Wolfram Weimer / 23.05.2019 / 11:00 / Foto: Mahmoud-Ashraf / 93 / Seite ausdrucken

Sebastian Kurz wird der Gewinner sein

In der Politik gibt es “Pyrrhussiege”, die in Wahrheit Niederlagen sind. Die 100-Prozent-Wahl von Martin Schulz zum SPD-Kanzlerkandidaten war so eine. Und wenn Annegret Kramp-Karrenbauer nicht aufpasst, dann wird ihr Sieg über Friedrich Merz auch einer. In Wien kann man derzeit das Gegenteil eines Pyrrhussieges beobachten – nämlich eine scheinbare Niederlage, die am Ende zum großen Sieg werden könnte. Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz steht vor den Scherben seiner Regierung, der rechtspopulistische Koalitionspartner wankt skandalumwittert dahin, Neuwahlen kommen und die politische Linke reibt sich schon die Hände, weil das Experiment einer Mitte-Rechts-Koalition so spektakulär gescheitert ist.

Doch die Linke könnte sich zu früh über die Regierungskrise freuen. Denn die Neuwahlen dürften vor allem einen Gewinner hervorbringen: Sebastian Kurz und seine bürgerliche ÖVP. In Wahrheit ist der peinliche Kollaps der FPÖ für Kurz ein politisches Geschenk, eine Gelegenheit, vom rechten Konkurrenten die verlorenen Wähler massenhaft wieder zurückzuholen. Die ÖVP dürfte nun sowohl bei den Europawahlen als auch dann bei den nationalen Neuwahlen deutlich stärkste Partei werden.

Damit kann Kurz ein strategisches Ziel erreichen, das noch vor zwei Jahren völlig unmöglich schien. Damals lag die ÖVP klar unter 20 Prozent, zerbröselte unter dem lautstarken Druck der Rechten und hatte ihren Volksparteienstatus beinahe verloren. Die rechtspopulistische FPÖ hingegen strotzte bei Umfragewerten von mehr als 30 Prozent vor Kraft, viele sahen die ÖVP schon den Weg der italienischen Democrazia Cristiana in die Bedeutungslosigkeit gehen. Heute hat Kurz die Zustimmung zur ÖVP fast verdoppelt, Tendenz steigend. Die Umfragewerte der FPÖ hingegen brechen ein, Tendenz fallend.

Kurz wird im Wahlkampf nun davon profitieren, dass er als einziger Politiker von Kanzlerformat wahrgenommen wird. Sein diplomatisches und – trotz seines jungen Alters von nur 32 Jahren – gestochen souveränes Auftreten kommt in Österreich prächtig an. Seine persönlichen Umfragewerte zur Kanzlerakzeptanz sind stark, und die einzig denkbare Kanzler-Kontrahentin, die SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, liegt in der Kanzlerfrage konstant abgeschlagen bei 16 Prozent. Und so nutzt ihm die plötzliche Krise, gerade weil er sich als Krisenbewältiger und Stabilitätsanker profilieren kann.

Ein modernes Türkis als Markenfarbe

Kurz hat zudem seine eigene Volkspartei erstaunlich geschlossen hinter sich gebracht. Er verpasst der alternden Sakristeienpartei ein neues, großstädtisches Image, sogar ein modernes Türkis als Markenfarbe. Er wirkt in die Volkspartei hinein mit einer familiären Verbindlichkeit und erfindet dazu neue Netzwerkformate wie die “Mandatare-Konferenz” in Bad Ischl, bei der sich die Abgeordneten der Bundes- und Länderebene treffen und von ihm geschickt beseelt werden.

Kurz wird sich im Wahlkampf der bürgerlichen Mehrheit als der seriöse Staatsmann präsentieren, neben dem die hemdsärmeligen Freiheitlichen wie käufliche Kleinkriminelle wirken. “Nach dem gestrigen Video muss ich sagen, genug ist genug”. Die FPÖ schade dem politischen Ansehen des Landes, donnerte Kurz. Und nun, da er die Rechten mit einer gewissen Lust vom Regierungshof jagt, lobt ihn die Presse: “Ein Aufatmen geht durchs Land” (Salzburger Nachrichten), “Sebastian Kurz hat doch noch das Notwendige getan” (Der Standard), “Die FPÖ wird lange brauchen, um diesen Schaden wieder zu beheben” (Der Kurier).

In der Pose des Demokratieverteidigers kann Kurz nun große Geschütze auffahren: “Es geht um Machtmissbrauch, und das ist schwerwiegend und problematisch. Es geht um offene Angebote der Korruption. Und Attacken gegen die freie Presse.” Der Bundeskanzler unkt sogar, dass das Video für Strache strafrechtliche Konsequenzen haben dürfte. Selten ist ein Koalitionspartner so schnell vom Vizekanzler zum Gefängnisanwärter geschrumpft.

Dem Kanzler gelingt damit ein zweiter Coup gegen die Rechtspopulisten. Der erste war ihre kühl-strategische Einbindung in eine Regierung nach dem Motto “Wenn Du deine Feinde nicht besiegen kannst, dann erdrücke sie mit einer Umarmung”.

Träume von einer absoluten Mehrheit

Kurz hat die Rechtspopulisten in der Regierung entzaubert. Er hat sie ihres Kulturkampf-Kernthemas mit der Migrationsfrage enteignet, mit ihnen wirtschafts- und innovationsfreundliche Reformen durchgesetzt und nutzt nun die erste Gelegenheit zu ihrer drastischen Entmachtung. Er weist damit auch anderen bürgerlichen Parteien in Europa einen Weg, wie man den Rechtspopulismus besiegen kann.

“Eindeutig den Ton angeben” will er nach den Wahlen mit seiner ÖVP. Manche seiner Gefolgsleute träumen schon von einer absoluten Mehrheit. Doch dazu dürfte es kaum kommen, ist doch die Parteienlandschaft auch in Österreich zerklüftet. Kurz dürfte selbst nach massiven Zugewinnen noch Koalitionspartner brauchen.

Das Salzburger Modell einer Dreierkoalition aus ÖVP, Grünen und Neos steht als Modell im Raum. “Die Neuwahlen waren kein Wunsch, sie waren eine Notwendigkeit”, sagte Kurz nach einem Treffen mit dem österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen. Doch aus seiner Sicht kann aus einer Notwendigkeit etwas Wünschenswertes erwachsen. Das Gegenteil des Pyrrhussieges wäre dann die Kurz-Niederlage.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf The European

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Lutz Gütter / 23.05.2019

Herr Weimer, ich kann Ihnen nur empfehlen, sich einen längeren Blick auf die Kommentare der Kronen Zeitung zu gönnen. Jubel über Neuwahlen sieht anders aus.

Lars Schweitzer / 23.05.2019

Wer hier der Gewinner sein wird - und ob es in diesem Spiel überhaupt einen Gewinner geben wird - ist für mich als Außenstehenden absolut nicht klar. Und ob Kurz nun smart und aufrichtig oder doch nur eine Mischung aus Macron und Engholm ist, vermag ich auch nicht einzuschätzen. Wenn Österreich in deutsche Politikgewohnheiten verfallen sollte, wäre dies jedenfalls sicherlich kein Gewinn.

Sanne Weisner / 23.05.2019

Jede Koalition mit den Grünen wird für Kurz der Anfang vom Ende sein. Denn mit den Rechten haben ihn zumindest viele Zielstellungen verbunden. Mit den Grünen gibt es außer dem Willen zur Macht keine Gemeinsamkeiten. Und es ist auch noch nicht so ganz raus ob er nicht jetzt schon als Marionette dient und macht was andere ihm vorsagen. Da kann es noch eine Menge an Wendungen geben, gegen die so mancher Politthriller Kinderprogramm ist.

Martin Müller / 23.05.2019

Kurz hat sich in eine politsche Sackgasse manövriert. Geht eine Koalition mit SPÖ und Grünen ein, verliert er sein politische Glaubwürdigkeit. Denn er müsste seine bisherige Politik über Bord schmeißen. Letztlich wäre es cleverer gewesen, Strache und Adjutanten in die Wüste zu schicken und die erfolgreiche Politik mit der FPÖ weiterführen. In einem Jahr weiß schon niemand mehr , wer Strache war…. Letztlich bleibt eine Koalition nach den Wahlen mit einer (geläuterten) FPÖ noch immer die beste Option für Kurz.

Arthur Dent / 23.05.2019

Gestern Abend gab es im österreichischen Fernsehen die Elefantenrunde zur Europawahl. Die (repräsentativ gewichteten) Zuschauervotings sahen die FPÖ weiterhin als die bestimmende Kraft zum Thema Migration (ich glaube es waren 37% oder 39%) und insgesamt lag sie nahezu gleichauf mit der ÖVP. Ich denke die Österreicher sehen zwar die Politik von Kurz, trauen aber der ÖVP in Ihrer Gesamtheit (da gibt es auch viele Gegner der Politik von Kurz) nicht über den Weg und wollen eine starke FPÖ als Mahnung an den linken ÖVP-Flügel.

Dr.H.Böttger / 23.05.2019

Nicht Kurz wird der Gewinner sein, sondern die Linkspopulisten (SPÖ). Auf kurz und lang. Die FPÖ kann Kurz nicht weiter stützen, würde dafür kein Leckerli bekommen, aber die Linkspopulisten können ihn dulden, gar unterstützen und das teuer verkaufen. Darauf läuft es hinaus, völlig unabhängig von allen deren Erklärungen “Auch Kurz muß weg”. Ein abhängiger Kurz ist viel nützlicher für die Linkspopulisten als ein gestürzter. Kurz muß schon seit Wochen von dem Video gewußt haben. Die wenigen Zitate von ihm im Ostradio liefen auffällig auf eine Distanzierung von der FPÖ und heimlichem Entgegenkommen gegenüber Linkspopulisten hinaus. Die FPÖ ist in eine Zwangslage geraten und kann nur auf Erfolge bei der Neuwahl hoffen. Absolute Mehrheit ist aber nicht zu erreichen. Es läuft auf eine Schwarz-Rot Groko hinaus. Dazu brauchen die Täter nicht viel beizutragen,  außer Ruhe zu bewahren und zu heucheln.

Volker Hiller / 23.05.2019

Herr Weimer hat mit diesem Artikel einen Nerv getroffen, nur nicht den gewünschten. Hier schreibt ein Freund von Koalitionen, die ich persönlich für alles andere als erstrebenswert halte.

Sebastian Gumbach / 23.05.2019

Kurz ist nichts ohne die FPÖ, da er deren Programm umgesetzt hat. Was macht er also ohne FPÖ? Alleine regieren wird er nicht können, mit Neos und Grünen wird es nicht reichen - also wird es zur Betonkoalition aus SPÖ/ÖVP kommen. Die Bürger werden das nicht wollen, denn mit der stumpfen SPÖ wird Kurz seine erfolgreiche Politik eben nicht fortsetzen können. Die Österreicher wollen nicht die Person Kurz, sie wollen die Politik, die er mit der FPÖ umgesetzt hat.

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