Petr Zikmund, Gastautor / 21.12.2018 / 16:30 / Foto: Rosenergoatom / 7 / Seite ausdrucken

Schwimmendes AKW wurde angefahren

Von Petr Zikmund.

Auf dem schwimmenden Atomkraftwerk Akademik Lomonossow, das im nächsten Jahr zur Küste der Tschuktschen-Halbinsel im Arktischen Ozean gebracht wird, wurde der erste Reaktor angefahren. Die Achse des Guten berichtete bereits hier und hier.

In mehreren Ländern Westeuropas, ganz vorne in Deutschland, gilt Kernkraft als ein Auslaufmodell, gleichzeitig wächst die internationale Anerkennung der Kernenergie als eines der Elemente in der Bekämpfung des Klimawandels. Im Oktober dieses Jahres veröffentlichten Fachexperten des UNO-Weltklimarates IPCC 89 energiepolitische Szenarien und kamen unter anderem zu dem Schluss, dass die weltweite nukleare Gesamtkapazität im Durchschnitt bis 2050 um das zweieinhalbfache steigen werde.

Dieses Wachstum wird vornehmlich durch große konventionelle Kernkraftwerke an Land mit mehreren tausend Megawatt Leistunggeleistet. Doch auch ungewöhnlichere Designs werden zu mehr Atomstrom beitragen. Beispielsweise Energieanlagen an Bord eines Schiffs. Für Greenpeace ist das natürlich ein rotes Tuch: Man rüstet verbal auf und spricht von der „Nuklearen Titanic“

Auch die Bellona-Stiftung, eine Umweltorganisationmit Haupsitz in Oslo, betrachtet Kernenergie-Projekte argwöhnisch, besonders wenn es sich wie bei den schwimmenden Kraftwerken um Konzepte handelt, die neu sind und keine langjährigen empirischen Erfahrungswerte in Sachen Sicherheit und Machbarkeit vorweisen können. Andererseits verweigert sich Bellona einer Diskussion mit dem Betreiber Rosatom nicht von vorne herein.  

Im Mai dieses Jahres, als der schwimmende Block von Sankt Petersburg nach Murmansk entlang der norwegischen Küste geschleppt wurde, erhielt Bellona zusammen mit norwegischen Journalisten die Einladung, diesen Prozess in der Nähe der Stadt Bergen live zu beobachten. Damals betonte Bellona-Generaldirektor Nils Bøhmer, der die Delegation leitete, dass seine Kollegen keine Bedenken bezüglich des Transports hätten, denn das Schiff wurde „kalt“ (das bedeutet ohne Brennstoff an Bord) befördert. Ursprünglich wurde die Brennstoffbeladung zwar noch vor dem Schleppen geplant, aber das norwegische Außenministerium vereinbarte mit Rosatom die Verlagerung dieser Phase nach Murmansk.

Ende September kam es zu einer Fortsetzung des Dialogs zwischen Bellona und Rosatom – die Ökologen besichtigten den Energieblock selbst in Murmansk, dem größten eisfreien Hafen nördlich des Polarkreises, wo das Schiff im Moment vertäut ist. Bøhmer zeigte sich mit dem Besuch zufrieden: Die russische Seite zeige Transparenz in der Umsetzung des Projekts, sagte er. Dabei fügte er hinzu, Bellona sei weiterhin über alle Angelegenheiten besorgt, die mit der Akademik Lomonossow und vor allem mit dem Betrieb ihrer Reaktoren verbunden sind. Inzwischen sind die beiden 35-Megawatt-Reaktoren mit Brennstoff beladen, und der erste Reaktor wurde sogar schon angefahren; in Kürze wird der Anlauf der zweiten Anlage erwartet.

Warum wurde Bellona eingeladen? Man kann nur raten. Einer der möglichen Gründe könnte ein unmittelbares Interesse der norwegischen Umweltschützer zumindest an der Sicherheit des Projekts sein: Schließlich liegt die Oblast Murmansk an der Grenze zwischen Norwegen und Russland. 

Nach ihrer Inbetriebnahme wird die schwimmende Anlage nicht nur ein veraltetes AKW ersetzen, sondern auch ein Heizkraftwerk, das mit Kohle befeuert wird. Rosatom behauptet, jeder Tag des Betriebs der Akademik Lomonossow, direkt sowie indirekt, reduziere den Jahresverbrauch von bis zu 200.000 Tonnen Kohle und 120.000 Tonnen Heizöl – ein enormer Beitrag zum Klimaschutz.

Warum kann man denselben Effekt nicht  mit erneuerbaren Energien erzielen? Die Antwort: Es geht um den Hohen Norden, wo extrem niedrige Temperaturen die durchschnittliche jährliche Sonnenscheindauer sehr bescheiden ist.  Tschukotka ist überdies eine äußerst entlegene Region ist, wo der Aufbau einer Energie-Infrastruktur sehr viel schwieriger ist als etwa in Mitteleuropa. Solarpaneele und Windräder sind im arktischen Winter bei minus 50 Grad keine wirklich praktikable Lösung.

In dieser Hinsicht wird das Potenzial von schwimmenden Kernkraftwerken von Professor Thomas Walter Trommvom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) anerkannt: „Prinzipiell klingt das zunächst einmal sehr erfolgversprechend, weil ziemlich einfach zu bewerkstelligen”. Die Technologie habe zudem wesentliche Exportaussichten, glaubt der Experte – in der ersten Linie gelte dies für Schwellenländer. 

Das stärkste Argument für die kleinen und transportablen AKW’s liege in der wenig ausgeprägten Stromverteilungsstruktur in einem Großteil dieser Länder, die große Anlagen im Gigawatt-Bereich praktisch ausschließt, sagt Tromm, der am KIT das Helmholtz-Programm Nukleare Entsorgung, Sicherheit und Strahlenforschung (NUSAFE) leitet. Der rasant steigenden Strombedarf im Zuge der industriellen Entwicklung in Schwellenländern ist ausschließlich durch Solar- und Windanlagen nicht wirtschaftlich und zuverlässig zu decken.

Der Autor Petr Zikmund ist Tscheche, lebt seit 2016 in Deutschland und arbeitet als freier Journalist mit den Schwerpunkten Energiepolitik, -wirtschaft und -versorgung. 

Foto: Rosenergoatom

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Wolfgang Kaufmann / 21.12.2018

Mit Kernkraft ist Deutschland heillos überfordert. Als vor wenigen Jahren 2285 Atomkugeln vermisst wurden, stellte sich heraus, dass die Deutschen nicht einmal mehr ihre einstige Star-Technologie beherrschen, die penibel genaue Buchhaltung. Wobei uns gerade diese Disziplin in den arabischen Ländern die fast neidvolle Bewunderung deutscher Effizienz einbrachte.

annen nerede / 21.12.2018

Hoffentlich fährt niemand dagegen, wo es jetzt ja angefahren ist.

Werner Baumschlager / 21.12.2018

2019/2020 wird der Finnische EPR in Betrieb gehen. Auch das wird eine harte Zeit für die Talking Class in Deutschland werden.

Wilfried Cremer / 21.12.2018

“Nukleare Titanic” ist ein Schlagwort machtsüchtiger Geisteszwerge, die beim Bau eines Autobahnrings z.B. von “Strangulierung” (einer Stadt) sprechen usw.

Thomas Holzer, Österreich / 21.12.2018

Es ist egal, ob Kernkraft den CO2-Ausstoß reduziert oder nicht! Sie ist auf jeden Fall effizienter als Kohle. Außerdem wird schon an der “Vernichtung” des “Atommülls” intensiv geforscht, detto an der Kernfusion. Aber Deutschland schafft sich lieber ab, als in diese “Richtung” zu investieren

Thomas Bracht / 21.12.2018

Die ganzen zwielichtigen NGOs sind am geifern und haben jetzt Schaum vor dem Mund. Ich finde das super und die Russen stört das eh auf keinen Fall. Kerneregie ist bis heute die effizienteste Methode um Strom zu erzeugen.

Peter Rammstetter / 21.12.2018

Das mit den abwesenden Erfahrungswerten für Kernreaktoren auf Schiffen ist nicht korrekt. Es gibt weltweit zahlreiche zivile und Kriegsschiffe, die mit Kernreaktoren (>100MW) ausgerüstet sind und mir sowie meiner Suchmaschine ist kein nennenswerter Zwischenfall auf einem Schiff bekannt. Dazu scheinen selbst U-Boot Reaktoren recht sicher gebaut zu sein, da es zwar einige Unfälle gab mit derlei Booten (z.B. Kursk), allerdings standen diese nicht im Zusammenhang mit dem Reaktor. Wir hätten also 50 Jahre multipliziert mit weltweit >100 Schiffen und U-Booten, die gemeinsam 5,000 Jahre erfolgreiches “Testen” auf sich vereinen.

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