Es geht ja auch so: von hinten durch die kalte Küche. Die SPD muss keineswegs umfallen, um weiter an der Macht zu bleiben. Auf die Groko, die Große Koalition, von der die Genossen nie, nie wieder etwas wissen wollten, können sie getrost pfeifen. Während die einst so fröhlich vor sich hin sondierenden Jamaikaner nun in der Patsche ihres Hochmuts sitzen, haben die Sozialdemokraten plötzlich wieder festen Boden unter den Füßen.
Gelassen dürfen sie zuschauen, wie Angela Merkel vom Strudel ihrer eigenen Politik nach unten gezogen wird. So wie der Kanzlerin das Wasser bis zum Hals steht, kann sie nur noch um Gnade bei denen bitten, die sie bisher an der Leine führte.
Will sie ihren Posten wenigstens dem Anschein nach weiterhin ausfüllen, wird sie fortan selbst bei Fuß gehen müssen. Wie die „mächtigste Frau der Welt“ diese Niederlage verkraftet, bleibt abzuwarten. Ausweichen kann sie der Demütigung mitnichten. Zwar hat ihre Partei im Verbund mit der CSU trotz aller Verluste die Wahl noch einmal gewonnen.
Die Letzten werden die Ersten sein
Doch was nützen 246 von den 709 Sitzen des Bundestag, solange diejenigen, die noch schlechter abschnitten, dem angeschlagenen Sieger nicht beispringen wollen. Wahrhaft eine Ironie der Geschichte; ein politisches Exempel auf das Bibelwort, demzufolge die Letzten die Ersten sein werden. Vorausgesetzt, sie sind klug genug, ihre Chance zu erkennen und die Gunst der Stunde zu nutzten. Viel bedarf es dazu nicht.
Statt abermals in eine Groko einzutreten, müssten sich die Sozialdemokraten lediglich bereit erklären, eine Merkel-geführte Minderheitsregierung zu tolerieren. Damit hätten sie die Kanzlerin am Haken. Unverhofft kämen sie in die Lage, ihr die Agenda zu diktieren. Hinterlistig wäre der gordische Knoten der Parteien-Verstrickung durchschlagen. Die einen dürften sich einbilden, weiterhin zu regieren, während sich die anderen sehr viel realistischer in der Gewissheit wiegen könnten, dass ohne sie gar nichts geht.
Um nicht durchzufallen, müsste sich die Regierung bei allen Vorhaben, die der Zustimmung des Parlaments bedürfen, unterwürfig präsentieren, in vorauseilendem Gehorsam gegenüber dem tolerierenden Mitspieler. Gleich, ob es um die Einbringung des Haushals oder die Vorlage neuer Gesetze geht.
Ersatz für den Koalitionsvertrag
Auch müssten ihre Parteisoldaten manchem zustimmen, wovon sie sonst Abstand genommen hätten, in der Sozial- und der Flüchtlings- sowie in der Finanzpolitik. Das mündlich verabredete Toleranzedikt würde den bindenden Koalitionsvertrag ersetzen, der politische Kuhhandel vom Kabinettstisch in die Hinterzimmer des Bundestages verlegt.
Theoretisch könnten natürlich auch die übrigen Oppositionsparteien der Regierung von Fall zu Fall beispringen, um die SPD mit der einen oder anderen Ablehnung alt aussehen zu lassen. Praktisch indes wird das kaum möglich sein. Erstens sind sich zwei der parlamentarisch vertretenen Parteien, FDP (80 Stimmen) und Grüne (67 Stimmen), spinnefeind. Zweitens mögen sich die Linken (69 Stimmen) nicht in ein Boot mit den Liberalen setzen. Und drittens schließlich wollen alle zusammen nichts mit der AfD (92 Stimmen) zu tun haben.
Unterm Strich ein zersplitterter Haufen, dem die SPD mit 153 Stimmen gegenüber steht. Wer was damit ausrichten kann, lässt sich leicht errechnen. Auf der Hand liegt, dass CDU/CSU ohne die Zustimmung der SPD verloren wäre, indes es sich die SPD leisten kann, eine christlich-sozialdemokratische Regierung mit Angela Merkel als Frühstücksdirektorin zu tolerieren: Macht von hinten durch die kalte Küche auszuüben.
Was das nach sich zieht, werden wir noch teuer genug zu spüren bekommen. Schwere Dampfer sinken langsam. Angela Merkel macht da keine Ausnahme.