Gastautor / 09.02.2020 / 12:00 / Foto: Christoph Braun / 8 / Seite ausdrucken

Sei ein Hirsch! – Roberto Benigni traut sich was

 Von Severino Engel.

Dring in mich ein! Mit diesem Satz hat Roberto Benigni, italienischer Schauspieler und Regisseur, komisches Genie und Liebhaber der Poesie, die Zuschauer des 70. Sanremo Festival gespalten. Bei diesem jährlich ausgetragenen Gesangswettbewerb, einer auf fünf Fernsehabende aufgeblasenen Live-Show mit allerlei Stars und Sternchen und Einschaltquoten von über 50 Prozent, rezitierte der von seinen Landsleuten hochverehrte Intellektuelle Passagen aus dem Hohelied, einer antiken Sammlung von Liebesliedern.

Erzählt wird, wunderschön, der erotische Traum einer Frau, welcher nach allerlei Vorspiel in der Preisung des männlichen Eindringens gipfelt: „Dring [in mich] ein, mein Auserwählter, und sei wie ein Hirsch!“, so in etwa der Höhepunkt („Penetra mio diletto e sii simile a un daino.“

Wer es gesehen hat, erinnert sich sicher, wie der quirlige Komiker 1999 quasi über die Köpfe der Anwesenden hinweg stieg, um den Auslands-Oscar für „Das Leben ist schön“ entgegenzunehmen. Roberto Benigni ist das sympathische Schlitzohr, dem man nichts übelnehmen kann. Gerissenheit und Genialität versteckt er hinter kindlichem Gemüt und Getue. So hätte man auf den ersten Blick auch nach dem Auftritt am Donnerstag in Sanremo die geschlossenen Standing Ovations erwartet, die das Saalpublikum dort altgedienten Idolen üblicherweise darbietet, egal wie brüchig ihre Stimme oder grotesk ihre operierten Gesichtszüge inzwischen sind. 

Es kam anders. Ehe die Regie das ungewöhnliche Bild durch andere ersetzte, sah man für wenige Sekunden einige entschlossen applaudierende Gäste, die sich erhoben hatten, und eine Mehrheit, die ebenso entschlossen sitzen blieb. Benigni hatte einen Nerv getroffen, vielleicht mehr als von ihm erwartet. Denn am Eröffnungsabend zwei Tage zuvor hatte die Journalistin Rula Jebreal, die als eine der zahlreichen Co-Präsentatorinnen auftrat, einen emotionalen Monolog gehalten, in dem sie Gewalt gegen Frauen anprangerte. Sie berichtete von der Vergewaltigung an ihrer Mutter und bat am Ende eindringlich, Vergewaltigungsopfer nie mehr zu fragen, wie sie denn angezogen gewesen seien. Dieser Schlussappell wurde von den italienischen Medien am Tag darauf zur Schlagzeile gemacht.

Die vergnügt vorgetragene Penetrationsode passt dazu wie der Bohrer ins Zahnloch. Ausgerechnet dem Mann und seinem eindringenden Geschlechtsteil wird hier gehuldigt, von einer Frau, ausführlich und vor einem Millionenpublikum. Dabei sollte dieses Publikum, vor allem der männliche Teil, nach dem Willen der Veranstalter wohl eher mit feministischen Botschaften geläutert werden. Und dann das, eine simple, zum medialen Zeitgeist diametrale Erinnerung nicht nur daran, wie fundamental und unverzichtbar die liebende Vereinigung der Geschlechter für den würdevollen Fortbestand der Menschheit ist, sondern auch daran, dass Geschlechtlichkeit und die ihr innewohnende Asymmetrie nichts sind, was wir jemals loswerden könnten oder wollen sollten. Die Frau empfängt, auch wenn sich heute mancher Frau die Zehennägel bei diesem Satz aufstellen. Oder sie tut es eben nicht. 

Benigni versteht es meisterhaft, Böses und Gutes, Trauriges und Lustiges, Intelligentes und Blödes bis zur Unkenntlichkeit ineinanderscheinen zu lassen und so den gemeinsamen Abgrund auszuleuchten, aus dem sie entstanden sind. Diese Kunst macht nicht nur „Das Leben ist schön“ zu einem so herzerweichenden und tröstlichen Film. Sie entlarvt auch jeglichen Versuch, Gut und Böse sauber zu trennen, als inhuman. Genau das war am Donnerstag der Finger in der Wunde der politisch Korrekten und ihrer Mitläufer, mehr oder weniger vereint in der fixen Idee, das Böse sei männlich. 

Benignis harmlos daherkommender Vortrag über die Liebe als notwendige Lust zum Leben war eine Ansage an alle, die mit dem gemeinsamen Abgrund, dem die Menschheit entstiegen ist, nichts mehr zu tun haben wollen, an alle, die sich lieber in die Moral des allzeit und selbstverständlich Richtigen hüllen. Ihnen wollte Benigni eine Brücke zu der Erkenntnis bauen, dass ihr Kostüm des bestmöglichen Menschen in Wirklichkeit eine ziemlich armselige Rüstung ist. Nicht vor Kriegen hätten Menschen die meiste Angst, sondern vor Liebe, so der Komiker sinngemäß. 

Im Übrigen ist es wohlfeil, einer Zuhörerschaft wie der des Sanremo Festival sinngemäß ein „Schämt Euch!“ (für die Frage nach der Kleidung) in die Ohren zu tröten. Natürlich ist Vergewaltigung nicht zu entschuldigen; wie viele Männer, abgesehen von Strafverteidigern bei ihren Mandanten, würden das hierzulande noch ernsthaft versuchen? Lebenserfahrung sagt einem allerdings auch weiterhin, dass nackte Haut und enge Kleidung sexuelle Begierden wecken. Viele Eltern, Mütter wie Väter, machen ihren Töchtern im Teenie-Alter daher Vorschriften zur Kleidung, auch um sie vor denen zu schützen, die sich nicht beherrschen können oder wollen. Diese Wenigen sind das Problem, nicht die männliche Gesamtbevölkerung Italiens oder etwa Deutschlands; geeigneterer Adressat des Appells wäre daher wohl eine Öffentlichkeit in diesbezüglich rückständigeren Gegenden der Welt gewesen.

Vor allem aber ist es geradezu heuchlerisch, sich öffentlich so besorgt um das Heil der hiesigen Frauen zu zeigen, ohne die vielen jungen Männer und die zum Teil ausgeprägt frauenfeindlichen Gesellschaften, aus denen sie nach Europa einwandern, auch nur zu erwähnen. Gegen derartige Realitätsverweigerung vermag Benignis Fingerzeig auf Glanz und Elend unseres Liebeslebens wohl kaum etwas auszurichten. Umso mehr sollten wir Männer ihn uns zu Herzen nehmen: lieben wir unsere Frauen, so sehr wir können.

 

Severino Engel beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit den Werken des Philosophen Christoph Türcke und betreibt den Blog Philosophie und Zeitgeschehen.

Foto: Christoph Braun CC0 via Wikimedia Commons

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Hermine Mut / 09.02.2020

Wie schön du bist, LIEBE des Menschenpaares ! Wie eine wunderbare Musik, die sich mit 2 Instrumenten - wie einer Geige und eines Cellos - realisieren kann. Damit dies möglich ist ,  sind - physisch - 2 “Körper” erforderlich , die “Musik” jedoch braucht 2 Seelen ... die hier ihren ur-eigensten Klang finden,  an ihrem eigensten Ort ankommen können . Was sollte denn daran abzulehnen sein, weibliches Verlangen und männliche Sehnsucht zu beschreiben , in der wunderschönen reinen Sprache des Hohenliedes ?  (Navid Kermani beschreibt dies in seiner “Große Liebe” auch sehr berührend ,aus der Sicht eines Jungen, der gerade anfängt, ein Mann zu sein.)  Ein Dankeschön der Achse für dieses Geschenk zum Sonntag !

alma Ruth / 09.02.2020

Seit sehr vielen Jahren fällt mir eine komische Art (oder wie ich es nennen soll) der gesellschaftlichen Entwicklung auf. Einerseits begreift die Wissenschaft immer klarer wie tief wir mit unseren tierischen Ahnen, mit der ganzen Natur verbunden sind, vielleicht besser: nicht nur verbunden, sondern ein Teil davon. Auf der anderen Seite wollen viel zu viele Menschen von allem los werden, was sie an die Natur erinnert. Falls meine Beobachtung zutrifft, hätte ich zwei Fragen; 1. warum, aus welchem Grund eine solch “schizophrene” Art der Entwicklung stattfindet, 2. wozu das gut Ist? Falls jemand eine Antwort hätte, auch wenn keine vollständige, “nur” eine teilweise, wäre ich sehr dankbar. lg alma Ruth

Karl-Heinz Vonderstein / 09.02.2020

Merke, Rassismus gibt es nur unter Weißen in westlichen Gesellschaften und Sexismus nur unter weißen alten Männern und Sex unterdrückt so oder so immer die Frau, egal ob unfreiwillig oder freiwillig!

Silvia Orlandi / 09.02.2020

Grazie per articolo, si, la vita est bella ( et terribili)  Unvergesslich als Benigni die Italiener aufrief zur Piazza zu kommen, Dantes Inferno zu lauschen und er auswendig rezitierte vor tausenden Zuhörern. Der Hintergrund dieser Aktion war der Protest gegen die Berlusconi Sender und die TV- Verblödung. Italien erinnerte sich an seine Sprache, seine wunderschönen Städte und ihre Schönheit , das gute Essen, Moda italiana, la belleza de le donne, die Lust am flirten, reden, Familie und Freunde zu treffen…. Si, la vita est bella !!! Roberto Benigni ein Stern am Himmel. ( Wikipedia)

Donald Adolf Murmelstein von der Böse / 09.02.2020

Die gewollte totale Zerstörung Italiens geht voran!  Italien braucht keine Kasper, wie Roberto Begnini. Inzwischen verlassen jährlich 300000 Italiener ihre Heimat. In den letzten 12 Jahren 2.000.000.  65.000.000 Millionen Menschen außerhalb Italiens haben italienische Vorfahren, deren Nachfahren lernen alle die Italienische Sprache. Italienisch ist die vierthäufigste gesprochene Sprache weltweit. nach Chinesisch, Französisch, und Englisch,) [IL LABORATIORIO PER LA DISTRUZIONE DELL’ITALIA - BARBARA PAVAROTTI - byoblu.com]

Sabine Schönfelder / 09.02.2020

„Dring in mich ein“, wird sich auch nicht vermeiden lassen, wenn es um Fortpflanzung geht, auch wenn die Genderindustrie Befruchtung mittlerweile gerne per Reagenzglas und Spritze zelebriert. Wo sind wir angekommen, mit unseren Absolutheitsansprüchen? Wo bleibt der Pluralismus? Gewalt gegen Frauen und deren beschämende Befragung zu gewalttätiger Sexualität wider Willen und poetische Formulierungen zu einem schönen und weltweit mit Sicherheit am häufigsten angestrebten Vergnügen sind absolut ZWEIERLEI. Deren Schnittmenge befindet sich lediglich beim männlichen Geschlechtsteil. DAS IST ALLES. Darf ich jetzt ein Messer, welches täglich von unseren Geschenken benutzt wird, um Menschen niederzustechen und zu verletzten, am Mittagstisch nicht mehr benutzen? Darf ich jetzt nur noch mit Gabel essen? Und wie lange noch? Erkennen die Menschen nicht, daß die öffentliche Meinung mit dieser bewußten einseitigen Einengung so vieler Dinge totalitäre Meinungsmache betreibt?

Donald Adolf Murmelstein von der Böse / 09.02.2020

Roberto Benigni ist für die Auflösung des Nationalstaates und Unterstützer der europaweit vorangetriebene Umvolkung. Er ist als Feind zu betrachten,

Wolf Hagen / 09.02.2020

Das Sanremo Festival ist wenigstens so realitätsfern, wie es überaltert ist, bei denen, die sich den Kram ernsthaft anschauen. Kein Wunder also, dass sich dort die Spießbürger und solche die es werden wollen ein Stelldichein geben. Die Realität ist, dass die meisten Menschen unter 50 regelmäßig Pornos schauen, Männer genau wie Frauen und dies niemanden mehr wirklich schockiert. Im Gegenteil, heute kokettiert Mann und Frau damit auf Parties grinsend, um nicht als verklemmt zu gelten. Ähnliches gilt für den Umgang mit Sexspielzeugen, gerade bei Frauen, die nicht mal mehr groß versteckt werden. Wie sonst ließe sich der große Erfolg von Firmen, wie etwa Amorelie erklären?! Und warum auch nicht?! Diejenigen, die wegen der sexuellen Realität nun Zeter und Mordio schreien, enttarnen sich damit bestenfalls, als das was sie wirklich sind. Verklemmte Unterdrücker der Realität, weil es ihnen in ihre wirren Vorstellungen von Politik, Moral oder Religion passt.

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