Seien Sie unsolidarisch!

Geht es Ihnen auch so schlecht, weil Sie unsolidarisch sind? Ja, Sie haben richtig gehört. Sie sind unsolidarisch! Nicht nur, weil sie keine SPD, Linke, Grüne oder Merkel-Union wählen – geschenkt. Zwar ist das auch ganz schön unmoralisch, aber schlimmer ist etwas anderes: Ihr Denken ist das Problem. Ja, machen wir uns nichts vor, Sie denken falsch! Komplett daneben, richtig kreuzdoof. Denken Sie solidarisch, verdammtnochmal, weil sonst sterben Menschen! Wachen Sie endlich auf, Sie herzloser Omakiller. 

Sie werden es glauben oder nicht – viele glauben es, weil sie es erlebt haben – aber die obigen Schilderungen sind mir und Bekannten in den mehr oder weniger groben Schattierungen widerfahren. Das andere Denken wird zum Problem. Und seit sich Jens Spahn de facto für #nocovid ausgesprochen hatte, freilich ohne es zu nennen, wird es deutlich: Nach Ostern geht es in den Lockdown. Denn aktuell haben wir ja nur einen Shutdown. Diese semantische Spitzfindigkeit hat insofern einen humorigen Part, da gleiche Oberlehrer bei anderen zu unterscheidenden Vokabeln wie „rechts“, „rechtsextrem“, „rechts-x“ gar nicht so differenzieren. Aber das nur am Rande. Seien Sie sich bewusst: Regierungskritisches Denken wird zum Problem. Sie denken falsch. 

Das erkannte auch Anne Will und unterließ auch in der diesjährigen Audienz mit Königin Angela entsprechend die kritischen Fragen. Zum Glück bekommt die Kanzlerin nicht genug PR aus den öffentlichen Funkanstalten. Aber es geht ja um mehr. Keiner will unsolidarisch sein. Sie etwa? So schaffte Jogi Löws DFB-Elf im Sedationskick gegen Rumänien eine kleine Sensation. Die Mannschaft schlug doch tatsächlich das Kanzler-Interview in der Kategorie „Unterhaltung“. Es geschehen noch Zeichen und Wunder. 

Wer ist schon gegen Solidarität? Das ist für Gewalt gegen Kinder zu sein, oder für Küken schreddern, oder Ameisen-mit-dem-Daumen-zerdrücken. Doch im Gegensatz zu Kinder schlagen und Küken schreddern ist es gar nicht so klar, was mit Solidarität genau gemeint ist, weil jeder darunter etwas anderes versteht. Es handelt sich um ein Wieselwort. Heißt, es wird unklar, je häufiger man es benutzt. Es ist ein Begriff zum Framen, der oberflächlig ist und – wenn man ehrlich ist – im politischen Kontext fast immer deplatziert. Ich will Ihnen das einmal genauer erklären:

Es gibt keine Solidarität mithilfe von Zwang

Der Begriff hatte seinen ersten Frühling während der französischen Revolution. Neben Égalité und Liberté hieß der dritte Schlachtruf Fraternité. Solidarität. Also Brüderlichkeit. Sind beide Begriffe das gleiche? Ja. Dasselbe sind sie aber noch lange nicht. Wenn man in den berühmten Luftreden von Politikern Solidarität mit Brüderlichkeit austauscht, merken Sie, wie wenig geistreich und semantisch-sorglos der Begriff verwendet wird. Ein durchschnittlicher Satz von Politikern, tausendfach in der Art gefallen, lautet so: „Wir brauchen für die Bewältigung der Corona-Krise mehr gesellschaftliche Brüderlichkeit (Solidarität)“.

In dem Beispiel lass ich Unsinnigkeiten wie das ständige „wir“-en weg (Das wiehernde „Wir“-en der Viren). Allein das wäre einen Beitrag wert. Schauen wir uns allein den Begriff (gesellschaftliche) Brüderlichkeit an. Um zu jemanden brüderlich zu sein, muss man in einer gewissen Beziehung zueinander stehen. Man muss sich kennen. Im Idealfall ist man – daher entstammt der Begriff – in einer Familie brüderlich, sprich solidarisch. Auch in einem Dorf erlebt man erstaunliche, brüderliche Momente. Es ist emotional, aber auch logisch ein recht kompliziertes Unterfangen, von Nürnberg aus sich mit fremden Menschen aus Passau, Düsseldorf oder Klein-Eutin per se brüderlich zu verhalten. Und überhaupt? Wo endet diese Solidarität? An Landesgrenzen? Oder doch eher gar nicht? Ist dann jeder mit jedem solidarisch? 

Meine Überzeugung liegt hier im Dezentralismus. Je kleiner die Entität ist, desto glaubhafter können Politiker Begriffe wie „Solidarität“ verwenden und tatsächlich im Sinne von Brüderlichkeit Politik zu machen. Eine „gesellschaftliche Solidarität“ ist jedoch ein bedeutungsschwangeres Riesenwort aus der Luftbibliothek der SPD, das alles aussagen kann, was man nur darunter verstehen möchte. 

Ein zweites Argument, das die Solidaritätseinforderer falsch verstanden haben: Solidarität ist freiwillig. Man kann sie so wenig einfordern, wie man Liebe oder Freundschaft einfordern kann. Kein Gesetz kann jemanden zur Solidarität verpflichten. Oder anders: Wer Brüderlichkeit beschließt, beschließt keine Solidarität, sondern Zwang. Es handelt sich bei einem Gesetz – beispielsweise Sozialleistungen durch Umverteilung zu erschaffen – ja nicht um einen brüderlichen, also freiheitlichen Akt, den der Andere im Zweifel ablehnen kann. Es stehen immer herrschaftliche Entscheidungen dahinter und bei Zuwiderhandlung folgen Zwangsmaßnahmen, bis die Polizei vor der Tür steht. Das ist – zu Ende gedacht – die Definition von „Brüderlichkeit“, von Leuten, die mir unsolidarisches Verhalten vorwerfen. Muss ich noch mehr sagen? 

Denken Sie weiterhin falsch

Was aber aufgebaut wird, ist ein gemeinschaftlicher Druck unter dem Deckmantel des so schön und moralisch hochwertigen Begriff der „Solidarität“. Selbst der autark denkende Mensch steht in Verbindungen mit anderen Menschen, die ihm wichtig sind, aber gänzlich anders denken. Und vielleicht sind diese auch der medialen Panik verfallen, was angesichts der steten Bestrahlung völlig verständlich ist. Und wenn diese Person eine andere Person treffen möchte, vielleicht einen Freund, vielleicht ein Date, dann wird sie in womöglich in eine Zwickmühle geraten. Die „Solidaritätseinforderer“ „raten“ jedoch, zu Hause zu bleiben. Doch so wenig Muttis: „ich rat‘ dir ja, dein Zimmer aufzuräumen“ ein gut gemeinter Tipp ist, so ist „ich rat‘ dir, bleib zu Hause“ nichts anderes als eine implizite Aufforderung und damit ebenso wenig brüderlich wie ein „solidarisches Gesetz“.

So gesehen, muss es Ihnen gar nicht schlecht gehen, nur weil sie als „unsolidarisch“ bezeichnet werden. Und natürlich ist Ihr Denken auch kein Problem. Ich war zum Beispiel einmal allen Ernstes unsolidarisch gegenüber Pflegern und Ärzten, weil ich einen polemischen Absatz geschrieben hatte, ohne auch nur irgendwelche Mitarbeiter aus Krankenhäusern genannt zu haben. Stehen Sie drüber, auch wenn es bei engen Freunden oder der Familie ganz schön schwer sein kann. Die Solidaritätsbesoffenen müssen sich ernsthaft die Frage stellen, ob sie noch alle Elektrokerzen in der Weihnachtsbox haben, wenn sie das bloße Andersdenken in Gut und Böse kategorisieren. 

Daher meine Bitte: Denken Sie weiterhin falsch. Seien Sie unsolidarisch. Zumindest im „gesamtgesellschaftlichen Kontext“ können Sie es getrost sein, denn dort hat das Wort nun wirklich keine Bedeutung.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Julian Marius Plutz Blog Neomarius.

Foto: Tomaschoff

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Sabine Meyer / 30.03.2021

Jeden Tag diese Horrormeldungen. So langsam kann ich es nicht mehr ertragen. Ich musste heute an einen Song in den achtziger Jahren von Zager and Evans denken, “In the year 2525”. Ich bin nur froh, dass ich das alles nicht mehr erleben muss. Ich lebe zwar in Westafrika ziemlich unbehelligt vor dieser angeblichen Pandemie, aber es trifft mich sehr, sehen zu muessen wie mein Heimatland vor die Hunde geht. Jeden Tag lese ich Ungeheuerlichkeiten und kann nichts dagegen tun. Und ich verstehe nicht, wie die meisten Deutschen sogar noch schwerere Beschraenkungen wollen. Ihnen scheint jeder Sinn von Freiheit entgangen zu sein. Muddi wird es schon richten. Nur alleine der Anblick ihrer abgekauten Fingernaegel und das bei einer ueber 60jaehrigen Frau, muesste alle Alarmglocken klingeln lassen, dazu noch ihre Zitterattacken, wenn sie die deutsche Nationalhymne hoert. Diese Frau ist krank und sollte sofort entmachtet werden. Aber dazu haben die Herren Politiker zuviel Angst. Hat sie vielleicht Stasiakten in der Hand ueber westdeutsche Politiker? Ich traue ihr alles zu. Die weiblichen Politiker werden nicht aufmucken, denn die bevorzugt sie. Ausser sie erweisen sich als absolute Nieten, so wie AKK und UvdL Was ihr gefaehrlich werden koennte, siehe UvdL lobt sie weg. Ich gehe jede Wette ein, sie wird nochmal die Macht an sich reissen im September. Sie glaubt wirklich sie ist der Messias. Ich sehe ungezaehlte Parallelen zu afrikanischen Diktatoren. Wer einmal an der Macht geleckt hat ist fuer immer verloren.

Wolfgang Richter / 30.03.2021

Wie wärs mit der Gründung einer Partei ? Anstelle der “Alternativen” die “Unsolidarischen” oder auch “Falschdenker” ?

Sabine Heinrich / 30.03.2021

@Stanley Milgram ;-) : Nein, ich bezeichen diese Floskeln ausstoßenden Mitmenschen nicht als A…löcher - ich kenne viel nette - sie sind nur schrecklich gedankenlos.“Bleiben Sie gesund!” zu einem kranken Menschen zu sagen oder wie zu einem Kleinkind: “Passen Sie auf sich auf!” ist dumm und gedankenlos - aber sicher gut gemeint. Ich will aber so etwas nicht hören, sondern lieber einen echten kernigen Gruß. Was mir auf der Zunge gelegen hat, als ich mehrfach erleben musste, dass einem sehr kranken Bekannten dieses: “Bleiben Sie gesund!“gewünscht wurde, mag ich hier nicht äußern. Menschen, die so reden, meinen es gut, reden aber meist nur gedankenlos und unsensibel daher.

S.Müller-Marek / 30.03.2021

@Karola Sunck: Ich erkläre mich absolut solidarisch mit Ihnen und Ihrem treffenden Text! So! LG

Stanley Milgram / 30.03.2021

(äd)an alle Sabinen und Sabininnen: Meine Dualseele wurde bereits im Skatforum gefunden, sonst wäre ich hier sicher auch gefunden worden. Also praktisch, nach heutiger Grammatik, ein Gefundener. Aber wer bin ich schon? Ich glaube ja auch, dass Sex für nichts gut ist… also auf Dauer. (Satire, meine).

Stanley Milgram / 30.03.2021

“Bleib gesund!” und “Pass auf dich auf!” sind die typischen Zeichen, dass sich der die das dies Sagenden*din*dünn @rschlöcher sind. Punkt. (Satire, meine).

Peter Krämer / 30.03.2021

Wenn unsere Mächtigen Solidarität einfordern, meinen sie natürlich, das wir mit ihnen solidarisch zu sein haben. In umgekehrtem Maße mit dem Bürger solidarisch sind sie allerdings nicht, wie erst kürzlich wieder die Skandale um die Beschaffung von Masken gezeigt haben.

Sabine Schönfelder / 30.03.2021

Isˋ doch klar! Will auch immer Solidarität, wenn ich ´ne für MICH gute Idee entwickle! Momentan appelliere ich zum Beispiel an die Solidarität des normal und vernünftig denkenden deutschen RESTS. Steht auf und verteidigt unsere Demokratie. Wer Maske trägt ist leichtgläubig, schnell manipulierbar, ein Angsthase und gefährdet seine eigene Gesundheit. Schützt niemanden außer Hersteller von Masken vor dem finanziellen Ruin. Das eigene Gehirn in Schwingungen zu versetzten, bereits im Kindesalter den Menschen Selbstdenken und Selbstkritik anzugewöhnen, sollte der Gesellschaft vornehmste Erziehungsarbeit sein. Doch Vorsicht! Der Lehrer fürchtet das Virus und das gut ausgebildete, selbstständige Kind; hält es lieber ganz von der Schule fern. Sachse Kretschmer hebt gar die Schulpflicht AUF. Entweder Maske und Test, oder Hausarrest. Kretschmers eigene intellektuelle Defizite führen das Land in die Verblödung. Wozu testen, wenn jeder Maske trägt? Wozu zwei mal die Woche testen, Money..Money…Money…, wenn man in der Quarantäne mit einer Inkubationszeit von 5 Tagen rechnet?? Ohhh, Kretsche, so kommt es, wenn Ideologie statt Kompetenz regiert. Armer Tor!........da geht aber kein Ball rein, Michi….

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Julian Marius Plutz, Gastautor / 07.06.2023 / 14:00 / 23

Arbeitsmarkt im Mai: Viele ungelernte Migranten

In Deutschland haben 2,5 Millionen Menschen zwischen 20 und 34 keine Berufsausbildung – jeder zweite davon hat Migrationshintergrund. Diese Ungelernten haben auf dem Arbeitsmarkt kaum eine…/ mehr

Julian Marius Plutz, Gastautor / 05.05.2023 / 16:00 / 26

Arbeitsmarkt im April: Jobs verschwinden, das Bildungsniveau sinkt

Während die Klebekinder Paul Lafargues Motto „Das Recht auf Faulheit“ ins 21. Jahrhundert transportieren, sinkt das Bildungsniveau in Deutschland. Einwanderung hilft da kaum, denn es…/ mehr

Julian Marius Plutz, Gastautor / 03.04.2023 / 16:00 / 12

Arbeitsmarkt im März: Agenda-Erfolge und Migranten-Arbeitslosigkeit

Fachkräfte werden fast überall gesucht, selbst ältere sind auf dem Arbeitsmarkt gefragt, derweil sind Menschen „mit Migrationshintergrund“ unter Arbeitslosen und Bürgergeldempfängern deutlich überrepräsentiert. Ich weiß…/ mehr

Julian Marius Plutz, Gastautor / 02.03.2023 / 16:00 / 26

Arbeitsmarkt im Februar: Massenentlassungen angekündigt

Etliche große Unternehmen kündigen massiven Stellenabbau an. Derweil gefällt sich die Bundesanstalt für Arbeit in Symbolpolitik. Ein weitverbreitetes Phänomen ist die kognitive Dissonanz. Die Psychologie…/ mehr

Julian Marius Plutz, Gastautor / 06.02.2023 / 14:00 / 25

Arbeitsmarkt im Januar – Die Fachkräfte verlassen Deutschland

Die offiziellen Arbeitslosenzahlen blenden weiterhin viele Arbeitslose aus, und beim Fachkräftemangel soll Zuwanderung helfen. Dabei wird gerade die Abwanderung der deutschen Fachkräfte zunehmend zum Problem. Andrea…/ mehr

Julian Marius Plutz, Gastautor / 03.01.2023 / 14:00 / 12

Arbeitsmarkt 2023: Ein Ausblick ohne viel Hoffnung

Haben Sie auch die Nase voll von 2022? Rückblicke des Grauens, des Grusels und der Gräueltaten? Ähnlich ging es bei einem meiner Themen, dem Arbeitsmarkt,…/ mehr

Julian Marius Plutz, Gastautor / 02.12.2022 / 12:00 / 21

Arbeitsmarkt im Dezember – kaum Entspannung

Die Lage am Arbeitsmarkt bleibt prekär. Und das geplante „Bürgergeld”, das erst recht keinen Anreiz schafft, eine Beschäftigung anzunehmen, ist geeignet, die sozialen Spannungen im Land weiter zu…/ mehr

Julian Marius Plutz, Gastautor / 03.11.2022 / 16:00 / 19

Arbeitsmarkt im Oktober: Azubis fehlen an allen Ecken

Azubis werden in allen Branchen händeringend gesucht. Dax-Konzerne wie Continental oder Commerzbank können nicht alle ihre Ausbildungsstellen besetzen. Das Zauberwort als Lösungsvorschlag der Linken ist…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com