde). Ich bin vom richtigen Weg, dem Linken Weg, abgekommen, sehr früh schon. Damals gab es noch zwei deutsche Staaten, ihre jungen Mitarbeiter werden sich daran nicht mehr erinnern – Sie vielleicht schon. Als vor dem ersten Golfkrieg die guten, linken Menschen im wiedervereinigten Deutschland auf die Straße gingen, um gegen den bevorstehenden Krieg zu demonstrieren. Als sie für den sympathischen Diktator Saddam Hussein und gegen den Aggressor USA auf die Straße gingen und „Kein Blut für Öl“ und „Hände weg von Kuwait, Bush“ brüllten, bekam ich eine Ahnung davon, das Hate-Speech und Dummheit zwei Seiten einer Medaille sind. Und Dummheit zu verbieten…was soll ich sagen. Der Rhein fließt zur Nordsee, da kann man mit Gesetzen auch nichts dran machen.
Ich wurde Mittelfinger und brauche dringend Ihren Segen
Links war ich also nicht mehr, Rechts konnte ich unmöglich hin, blieb nur die Mitte. Schön bequem möchte man meinen, ist es aber nicht. Also wurde ich nicht „Mitte“, sondern nur Mittelfinger und deshalb brauche ich nun dringend Ihren Segen, Ihr Plazet, Ihr Qualitätssiegel! Retten Sie mich davor, falsche Meinungen zu haben und diese mit den sprachlichen Mitteln zum Ausdruck zu bringen, die mir zu Gebote stehen! Dafür ist Ihre Stiftung doch da, stimmt’s?
Helfen Sie mir, meine Leser vor meinen Texten zu schützen. Prüfen Sie alles, seien Sie gnadenlos mit mir! Da Sie die Regeln für Hate-Speech erlassen haben, werden Sie doch sicher ein Bewertungssystem haben, mit dem Sie eine "Correct-Speech-Plakette" vergeben können! So wie die Umweltplaketten für Autos. Blau, die ganz neuen, sind natürlich für einen Ex-Linken Diesel-ohne-Partikelfilter-Blogger wie mich unerreichbar. Nur Merkel, Maas, Sie und ein paar Auserwählte können sich damit schmücken. Aber ein richtig harmloser Text, dem vielleicht nur der eine oder andere verordnete Genderkorrektissimus fehlt, der kann doch sicher noch Grün erhalten. Und bei so ein bisschen Pöbelei, kommen Sie. Da drücken Sie vielleicht mal ein Auge zu, wenn einer meiner Vergleiche Sie vielleicht sogar zum Lachen gebracht hat. Dafür gibt’s vielleicht gerade noch Gelb.
Aber da sind ja noch meine EU- und islamkritischen Texte, die Sachen, die ich über andere Kulturen, Flüchtlinge und die Zukunft unseres Landes geschrieben habe. Ich weiß auch nicht, was mich da geritten hat. Es muss der Klassenfeind von früher gewesen sein, denn die Opposition war es sicher nicht – es gibt ja keine. Fast wie früher, stimmt’s? Außerdem muss ich nach Ihrer Definition eine schlimme Form von „Islamhass“ haben, denn ich habe Sarrazin und Broder gelesen und ich habe sogar Artikel geschrieben in denen ich behauptete, dass der Islam nicht zu Deutschland und die Türkei nicht in die EU gehört. Ich dachte eigentlich immer, dass mir Religion prinzipiell völlig schnurz ist, solange sie mich nicht belästigt. Aber was weiß ich schon! Sie sind vom Staat mit der Diagnose meiner Gesinnung beauftragt worden, ich verlasse mich da ganz auf ihr Urteil. Denn ich weiß ja, Sie wollen nur mein bestes. Ach, jetzt habe ich ganz vergessen, mich anonym anzuzeigen, wie Sie das ja in ihren Schriften empfehlen. Ich hoffe, das zählt trotzdem.
Deshalb nochmal meine dringende Bitte: untersuchen Sie meine Texte und stellen Sie mit bitte ein Meinungs- und Sprachunbedenklichkeitszertifikat aus.
Geheimes Zusatzprotokoll
Ich frage mich gerade, ob ich meiner Vernichtung vielleicht entgehen kann, wenn ich mich als freiwilliger Mitarbeiter bei Ihrer Stiftung melde. Das muss aber unter uns bleiben, mehr als „inoffizielle Mitarbeit“ (IM) ist nicht drin. Jedoch möchte ich nicht nur freie Hand beim Definieren von Kriterien für das Löschen von Einträgen. Ich will mehr Macht, ich will User sperren. Vernichten! Ein „Like“ an einem Hate-Speech-Artikel, den ich dafür halte, reicht mir schon, um mir auch Freunde und Familie des Spaßvogels mal genauer anzusehen. Da kann doch was mit Erziehung und Umfeld nicht stimmen, womöglich war der Bruder mal auf einer AfD-Kundgebung und hat sich nie davon distanziert…? Sperre für Alle, lebenslang! Oder gleich Ausweisung, irgendwohin, den „Westen“ gibt’s ja leider nicht mehr. (Wir könnten das Saarland nehmen.) Ich sage Ihnen, wenn Sie mir erst mal Macht geben, wird vielleicht doch wieder ein echter Linker und guter Mensch aus mir. Dann werde ich gemeinsam mit Julia Schramm den Klassenkampf ausrufen und auf der Seite der Guten sein, nicht nur auf der Achse derselben. Ich will auch fette Vorschüsse für meine Texte von Verlagen kassieren und diese dann kostenlos an alle guten Menschen verschenken. Nimm das, Rowohlt – erstick dran, Suhrkamp! Denunzianten an die Macht!
Soundtrack zum Text: Lied der Partei
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt hier