Die Neue Zürcher Zeitung erfreut immer mehr Leser in Deutschland mit ihren unaufgeregten und intelligenten Analysen. Aber wer hätte gedacht, dass sich die alte Tante, wie sie in der Schweiz liebevoll genannt wird, zum Enthüllungsorgan mausert?
Seit ihrer Erstausgabe im Jahre 1780 kann man der NZZ nicht vorwerfen, dass sie Schweizer Banken besonders kritisch gegenüber stehen würde. Dafür sorgte schon die engmaschige Vernetzung im Zürcher Wirtschaftsklüngel. Die NZZ war das Sprachrohr der Freisinnigen, die im Gegensatz zur deutschen FDP die Eidgenossenschaft seit 1848 prägen. Prägten. Mit ihrer politischen Dominanz ist’s vorbei. Ebenso die Zeiten, als ein Lukas Mühlemann Boss der Credit Suisse war, gleichzeitig im Aufsichtsrat der NZZ und auch bei der Swissair sass.
Die fliegende Bank flog gegen die Wand, Mühlemanns All-Finance-Strategie bei der CS scheiterte krachend, und die NZZ holte einen ziemlich grossen Verlust ab, weil sie ihre üppig sprudelnden Gewinne in Swissair-Aktien angelegt hatte. Das hinderte sie aber nicht daran, den Finanzplatz Schweiz und seine beiden Grossbanken zäh zu verteidigen.
Aber Zeichen und Wunder, plötzlich beisst die NZZ kräftig zu, und offensichtlich nicht mit dritten Zähnen. Sie knöpft sich die Credit Suisse vor, dass deren Führungszirkel, bei dem es bis heute zum guten Ton gehört, den Tag mit einem Gipfeli und der NZZ zu beginnen, der Angstschweiss ausbricht.
Am Sonntag begann die NZZ mit einer wahren Hinrichtung des Leistungsausweises des CEO der Bank. Tidjane Thiam hat seit seinem Amtsantritt vor fast fünf Jahren den Aktienkurs, der schon vorher im Keller dümpelte, nochmals halbiert. Die Gewinnziele musste er ständig nach unten korrigieren; der Vorsteuergewinn dürfte dieses Jahr nochmal 10 Prozent kleiner sein als vor dem grossartigen von ihm ausgelobten "Umbau".
Rote Zahlen, schwarze Zukunftsaussichten
Vernichtend endet die Abrechnung damit, dass Thiam vor Investoren eingestehen musste, dass die Grossbank "nicht einmal die Kapitalkosten decken kann". Betitelt ist diese Negativ-Bilanz mit: "Und wieder geht ein Stück Glaube an die Credit Suisse verloren". Denn Thiam habe keine einzige seiner Gewinnankündigungen eingehalten. Mit einer Ausnahme: Sein Millionengehalt bleibt von solchen Petitessen unberührt.
Rote Zahlen, schwarze Zukunftsaussichten, eine Schneise der Zerstörung, die die Führungscrew in den Börsenwert, die Rendite, die Kapitalkosten geschlagen hat, während sich die Bank aus bilanzkosmetischen Gründen von einer der letzten grossen Immobilien in ihrem Besitz trennt. Ihr Vorstandsvorsitzender Urs Rohner, der den Übernamen "weisse Weste" trägt, seit er sich eine solche im Steuerstreit mit den USA bescheinigte, obwohl die CS eine Multimilliardenbusse zahlen musste, sitzt wie mit Teflon beschichtet seit Jahren alles aus.
Als seien das der schlechten Nachrichten nicht schon genug, erschüttert ein Beschattungs-Skandal die Bank. Ein Mitglied der Geschäftsleitung, zudem enger Vertrauter von Thiam, hatte die Überwachung eines anderen Geschäftsleitungsmitglieds angeordnet, das zur Konkurrenz abgesprungen war.
Der Auftraggeber und der Sicherheitschef der Bank mussten gehen, Thiam und Rohner hatten von diesem "isolierten Einzelfall" selbstverständlich nichts gewusst. Rohner empörte sich, dass es fast unglaublich sei, dass so etwas vorkomme. Ach ja?
Wie die NZZ gerade enthüllte, ist es noch unglaublicher, wenn sich das steigern liesse. Auch das Geschäftsleitungsmitglied Peter Goerke war beschattet worden, wie die alte Tante aufgrund erdrückender Dokumente und Belege beschreibt. Goerke war der oberste Personalchef der Bank. Er war als weiterer Vertrauter von Thiam zur CS geholt worden.
Rote Zahlen, schwarze Zukunftsaussichten
Aber kurz nach dieser Beschattung verlor Goerke Posten und Sitz in der GL, er wurde zum "Senior Advisor" weggelobt. Ein weiterer isolierter Einzelfall? Letzte Woche wurde bekannt, dass in den USA eine Compliance-Chefin die CS vors Arbeitsgericht zerrt. Sie sei von ihrem inzwischen Ex-Arbeitgeber überwacht und eingeschüchtert worden.
Die zweitgrösste und systemrelevante Bank der Schweiz: ein Tollhaus. Eine Schande. Führungskräfte, die Räuber und Gendarm spielen. Alphatiere, die nicht mal in der Lage sind, einen kleinen Nachbarschaftsstreit um zwei Bäume, die die Aussicht auf den Zürichsee versperren, zivilisiert zu lösen. Und über all dem thront ein Verwaltungsratspräsident, dem es nur darum geht, seine "weisse Weste" jeden Tag anziehen zu können.
Rote Zahlen, schwarze Zukunftsaussichten, was soll’s, die Führungscrew ist mit Wichtigerem beschäftigt. Mit Ranküne und Machtspielchen. Schlauere CS-Kunden fragen sich: Ist mein Geld bei einer solchen Bank wirklich richtig angelegt? Schlauere CS-Kunden fragen sich: Was ist bei dieser Bank eigentlich noch vertraulich? Aus der tropfen doch interne Informationen wie aus einer Giesskanne. Damit nicht genug: Diese erste Enthüllung in der NZZ ist der Anfang einer dreiteiligen Serie.
In der Fortsetzung beschreibt die NZZ aufgrund von Untersuchungsakten einen weiteren Skandal im Skandal. Nämlich wie stümperhaft, wie unfähig, wie ratlos sich von der Geschäftsleitung abwärts alle CS-Stellen verhielten. Die Detektive, die den zum direkten Konkurrenten UBS abgeschwirrten ehemaligen CS-Führungskader Iqbal Khan beschatteten, waren einfach zum Weitermachen aufgefordert wurden, als sie schwere Bedenken bei der Fortsetzung der Überwachung äusserten. Und nachdem der Skandal auf offener Strasse explodiert war, wollte offenbar niemand bei der CS auf das Angebot Khans eingehen, das friedlich zu lösen.
Stattdessen wurde weiter getrickst und gestolpert, zuerst eine Beteiligung der CS an der Überwachung abgestritten, um sie anschliessend als Privatangelegenheit zu bezeichnen. Dann wurde der Name der Detektei den Medien durchgestochen, um den Druck umzulenken. Die CS liess ein Memo der Schnüffler an die Medien durchsickern, allerdings um den wichtigen letzten Satz gekürzt: "Wir gehen davon aus, dass Sie den Namen unserer Firma sowie Details zum Auftrag und zur Auftragsausübung nicht kommunizieren."
Wie bekleckert man Reputation am besten?
Als der Skandal richtig Fahrt aufnimmt und international für Schlagzeilen sorgt, "bricht laut Beteiligten Hektik, ja sogar die Panik aus, zwischen der CS, den verschiedenen Anwaltskanzleien und involvierten PR-Büros", schreibt die NZZ. Wäre die Aufgabenstellung gewesen: Wie bekleckert man Reputation, Ruf, Image der Grossbank am besten, es wären nur Sieger vom Platz gelaufen.
Stattdessen ruiniert der öffentlich bekannt gewordene Name der Detektei deren Geschäft, sie muss die Bücher deponieren. Aber noch fataler: Zunächst hatten sich der CS-Sicherheitschef und der von der Bank bei solchen Aufträgen als Mittelsmann verwendete ehemalige Polizist freiwillig zur Polizei begeben und ihre Rolle bei der Beschattung gebeichtet. Allerdings ohne den oder die Auftraggeber zu nennen.
Nachdem es dem Mittelsmann klar geworden war, dass die Bank keinerlei Loyalität kennt, fürchtete er dermassen um seinen eigenen Ruf und seine Zukunft, dass er seinem Leben ein Ende setzte, nachdem der erste Journalist mit ihm Kontakt aufgenommen hatte. Für teures Geld liess sich die CS dann von der Grosskanzlei Homburger einen "Untersuchungsbericht" erstellen. Der wunschgemäss zum Ergebnis kam, dass weder der CEO noch der VR-Präsident noch die übrigen Mitglieder der Führungszirkel, ausser dem engsten Vertrauten von Thiam in der Geschäftsleitung, von dieser Überwachung gewusst hätten.
Das las Rohner emotionslos an einer Pressekonferenz vom Blatt; sein CEO hat sich bislang noch kein einziges Mal öffentlich geäussert. Mit den Enthüllungen der NZZ ist es klar, dass sich die übliche Verteidigungslinie – Einzelfall, Überschreitung von Kompetenzen, zwei Bauernopfer werden in die Wüste geschickt, das Führungsduo macht weiter – nicht halten lässt.
Wie wird’s weitergehen? Eine Prognose sei gewagt. Der VRP Rohner kann den CEO Thiam entlassen, umgekehrt geht nicht. Also wird wohl der eine den anderen opfern, um selbst auf dem Sessel kleben zu bleiben. Was hat das alles mit verantwortlichem Handeln von Angestellten im Dienste ihres Arbeitgebers, den Aktionären der CS, zu tun? Nichts.
Bei der Grossbank liegt also einiges im Argen, vor allem im Kopf des Fisches. Aber geradezu erfrischend und erfreulich ist, wie die sonst sich wirklich meist um vornehme Mässigung bemühte NZZ plötzlich einen zweiten Frühling erlebt. Wohldokumentiert und munter die CS und ihr Führungsduo gegen die Wand klatscht.
Dabei runzelt das Blatt so zurückhaltend die Stirn, wie es sonst nur die Queen mit ihrem "not amused" hinkriegt: "Die Beschattung von Iqbal Khan, dem früheren Chef der internationalen Vermögensverwaltung bei der CS, wäre damit doch kein "isolierter Einzelfall", wie Thiam und CS-Verwaltungsratspräsident Urs Rohner im Nachgang der Affäre Khan in mehreren Stellungnahmen beteuerten. Das liesse nur einen Schluss zu: Entweder nehmen sie es mit der Wahrheit nicht genau, oder sie sind nicht im Bild darüber, was in der Konzernleitung ihrer Bank geschieht – beides müsste zu denken geben."
"Beides müsste zu denken geben", das ist NZZ-Stil für: Pfeifen, abtreten.