Henryk M. Broder / 11.03.2019 / 10:00 / Foto: Malene Tyssen / 49 / Seite ausdrucken

Schweden, unser großes Vorbild

Am 5. September erschien in der Augsburger Allgemeinen ein längeres Interview mit dem Pastor einer Freikirche, der einen Verein gegen Menschenhandel gegründet hatte. Die Überschrift lautete: "Pfarrer will Sex mit Prostituierten verbieten". Gleich zu Anfang des Interviews stellte der Geistliche allerdings klar, er denke nicht an ein generelles Verbot der Prostitution, er wolle nur "etwas tun für Frauen, die in der Prostitution ausgenutzt und ausgebeutet" würden. Prostitution funktioniere nur, "weil die Nachfrage da ist", würde "die Nachfrage minimiert", würde es auch "weniger Prostitution geben". Deswegen müssten nicht die Prostituierten, sondern die Freier verfolgt werden, eine Idee, die in Schweden bereits praktiziert würde.

Interessant am "schwedischen Modell" sei, dass "die Frauen, die auf dem Straßenstrich stehen, nicht dafür belangt werden. Sie dürfen da stehen. Wenn die Polizei aber sieht, dass ein Mann zu der Frau geht, dann wird dieser Mann für den versuchten Sexkauf belangt".

Noch mindestens dreimal mehr erklärt der Augsburger Geistliche Schweden zum Vorbild. "In Schweden gibt es seit dem Verbot des Sexkaufs nicht mehr Vergewaltigungen, sondern eher weniger." - "In einem Land wie Schweden, wo Sexkauf verboten ist, ist eine Bewusstseinsänderung entstanden. Frauen sind keine Ware." – "Aber es gibt ja gute Vorbilder, allen voran waren es die Schweden, die vor mehr als zehn Jahren ein Gesetz eingeführt haben, das Sexkauf unter Strafe stellt."

Jetzt kommen die Prostituierten zu den Freiern

Wie weit Schweden im Kampf gegen Prostitution und Vergewaltigungen als Vorbild taugt, darüber gehen die Ansichten und Berichte auseinander. Was Prostitution angeht, scheint es so zu sein, dass mehr Prostituierte zu den Freiern gehen als umgekeht. Die Pizza-Lieferdienste boomen, was nach der Zustellung passiert, kann die Polizei nicht kontrollieren. In der Vergewaltigungs-Statistik hält Schweden einen Spitzenplatz, was einige Experten damit erklären, dass "Vergewaltigung" in Schweden strenger definiert wird als in anderen europäischen Ländern. Andere sehen einen Zusammenhang zwischen Zuwanderung und sexueller Gewalt. Hier, hier und hier. Wie immer kommt es darauf an, wie man eine Statistik erstellt und sie hinterher interpretiert.

Neugierig geworden, schrieb ich den Pastor an und bat ihn, mir eine "verlässliche Quelle" für seine Behauptung zu nennen, in Schweden gebe es "seit dem Verbot des Sexkaufs nicht mehr Vergewaltgungen, sondern eher weniger". Es dauerte eine Weile, bis ich eine Antwort bekam. Der Pastor zog erst einmal Erkundigungen über mich ein und schickte mir dann eine lange E-mail, in der er u.a. darüber räsonierte, "wie man das gängige Frauenbild in unserer Gesellschaft" ändern könnte, "das Frauen zu einer Ware degradiert, die man kaufen und verkaufen darf, wie man will." – "Außer der Idee eines Sexkaufverbotes, wie es in Schweden seit 1999 existiert, ist mir bisher keine sinnvolle Alternative bekannt."

Es gibt keine verlässliche Studie oder ähnliches

Auf meine konkrete Frage nach einer "verlässlichen Quelle", teilte er mir mit: "Tatsächlich habe ich länger darüber nachgedacht, ob ich den Satz im Interview, in dem ich behaupte, dass es in Schweden „seit dem Verbot des Sexkaufs nicht mehr Vergewaltigungen, sondern eher weniger“ gibt, streichen lassen soll. Denn ich habe dazu keine verlässliche Studie oder ähnliches. Nur die Einschätzung eines Partners in Schweden, mit dem wir im Gespräch sind. Die Studien, die es zum Thema Vergewaltigungen gibt, beziehen sich fast immer auf angezeigte Vergewaltigungen. Damit ist aber nichts zur Dunkelziffer und zur tatsächlichen Zahl der Vergewaltigungen gesagt. Ich habe mich letztlich doch entschieden, den Satz im Interview zu belassen, um dadurch zu provozieren und Menschen ins Nachdenken zu bringen und sie zu motivieren, selbst zu dem Thema zu recherchieren."

Ein toller religionspädgogischer Ansatz. Man behauptet etwas, für das es keinen Beleg gibt, und sagt hinterher, man habe "Menschen ins Nachdenken... bringen" und sie motivieren wollen, "selbst zu dem Thema zu recherchieren".

Das Modell ist ausbaufähig. Wie wäre es damit: Ich behaupte, die Erde ist rund, aber flach wie eine Karlsbader Oblate und fordere Sie auf, selbst zu dem Thema zu recherchieren. Sollten Sie Hilfe brauchen, wenden Sie sich an einen Pfarrer ihres Vertrauens. 

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Frank Box / 11.03.2019

“Die Pizza-Lieferdienste boomen, was nach der Zustellung passiert, kann die Polizei nicht kontrollieren” - Herr Broder, ich gratuliere zu dieser Geschäftsidee: Nutten-Lieferdienst. - Man müsste nochmal jung sein und Geld brauchen…

A.W. Gehrold / 11.03.2019

Gäbe es BRODER nicht schon: Man müsste ihn erfinden !!! Danke.

Paul Braun / 11.03.2019

Das ist adrett, wie der Pastor hier Zeugnis gibt. Das achte von den 10 Geboten der Organisation die er vertritt, sollte ihn allerdings etwas demütiger sprechen lassen. Hat er vielleicht vergessen, klar ist ja auch eine schwere Zeit. Die Schäfchen bloggen.—- Unter den 10 Geboten findet sich allerdings keines, dass Prostitution thematisiert. Also etwa dergestalt: “Du sollst nicht begehren eine Frau, die auch dich begehrt, wenn du sie dafür entlohnst.” Mist!—- Angesichts der wachsenden Aufdeckung von Fiktion in der öffentlichen Wirklichkeitsdarstellung, plädiere ich für die Ausrichtung eine Preises an geeignete AutorInnen. Eventuell könnte man ihn den “Relotius-Award” nennen - klingt so weltoffen - oder den Prantl-Preis - klingt a bissel deutsch. Ich halte es für angemessen, dass dieser Preis zuerst auf deutschem Boden überreicht wird - dem Mutterland politischer Desinformation.

Dr. Roland Mock / 11.03.2019

Die von Weltfremdheit und einem ganz offenbar sehr problematischen Verhältnis (oder Nichtverhältnis) zur Weiblichkeit geprägten Äußerungen dieses „ Geistlichen“ wären an sich nicht der Erwähnung wert. Ich stelle mir eher die Frage, was eine deutsche Tageszeitung reitet, solchen Schwachsinn zu verbreiten?

Immo Sennewald / 11.03.2019

Sieht aus, als habe dieser Pfarrer lange vor Frau Wehling das Prinzip des “Framens” begriffen und zu seiner moralischen Geschäftsgrundlage erhoben. Oder ist es nicht vielmehr schon seit Jahrhunderten Grundlage der Kirchen?

Frank Holdergrün / 11.03.2019

Die Unterarten der Fake News für Gutmenschen boomen und diese ist ebenso schamlos wie jene Veröffentlichungen zum aktuellen Wahlverhalten, Stimmungsbarometer aus der Wünsch Dir Was Liste der Parteien und ihrer willfährigen Forscher. Gutes muss immer Recht behalten und Hochmoral bestätigt sich selbst.  Dass der Mensch von Natur aus gut sei, diese merkwürdige Idee trägt in Schweden reiche, auch verbotene und irre Früchte.

Rudolf George / 11.03.2019

Das „schwedische Modell“ war schon immer so eine seltsame Sehnsucht der Linken. Schweden scheint überhaupt ein deutscher Traum zu sein, wie man an der Vielzahl von Titeln in der Unterhaltungsliteratur erkennen kann. Natürlich funktioniert diese Sehnsuchtsprojektion gerade deshalb so gut, weil so wie keiner das Land tatsächlich kennt. Was speziell den angesprochenen Pastor angeht, möchte ich aber auch festhalten, dass sein Engagement sehr löblich ist. Menschenhandel ist ein ernstes Problem, das mehr Aufmerksamkeit verdient, aber leider im Getöse der Klimahysterie untergeht bzw. tendenziell vernachlässigt wird, weil es nicht in die zeitgeistigen Narrative von „offenen Grenzen“ und „Sexarbeit als normalem Beruf“ passt.

Joachim Lucas / 11.03.2019

In der Vulgär-Rhetorik gibt es den Satz: “Lieber eine stramme Behauptung als ein schlapper Beweis”. Bei dem Pfarrer fehlt es sicher nicht an Realitätsferne, denn das ist ein Gütesiegel aller Ideologen. In der Logik gibt es den Satz: Der Behauptende ist beweispflichtig! Aber damit hat die Kirche generell ein Problem.

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