Rainer Bonhorst / 23.03.2015 / 11:00 / 5 / Seite ausdrucken

6 Sekunden und die schöne Frau im Lokal

Neulich lief eine schöne Frau durch das Lokal, in dem ich Graved Lachs und Reibedatschi (Reibekuchen) aß. Sie war groß, schlank und wohlproportioniert. Das konnte ich erkennen, weil sie keine Burka sondern ein ebenfalls schönes, enges und kurzes Kleid trug. Da ich neulich gelesen habe, dass schon der „freche Blick“ den Tatbestand der sexuellen Belästigung erfüllt, beschloss ich nicht hinzuschauen. Es ist mir nur halb gelungen.

Der Gang der Schönen durchs Lokal dauerte nach meiner Berechnung sechs Sekunden. Drei Sekunden lang – das kann ich mit Stolz sagen – habe ich nicht hingeschaut sondern weggeschaut. Bei den drei Sekunden, die ich doch hingeschaut habe, handelte es sich um die ersten eineinhalb und die letzten eineinhalb Sekunden ihres Durchgangs.

Die ersten eineinhalb Sekunden kann man noch als normales, ja nahezu asexuelles Hinschauen einordnen. In diesen ersten eineinhalb Sekunden geht es schließlich darum, festzustellen, ob sich das Problem der sexuellen Belästigung durch unangebrachten Blickkontakt überhaupt stellt. Das wäre zum Beispiel dann nicht der Fall, wenn die dort laufende Person ein grauhaariger Mann meiner fortgeschrittenen Generation wäre. In diesem Fall wäre die sexuelle Belästigung im Allgemeinen „kein Thema“, um einen Begriff aus der Welt der großen Politik zu benutzen.

Allerdings bin ich bei dieser Analyse nicht ganz aufrichtig. Die Person, die da durch das Lokal ging, trug hörbar hohe Absätze. Dies kann man bekanntlich feststellen, ohne frech hinzuschauen, da der hohe Absatz ein Geräusch erzeugt, auf das das Ohr des heterosexuellen Mannes geeicht ist. Zwar schließt dieses Pfennig-Absatz-Geräusch in unseren genderfluiden Tagen nicht gänzlich aus, dass es sich um einen älteren Herrn handeln könnte. Aber die Statistik spricht für die Annahme, dass so ein reizendes Klickklack von einem Frauenbein erzeugt wird.

Das war auch so, und zwar klickten und klackten zwei lange, in elegante Stiefel gehüllte und dank des kurzen Rockes erst am Oberschenkel wieder verhüllte Frauenbeine. Dies und den Rest nahm ich also in den ersten eineinhalb Sekunden ihres Vorübergangs wahr. Wie gesagt, zum Teil aus asexuellem, allgemeinen Beobachtungsinteresse, aber eben auch bereits mit einem Hauch des anderen, bereits angedeutetem und fragwürdigen Interesses.

In dem Moment, als sich dank der optischen Wahrnehmung die Problematik einer eventuellen sexuellen Belästigung nicht mehr leugnen ließ, schaute ich sofort weg und versuchte, mich ganz dem Graved-Lachs und den Reibekuchen zu widmen. Es war ein Kampf, der kaum zu gewinnen war.

Nach drei Sekunden des Wegschauens wurde mein Blick wie magisch von der Schönen wieder angezogen und diesmal ohne jede Chance, diesen Blick neutral zu begründen. In den letzten eineinhalb Sekunden dieses Durchgangs galt mein Blick also unentschuldbar der dahin wandelnden Weiblichkeit. Zwar habe ich versucht, anders als mein Tischnachbar, diesen Blick unaufdringlich zu gestalten und jeden Anschein von Frechheit zu vermeiden. Aber ich kann das nur im Abgleich mit dem wesentlich unverhohleneren Blick meines Nachbarn belegen. Was eine objektive Beurteilung ergeben würde, weiß ich nicht.

Nun muss ich sagen, dass die schöne Vorübergehende meinen Kampf um den korrekten Blick beziehungsweise Nichtblick wahrscheinlich gar nicht wahrgenommen hat. Sie war jung und schön und hatte kein Auge für den Tisch dieser beiden Grauhaarigen.

Für mich war das Problem damit aber keineswegs erledigt. Denn in den drei Sekunden, in denen ich proaktiv zu der Schönen nicht hinblickte, stellte ich mir die Frage, ob dies denn überhaupt in ihrem Sinne war. Oder, um die Frage zuzuspitzen: Nehmen wir an, an dem Tisch hätten nicht zwei Grauhaarige sondern Johnny Depp und Justin Bieber gesessen, und die beiden hätten ebenfalls aktiv weggeschaut. Wie wäre das bei der vorübergehenden Schönen angekommen? Als lobenswerter Versuch sexueller Nichtbelästigung oder als schnöde Missachtung einer schönen Frau, die mit Hilfe ihrer schnittigen Kleidung als solche nicht zu übersehen war? Wäre es nicht geradezu unhöflich, eine solche Schönheit, die ja nicht ohne Mühe diese Höchstform erreicht hat, einfach zu ignorieren?

Das ist sicherlich nicht ganz auszuschließen. Andererseits könnte diese Überlegung auch nur ein Versuch sein, mir die Sache schönzureden. Ich habe trotz gegenteiliger Bemühungen hingeschaut und weiß bis heute nicht, ob der Blick frech war oder nicht, also belästigend oder nicht. Im Zweifel muss man davon ausgehen, dass jeder Blick belästigend ist. Wie sonst könnte man die jüngste statistische Erkenntnis erreichen, dass jede zweite Frau sexuell belästigt wird.

Diese neulich veröffentlichte Statistik ist erschütternder als sie auf den ersten (unverfänglichen) Blick erscheint. Schließlich gibt es bei Frauen wie bei Männern sehr schöne und auch weniger schöne Ausführungen. Man sollte die Statistik also präzisieren. Bei den schönen oder – fassen wir es etwas breiter – bei den attraktiven Frauen dürfte der Belästigungsquotient nahe hundert Prozent liegen, zumal, wenn man den interessierten Blick in die Definition der sexuellen Belästigung einschließt. Und dies muss man wohl tun. Die neuzeitliche Verbreiterung der Bemessungsgrundlage dessen, was als sexuelle Belästigung zu gelten hat, sollte als Errungenschaft bewahrt und nicht in Frage gestellt werden.

Diese kalte Progression der sexuellen Belästigung wird auf Dauer allerdings nicht ohne problematische Folgen bleiben.

So dürfte sich das Verhältnis zwischen Mann und Frau weiter neutralisieren bis hin zur völligen Distanzwahrung. Das könnte sich zu einem biologischen Problem auswachsen. Allerdings lässt es sich mit Hilfe der digitalen Technologie lösen. Schließlich sind Partnerbörsen im Internet mit ihren Algorithmen viel besser geeignet, Menschen zusammenzuführen, als es der bloße persönliche Augenschein jemals könnte.

Ein andere Problematik ist, dass der Bereich der sexuellen Belästigung ja nicht einheitlich sondern ein weites Feld ist. Vom interessierten Blick zur ordinären verbalen Anmache bis hin zum Busengrapschen ist ein weiter Weg. Durch eine unqualifizierte Verbreiterung der Bemessungsgrundlage entsteht die Gefahr, dass die Sache verwässert wird und die schwereren Fälle in der Flut der minderschweren Fälle untergehen. Man sollte also angesichts der Vielzahl der Belästigungsmöglichkeiten dringend klare Kategorien schaffen, von lässlich über mittelschwer bis hin zu strafbewehrt. Ich persönlich würde das bloße Schauen, auch in seiner frecheren Variante, als einen minderschweren Fall einstufen. Aber als Mann steht mir dieses Urteil natürlich nicht zu.

Uns Männern wäre allerdings geholfen, wenn die Frauen, wie früher üblich, durch kleine äußere Kennzeichen, zum Beispiel durch Schleifchen links oder rechts getragen, signalisieren würden, ob sie für Blicke offen sind oder nicht.

Die Burka etwa wäre ein klares Signal, dass Blicke unerwünscht sind. Andererseits muss ich sagen, dass so eine Burka auch neugierig macht. Der nur schwer zu unterdrückende Wunsch, hinter den Schleier zu blicken, wirft ganz neue Fragen auf. Gilt er nur der Erkundung, etwa um festzustellen, ob sich hinter dem Tuch eine griechisch-römische oder eine Mang-Nase befindet? Oder steckt dahinter der Wunsch, einen Kampf der Kulturen zu provozieren?

Wie bin ich darauf gekommen? Ach ja, die Schöne im Lokal. Was hätte ich getan, wenn sie eine Burka getragen hätte? Ich vermute, ich hätte die ersten eineinhalb Sekunden hingeschaut, denn drei Sekunden weggeschaut, und dann nochmal mit einem Eineinhalb-Sekundenblick nachgelegt.

Uns Männern ist einfach nicht zu helfen.

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Leserpost

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Klaus Weber / 24.03.2015

Vielen Dank, Herr Bonhorst für diese konkrete und genaue Schilderung der ebenso irren wie anstrengenden Zwiespälte, in die man als sehender Mann sich stürzt. Ich schreibe absichtlich nicht: “gestürzt wird”, weil es geht auch anders. Ich schaue an, was ich anschaue, schöne Frauen, schöne Wolken, häßliche Kunstwerke, bemerkenswerte Plakate, seltsame Figuren, aber am allermeisten attraktive Frauen, das macht auch Spaß, manchmal gibt es sogar einen freundlichen Blickkontakt, der mich vergessen lässt, dass ich alt und dick bin, aber so macht das leben Spaß. Wer mir den Spaß verderben will, macht sich lächerlich, hoffentlich auch noch nächstes Jahr. Ich hoffe, meine Kinder sind aus dem Haus, bis der Wahnsinn durchgeschlagen ist, dann kann ich auswandern. Oder wir Männer lernen wieder das gucken, charmant sein, männlich sein, breite Schultern und so, wer das mag, und nicht laufend sich abzuducken und rumzukuschen. Mit Männern könnte man den ganzen Genderscheiß garnicht abziehen, nur mit Pfeiffen. Und ich hab keine Lust mehr, Pfeiffe zu sein. Die meisten Frauen sind doch ganz normal, warum soll ich mich also von den verdrehten zur Pfeiffe machen lassen. Und jetzt geh ich zum Zug und hoffe, dass sich wieder die sympathische Dame mit den schwarzen Haaren zu mir setzt, wenn ja, lächele ich sie an, hat gestern auch geklappt. Ich komm dann auch viel entspannter Zuhause an, wenn ich meiner Frau das Gefühl vermitteln kann, dass ihr Kerl kein Leisetreter ist, der sich von Genderleuten (!!!) fertigmachen lässt, sondern ein Mann, der gern mal flirtet und sich freut, wenn er als Mann wahrgenommen wird. Immer, wenn das klappt, hab ich die allerbeste Schulter zum anlehnen. Wenn ich mich dagegen von diesen Gedankenspielen runterziehen lassen, bin ich nölig, ungerecht, mäkelig, unzufrieden und, was das schlimme ist, meine Frau kann sich bei mir nicht als Frau fühlen, weil ich kein Mann bin. Das ist aber nicht leicht und klappt nur, wenn es gut läuft, so insgesamt. In eher niedergeschlagenen Zeiten geht das nicht, aber das wahr wohl schon immer so. Also, Männer: Nie wieder Kuschen, für jede Frau ein Lächeln, für jede GenderistIn eine Frechheit, dann macht das Leben wieder Spaß.

Ekkehard Boes / 24.03.2015

Lieber Herr Bonhorst, in solchen Fällen hilft garantiert, die eine oder andere Bundestagsvizepräsidentin vor dem geistigen Auge erscheinen zu lassen - und flugs sind die genderdiskriminierenden Frühlingsgefühle in winterlicher Kälte erstarrt.

Burkhart berthold / 23.03.2015

Lieber Herr Bonhorst, Sie haben nicht nur frech geschaut, sondern auch frech gehört (und damit einen vielleicht noch neuen Macho-Missgriff geschaffen): Jetzt fehlte nur noch, dass Sie sogar das Parfüm der Dame wahrgenommen hätten! Beneidenswert!

Maria Leuschner / 23.03.2015

Lieber Herr Bonhorst, Ihre Beiträge sind ein Garant für einen heiteren Tag! Ich bin der festen Überzeugung, dass eine entsprechende EU-Kommission eine Richtlinie zum Problem erarbeiten wird. Dort wird dann korrekt geregelt werden, wie viele Sekunden Sie auf eine schöne Frau blicken dürfen. Und ganz sicher wird eine Überwachungskamera das Prozedere aufzeichnen. Nun wollen wir nicht hoffen, dass weibliche Klagen über ein zu langes Blick-Verweilen vor dem Europäischen Gerichtshof landen werden.

Martin Lahnstein / 23.03.2015

Ist es nicht schön, wenn Kultur uns Schranken auferlegt, die durch Raffinesse umgangen werden können: wenn Kultur uns also zur Raffinesse erzieht? - Potenz mag dahinschwinden, soziale Kompetenz darf immer größer werden.

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