Sebastian Bauer, Gastautor / 12.01.2021 / 12:00 / Foto: Pixabay / 54 / Seite ausdrucken

Schwedischer Weg gescheitert?

Von Sebastian Bauer.

Vor Kurzem wurde das neue schwedische Pandemiegesetz verabschiedet und trat dann am 10.1. 2021 in Kraft. In Teilen der deutschen Medienlandschaft (etwa hier im Tagesspiegel),   ist die Botschaft eindeutig: "Schwedens Scheitern – der Sonderweg führt in die Sackgasse". Zum wiederholten Male konstatiert man das Scheitern des "schwedischen Sonderwegs". Aber wie sieht es wirklich aus? Dazu vorab ein Satz zum neuen Pandemiegesetz aus dem Svenska Dagbladet: "Pandemilagen innehåller ingen öppning för regeringen att besluta om allmänna undantagstillstånd av det slag som förekommer i andra länder."  Übersetzt: "Das Pandemiegesetz eröffnet der Regierung keine Möglichkeit, einen allgemeinen Ausnahmezustand zu erklären, wie es in anderen Ländern geschehen ist".

Die Berichterstattung, erfordert, wenn man – wie ich – in Schweden lebt und die Coronastrategie der vergangenen 9 Monate der schwedischen Behörden und Politiker größtenteils gut fand, einiges zu erklären und zu verteidigen. Hin und wieder versuchte ich mich daran und schrieb erklärende, faktenzitierende, schlimmer noch, „relativierende“ Kommentare (z.B. zum Thema Übersterblichkeit als besseres Maß für die Beurteilung der Krise). Ich erinnere mich noch heute deutlich an eine Antwort auf solch einen Kommentar.

Er lautete sinngemäß (aus dem Gedächtnis) so: „In Schweden haben sie die Alten verrecken (sic!) lassen, um die Wirtschaft zu schützen!“ Eine Ansicht, die sich auch heute noch in deutschen Medien regelmäßig wiederfinden lässt. Sogar „unser“ Carl-Gustav, der 16. seines Namens, hat sich ähnlich geäußert, nur etwas gewählter (immerhin, wo er schon selber nicht gewählt wurde). Ich frage mich dann: „Wo lebe ich eigentlich? In einem Land, in dem man altehrwürdige Traditionen wieder aufleben lässt?“. Ich denke da an die „Ättestupa“. Die Klippe von der man vor langer Zeit „die Alten“ geworfen hat, weil sie nicht mehr zum Lebensunterhalt beitragen konnten. Ob es das wirklich gab oder nicht, scheint umstritten; aber wahr ist sicherlich, daß früher das Leben extrem hart war (in Schweden sicherlich noch härter als in wärmeren Gegenden) und dass wir in wahrhaft luxuriösen Zeiten leben.

Kleine Anmerkung am Rande: Ich bin der Meinung, dass Schweden sich sozusagen am eigenen Schopfe aus dem Sumpf der Armut gezogen hat; durch harte Arbeit, Bescheidenheit, Zusammenarbeit und Vertrauen in die Obrigkeit – was diese nicht allzu oft enttäuscht hat. Sich 200 Jahre lang aus Kriegen, inklusive dem Zweiten Weltkrieg, rauszuhalten, hat sicherlich auch beigetragen. Ausbeutung von Kolonien wohl eher weniger (aber wer weiß, immerhin war Vorpommern 167 Jahre lang schwedische „Kolonie“, von  Finnland ganz zu schweigen).

Natürlich hätte man manches besser machen können.

Das „Verrecken lassen“ ist natürlich absurd, was jeder, der Schweden ein bisschen
kennt, sofort versteht. Leider sind das nicht alle, weshalb ich hier gerne ein paar
Fakten zur Verfügung stelle, die vielleicht dem einen oder anderen „Schweden-Versteher“
Argumentationshilfe für Gespräche im erkenntnisoffenen Freundeskreis gibt. In meinem ersten „Brief aus Schweden“ habe ich eigentlich das Wesentliche schon gesagt. Die Übersterblichkeit 2020 in Schweden ist vergleichbar mit der Übersterblichkeit mancher Jahre des 21. Jahrhunderts. Was vor ein paar Jahren akzeptabel war, sollte heute nicht als Katastrophe bezeichnet werden. Was nicht heißen soll, dass alles toll war.

Natürlich hätte man manches besser machen können. Erfreulicherweise wurde dies auch von einigen Verantwortlichen (z.B. A. Tegnell) ausgesprochen. Leider hatte dies nicht die erhoffte Vorbildfunktion in D (z.B. „die Schweden“ gestehen Fehler ein, lass uns auch ein paar Fehler eingestehen und den besten Mittelweg finden...“) sondern eher zu einem erfreuten: „Endlich geben sie es zu, dass sie von A bis Z Mist gebaut haben“ geführt.
Was dann gerne als Hauptargument angeführt wird, ist der „Coronaopfer“-Vergleich
zwischen Schweden und seinen Nachbarländern (DK/FI/NO). Auf den ersten Blick
sieht es da wirklich düster aus für Schweden. Am 2. Januar 2021 hatte Schweden 856, Dänemark 232, Finnland 102 und Norwegen 81 Menschen (pro Million Einwohner), die an oder mit Corona gestorben sind. Im europäischen Vergleich sieht es da schon "besser" aus; Schweden im Mittelfeld und weit vorne Belgien mit 1.714 Toten pro Million.

Eigentlich müsste man hier die Zählweise der Länder abgleichen, aber das sprengt den Rahmen des Beitrages. Keine Frage, wenn man die Zahl der Coronaopfer im Stil des bayerischen Ministerpräsidenten vergleicht (abstürzende Jumbo-Jets mit zufälliger Passagierzusammensetzung), hat Schweden versagt (zumindest im skandinavischen Vergleich). Wenn man sich aber anschaut, wer da gestorben ist und wie die allgemeine Sterblichkeit 2019 war, kommt ein viel differenzierteres Bild dabei heraus. Dieses Argument hat zum Beispiel der Stockholmer Arzt Sebastian Rushworth hier untersucht. Für Schweden gibt es zahlreiche Belege dafür, dass sehr viele „Coronaopfer“ sich in ihrer letzten Lebensphase befanden. Also in einem Zustand, in dem ein „gewöhnlicher Schnupfen“ schon eine Mortalität von 10 Prozent oder mehr haben kann. 

Was war jetzt anders zwischen Schweden und seinen Nachbarn? Ein wichtiger Unterschied war die unterschiedliche Mortalität in den nordischen Ländern im vorletzten Jahr 2019. Laut Rushworth lag Schweden 2019 hinsichtlich der Mortalität 2,5 Prozent unter dem 5-Jahres-Durchschnitt (deutliche Untersterblichkeit). Norwegen hatte 2019 durchschnittliche Sterblichkeit, und sowohl Dänemark als auch Finnland lagen 1 Prozent über
dem 5-jährigen Durchschnitt (Übersterblichkeit). Das bedeutet, dass in Schweden Anfang 2020 eine ungewöhnlich hohe Anzahl von gebrechlichen Alten lebten, die 2019 auf Grund infektionstechnisch glücklicher Umstände überlebt hatten. Als dann das extrem infektiöse Coronavirus kam, führte es dann im Frühjahr schnell zu vielen Opfern bei "den Alten" in Schweden, also ein umgedrehter (zeitlich rückwärts statt vorwärts) "harvesting-effect".

Der schwedische Weg war größtenteils erfolgreich

Um diese Angaben zu überprüfen, habe ich bei SCB (statistiska centralbyrån) die Excel-Datei mit den durchschnittlichen Todesfällen pro Tag für die Jahre 2015–2020 herausgesucht (Datum: 4.1.2021) und den Jahresdurchschnitt (Todesfälle pro Tag) für die Jahre 2015–2020 ausgerechnet; für die letzten beiden Wochen des Jahres 2020 habe ich die Todeszahlen der vorangegangenen Woche übernommen, da die eingetragenen Zahlen zu niedrig, weil nicht final, sind; der entstehende Fehler sollte vernachlässigbar sei. Dabei kam Folgendes heraus (in Klammern die prozentuale Abweichung vom Fünfjahres-Jahresdurchschnitt von 246,5 Toten pro Tag)

2020: 259,2 Tote pro Tag (+5,1%)
2019: 236,2 Tote pro Tag (-4,2%)
2018: 245,9 Tote pro Tag (-0,3%)
2017: 247,4 Tote pro Tag (+0,3%)
2016: 243,6 Tote pro Tag (-1,2%)
2015: 246,9 Tote pro Tag (+0,2%)

Natürlich ist dies kein professioneller statistischer Vergleich (für diesen müsste man u.a. den Effekt der mit >1 Prozent jährlich wachsenden schwedischen Bevölkerung berücksichtigen). Ich wage dennoch zu behaupten, dass dies aussagekräftig genug ist, um zu konstatieren: Diese Zahlen bestätigen Rushworths Behauptung, dass man in der Bewertung der schwedischen Sterblichkeit 2020 die ungewöhnliche Untersterblichkeit 2019 (die niedrigste absolute Zahl an Toten in Schweden seit 1977, trotz deutlich gewachsener Bevölkerung) berücksichtigen muss. Wenn man dies tut, weist Schweden eine nicht sehr ungewöhnliche Sterblichkeit für die kombinierten Jahre 2019/2020 auf.

Um auf den Anfang des Artikels zurückzukommen: Ist das schwedische Pandemiegesetz ein Beweis für das Scheitern des schwedischen Wegs im Coronajahr 2020? Wenn man die Sterblichkeit des Jahres 2020 im langjährigen wie im kurzjährigen als auch im europäischen Vergleich berücksichtigt, kann man nur zum Schluss gelangen, dass der schwedische Weg alles andere als gescheitert ist. Die Behauptung des Tagesspiegel ist also "bullshit" und eher "Coronakriegspropaganda " als eine Nachricht.

Im Gegenteil, der schwedische Weg [und damit meine ich nicht nur die getroffenen Maßnahmen, sondern in erster Linie das, dem "schwedischen Wesen" entsprechende sorgfältige und ruhige Abwägen, das Vertrauen in die Behörden (Folkhälsomyndigheten) und die Einhaltung der schwedischen Gesetze, die einen Lockdown verbieten] war größtenteils erfolgreich. Trotz eines enormen medialen und auch Gruppendrucks vonseiten der meisten europäischen Länder. Was auch dazu geführt hat, dass der eine oder andere Schwede zum ersten Mal in seinem (oder Ihrem) Leben Stolz auf sein/ihr Land empfunden hat. 2020 war ein hartes Jahr, natürlich auch in Schweden, und natürlich ist nicht alles perfekt, aber ich bin, mehr als je zuvor froh und dankbar, in diesem Land leben zu dürfen. 

Man sollte allerdings auch erwähnen, dass es auch differenziertere Berichterstattung in Deutschland zum Beispiel bei der TAZ gibt. Die schreibt: "Seit Herbst hat man das besser im Griff, nun ist die Sterblichkeit geringer als etwa in Deutschland. Die aktuelle 14-Tage-Inzidenz der EU-Gesundheitsbehörde ECDC zählt 10 Coronatote pro 100.000 EinwohnerInnen für Deutschland und 3,3 für Schweden." 

Kleine Anmerkung am Rande. Zu diesem Zeitpunkt ist Schweden auf dem 26. Platz der entsprechenden Coronasterblichkeitsliste, bestehend aus 30 europäischen Ländern, zur Erinnerung: ohne Maske, ohne Restaurantschließungen, ohne Einschränkung der Grundrechte, ohne Bußgelder, ohne Reisequarantänepflicht usw, usw. Weiterhin schreibt die TAZ: "Von einem Lockdown ist Schweden also noch weit entfernt. Eine Ausgangssperre wäre nach wie vor verfassungswidrig". Schon interessant, in welchen Medien man in Deutschland im Jahre 2020 Nachrichten und in welchen man "Propaganda" bekommt.

P.S: Als Bonus: interessante neue Forschungsergebnis zum Thema: Corona und die Neandertaler: Hier kann man lesen: „The major risk factor for severe Covid-19 is inherited from Neanderthals“. Das entsprechende Gen (der größte Risikofaktor für einen schweren Covid-Verlauf) ist besonders häufig in Südasien (50 Prozent), weniger in Europa (16 Prozent) und quasi nichtexistent in China. Damit lösen wir auch die „Chinafrage“ elegant. Die haben einfach Glück gehabt mit Ihren Genen, und „wir“ können damit aufhören, ihren autoritären Stil zu bewundern. Und, wer weiß, vielleicht hat ein Coronavirus die Neandertaler ausgerottet." 

 

Dr. Sebastian Bauer ist promovierter Chemiker, lebt seit 1999 in Schweden und hat 20 Jahre in der pharmazeutischen Entwicklung gearbeitet.

Foto: Pixabay

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Kostas Aslanidis / 12.01.2021

Die Verbissenheit, Arroganz und Rechthaberei ist Merkmal der deutschen Politik und Presse. Weiter so Schweden, wenigstens in dieser hinsicht, denn in illegalle Einwanderung sind die Schweden noch naiver.

Ralf.Michael / 12.01.2021

Ich hatte dies jetzt aus dem Medien bisher so verstanden, dass die Schweden fast ausgestorben sind…Bin ich schon wieder einem Fake aufgesessen ?  Mist !

Silas Loy / 12.01.2021

Schweden ist ein grosser Erfolg gemessen an dem Irrsinn von Politikern wie Merkel und ihren 16 Zwergen. Schweden ist der Beweis dafür, dass nicht einfach “Corona” die sozialen und wirtschaftlichen Schäden verursacht hat, sondern die Fehlentscheidungen verantwortlicher Parlamente und Regierungen. Als König Carl Gustav XVI. den schwedischen Weg als gescheitert bezeichnete, war für jeden Beobachter klar, dass auch Könige politischen Weisungen unterliegen und dass ab nun die Wissenschaftler ausgebootet sind und die Politiker auch in Schweden übernommen haben, um auch dort das fadenscheinige Märchen vom Killervirus und der gefährlichen Pandemie zu verbreiten. Mögen die Medien mit ihnen sein, das rundet das Gesamtbild nur noch weiter ab.

Emma W. in Broakulla / 12.01.2021

Vielen Dank wieder mal fuer den Brief aus Schweden.  - ” 2020 war ein hartes Jahr, natürlich auch in Schweden, und natürlich ist nicht alles perfekt, aber ich bin, mehr als je zuvor froh und dankbar, in diesem Land leben zu dürfen. ”  -  Meinem Mann und mir geht es genau so ! Wir sind froh hier leben zu duerfen! Wir wohnen seit 2009 in Schweden und sind aber schon 25 Jahre eng mit Schweden verbunden.

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