Eine tatsächlich liberale Partei wird in diesem Land mehr denn je gebraucht. Die FDP wird es aber nicht sein.
Die FDP. Die Liberalen. Seit Äonen Regierungspartei, Koalitionspartner, kleinster von Dreien. Und nun:
Ergebnis Bayern: 3,0 Prozent
Ergebnis Thüringen: 1,1 Prozent
Ergebnis Sachsen: 0,9 Prozent
Ergebnis Brandenburg: 0,8 Prozent
Was müssen die mittlerweile anders wählenden Wähler eigentlich noch tun, damit die Damen und Herren im Hans-Dietrich-Genscher-Haus aufwachen? Es liegt in der Natur der Sache, dass, wenn Wähler unzufrieden mit den Regierungsparteien sind, sie diese bei Land- und Bundestagswahlen abstrafen und sie hier und da ein paar Prozentpunkte verlieren lassen. Ist zwar ärgerlich, aber meistens reicht es ja doch noch für ein paar Sitze und, mit etwas Glück, sogar für das eine oder andere Ministeramt, je nach Koalition.
Selten oder sogar noch nie wurde jedoch eine Regierungspartei so derart pulverisiert, ja, geradezu vernichtet, wie die FDP. Selbst die monothematische Tierschutzpartei hat in puncto Wählerstimmen die FDP hinter sich gelassen, die es teilweise nicht einmal mehr in die Wahlkampfkostenerstattung (ab 1 Prozent geht’s los) schafft. Die ganzen Kandidaten, die Freiwilligen, die Parteimitglieder, die Helfer, die sich die Wochenenden bei Parteiversammlungen, Klausurtagungen und Strategiebesprechungen um die Ohren geschlagen haben – nicht nur alles für die Katz’ der Tierschutzparteien, sondern für nichts. Auf den Seiten der FDP bei X und Facebook herrschen teilweise nicht einmal mehr Spott oder Häme. Lediglich die Gartenpartei wird noch mehr ignoriert, aber auch nur deshalb, weil sie bei X keinen Internetauftritt hat.
Die FDP nur noch bekifft ertragen
Hängt es mit dem Programm der FDP zusammen? Eher nicht, das Programm ist gut. Das sind allerdings der Koran und die Bibel vom Grunde auch. Die Frage ist, wie das Programm gelebt wird. Und da sehen die Wähler einen Finanzminister Lindner, der sich höchste Mühe gibt, seine Finanzen einigermaßen zusammenzuhalten, sie sehen einen Kubicki, der sich solchen Witzgesetzen wie dem Selbstbestimmungsgesetz durch Enthaltung verweigert oder erst Kritik an der Nominierung ausgerechnet von Ferda Ataman zur „Antidiskriminerungsbeauftragten“ übt und dann ihrer Ernennung zustimmt, oder einen Justizminister Buschmann, der der Zensur- und Regulierungswut seiner Partner nichts entgegenzusetzen hat. Immerhin wurde Cannabis freigegeben, eine gute Nachricht für alle, die die FDP nur noch bekifft ertragen können.
„Besser gar nicht regieren als schlecht regieren“, hat Christian Lindner einst als Parole ausgegeben und, sehr zu meiner Freude, die Sonderungsgespräche 2017 platzen lassen. Nur, um sich 2021 ausgerechnet an SPD und Grüne anzukuscheln, denn – so die interne Kommunikation – „der Wähler hätte kein Verständnis dafür, wenn wir uns einer erneuten Regierungsverantwortung verweigern.“ Doch, dafür hätte „der Wähler“ Verständnis gehabt. Die FDP hat sich 2021 für beides entschieden: Sie regiert nicht, und das auch noch schlecht.
Es ist schlicht eine Charaktersache, sich nicht mit einer Partei wie den Grünen ins Regierungsbett zu legen, die seit ihrer Gründung nichts anderes tut, als die FDP zu beschimpfen und zu bekämpfen. Mit so jemandem koaliert man nicht, niemals, unter keinen Umständen. Das ist auch eine Sache des Stolzes. Intern war die Koalition an einer Regierung mit Grünenbeteiligung höchst umstritten – allerdings nur bei denen, die keine Dienstwagen und Versorgungspöstchen zu erwarten hatten und die lieber eine liberal-konservative FDP als eine Liberalala-Partei mit männlich gelesenen Politikern und schelmisch gelesenen Politikersterncheninnen gesehen hätten.
Zwischen Hammer und Amboss
Es gibt mittlerweile keinen Ausweg mehr für die zur Splitterpartei abgewrackte FDP, die in den Wahlergebnissen vier Klicks braucht, um unter „Sonstige“ ihr Ergebnis zu finden. Lässt sie die lustig-bunte Koalition platzen, werden sie von links und den Medien beschimpft, weil sie das tolle „Zukunftsprojekt Ampelregierung“ haben implodieren lassen, würgt sich die FDP bis zum Ende der Legislaturperiode durch, werden ihr das ihre paar Restwähler nicht verzeihen und lieber AfD, Union oder gar nicht wählen.
Die FDP steckt zwischen Hammer und Amboss und die natürliche Reaktion dürfte sein, dass die Abgeordneten der FDP, völlig losgelöst von der Verantwortung für das Land oder ihre eigene Partei, sich bis zum Ende der Legislaturperiode durchhanswursteln, um wenigstens in den Genuss von ein paar Privilegien für Ex-Abgeordnete zu kommen. Oder, anders, „die Ratten bleiben auf dem sinkenden Schiff“.
Schade um die FDP, schade um die vielen Mitglieder unten an der Basis, die immer mit Herzblut und immer mehr mit Magengrummeln dabei waren und sind. Aber auch das ist Teil der Wahrheit: Sie haben die Buschmänner und Kubickis in die Ämter und in die Kandidaturen gewählt. Teilweise wider besseres Wissen und wider das eigene Gewissen. Das haben sie jetzt davon. Totgesagte leben zwar bekanntlich länger, aber hier reden wir nicht einmal mehr über 4,8 Prozent-Zombies, sondern über zu Staub zerfallene Skelette.
Selbst schuld. Lebwohl, FDP. Gründet Euch lieber neu und unter anderem Namen und fangt noch einmal ganz von vorne an. Denn eine tatsächlich liberale Partei wird in diesem Land mehr denn je gebraucht.
Thilo Schneider, Jahrgang 1966, freier Autor und Kabarettist im Nebenberuf, LKR-Mitglied seit 2021, FDP-Flüchtling und Gewinner diverser Poetry-Slams, lebt, liebt und leidet in der Nähe von Aschaffenburg. (Weitere Nekrologe des Autors unter www.politticker.de)
Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.