Claudio Casula / 27.08.2021 / 06:00 / Foto: FaceMePLS / 102 / Seite ausdrucken

Schweden-Bashing: FR ballert mit nasser Munition

In der Frankfurter Rundschau wird ein kläglicher Versuch unternommen, Schwedens Corona-Politik vollkommenes Scheitern zu attestieren – und die FR scheitert selbst kläglich.

Dass der schwedische Sonderweg in der Corona-Krise ein Holzweg sei, galt vor allem in Deutschland von Anfang an als ausgemachte Sache. Statt sich zu freuen, dass hoch im Norden Europas ein Land mit sogar leicht höherem Urbanisierungsgrad durch seinen alles andere als hysterischen Umgang mit dem Virus bewies, dass man auch ohne Lockdowns und allerlei drakonische Maßnahmen ganz ohne Leichenberge durch die „Pandemie“ kommen kann, und sich ein Beispiel an ihm zu nehmen, waren Politiker wie Markus Söder im Verein mit der regierungstreuen deutschen Presse stets darauf erpicht, Indizien für das Scheitern Schwedens zusammenzutragen. Und dort, wo keine zu finden waren, wenigstens zu insinuieren, dass die Schweden es vermasselt haben – im Gegensatz zu unseren weisen Führern und ihren Beratern.

Ein aktuelles und besonders armseliges Beispiel liefert Mirko Schmid in der Frankfurter Rundschau, Mark Twains Bonmot bestätigend, dass, wer keine Zeitung lese, nicht informiert sei, wer aber eine Zeitung lese, falsch informiert.

„Im Vorjahr hat sich Schweden entschieden, Corona-Lockdowns zu vermeiden: Die Sterblichkeitsrate ist deutlich höher als in den Nachbarstaaten. Fachleute ziehen Bilanz“, schreibt Schmid. Tatsächlich beruft er sich auf allerlei „Forschende“, „Expert:innen“ und „Ärzt:innen“, kann aber gerade mal drei zitieren, darunter mehrmals eine Claudia Hanson, Professorin am schwedischen Karolinska-Institut, die den Staatsepidemiologen Anders Tegnell attackiert: „Ist er Gott oder sogar größer?“ Man mag sich ausmalen, wie Schmid über einen Kritiker berichten würde, der sich so etwa über Professor Drosten äußerte.

Aber Seriosität ist Mirko Schmids Sache nicht, und Recherche, so legt sein Schmierenstück nahe, hält er für ein französisches Schimpfwort. Stattdessen setzt er auf selektive Quellen, willkürliche Vergleiche und Ausblendung der Zusammenhänge und Hintergründe – ein ganz mieses Stück Journalismus. „23 schwedische Ärzt:innen und Forschende“, die die Corona-Politik kritisierten, dienen ihm als Beleg, dass die Regierung mit ihrer „Laissez-faire-Maskenpolitik“ völlig danebenlag und -liegt (während jeder Kritiker bei uns in der „Schwurbler“-Ecke verortet wird), und dass diese Kritik vom Juni 2020 datiert, also gut 14 Monate her ist, in denen sich eine ganze Menge getan hat, ficht Schmid auch nicht an.

Agitprop von heute mit den Zahlen von vorgestern

Denn der ganze Artikel, der das „Scheitern des lockeren Sonderweges“ behauptet, bezieht sich ausschließlich auf die Zeit zwischen dem Beginn der Corona-Krise und dem Winter 2020. Er erwähnt den vergleichsweise geringen Rückgang der Mobilität der Bevölkerung „von März bis Mai des vergangenen Jahres“, die Schließung von Gymnasien und Universitäten „im Frühling 2020“, die Entscheidung für eine No-Lockdown-Strategie „im März 2020“, das Schrumpfen der schwedischen Wirtschaft „von April bis Juni letzten Jahres“, die steigende Zahl von Krankenhausaufenthalten und Todesfällen „von Oktober bis Dezember 2020“ und zitiert Lars Calmfors, Mitglied der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften, dessen Äußerung „Länder mit zwangsweisen Beschränkungen haben es besser gemacht als wir“ aus dem Dezember 2020 stammt.

Allerdings sieht es fast ein Dreivierteljahr später so aus: Mit 14.668 an oder mit Corona Verstorbenen bei 10,3 Millionen Einwohnern steht Schweden nicht dramatisch schlechter da als Deutschland (92.022 „Corona-Tote“ bei 83 Millionen Einwohnern). Schmid vergleicht Schweden daher lieber mit den skandinavischen Nachbarstaaten:

„Heute weist Schweden eine deutlich höhere Sterblichkeitsrate als seine Nachbarländer auf. 145 je 100.000 Menschen in Schweden verloren ihr Leben an das Coronavirus, das sind rund dreimal mehr als in Dänemark, achtmal mehr als in Finnland und fast zehnmal mehr als in Norwegen.“ Stand heute verzeichnet Schweden allerdings 0,14 Tote täglich auf 1 Million Einwohner, Dänemark 0,17, Finnland 0,28, Norwegen 0,05 – und Deutschland 0,21.

2 x 3 macht 4, widdewiddewitt und drei macht neune…

Man kann, wie der Autor des Artikels, natürlich nur den Zeitraum März bis Dezember 2020 betrachten und die Zahlen dann im Spätsommer 2021 als Beleg dafür nehmen, dass Schweden gescheitert ist. Es ist nur unredlich und falsch. Zu Beginn der Krise war die Sterblichkeit in Schweden tatsächlich höher als in den Nachbarländern, ging dann aber deutlich zurück, nachdem man die vulnerablen Gruppen in den Alters- und Pflegeheimen besser schützte.

„Sweden, which has shunned the strict lockdowns that have choked much of the global economy, emerged from 2020 with a smaller increase in its overall mortality rate than most European countries, an analysis of official data sources showed.”, meldete Reuters Ende März. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl hat Schweden deutlich weniger Corona-Tote als z.B. Belgien, Tschechien, Frankreich, Spanien und Italien, seit Anfang Februar 2021 liegen die Todeszahlen sogar konstant niedriger als in Deutschland. Die aktuellen 28-Day-Cases in Deutschland zeigen 455 Tote an, die in Schweden 17.

Das dürfte der Grund dafür sein, dass die Mainstream-Medien das heikle Thema „Schwedens Sonderweg“ in den vergangenen Monaten eher gemieden haben. Nur Mirko Schmid streckt den Kopf aus dem Schützengraben, in dem alle anderen Journalistenkollegen abgetaucht sind, bewaffnet mit nasser Munition in Gestalt von Zahlen aus dem vergangenen Jahr, die er auch noch höchst willkürlich in Beziehung setzt; im Vergleich zu den anderen skandinavischen Ländern schneidet Deutschland nämlich ebenfalls schlecht ab, aber das vermeintliche Versagen Schwedens soll ja die deutsche Corona-Politik verantwortungsvoll erscheinen lassen, das ist der alleinige Zweck der ungelenken Übung.

Eine Sterblichkeit von 146 auf 100.000 (0,145%) jedenfalls ist nicht geeignet, Schweden eine katastrophale Politik zu bescheinigen. (Italien etwa hat mit strengen Lockdowns, Ausgangssperren und anderen Repressalien eine von 0,215% zu verzeichnen.) Tatsächlich ist es so: Die schwedische Politik, ganz ohne massive Eingriffe in Freiheitsrechte, mit moderaten Maßnahmen wie zeitweiligen Sperrstunden in der Gastronomie und einigen Hygieneauflagen sowie der Empfehlung (!), etwa in überfüllten öffentlichen Verkehrsmitteln eine Maske zu tragen, war und ist eine vernunftgeleitete, an die Eigenverantwortung der Bürger appellierende. Und sie wird von der Bevölkerung mitgetragen. Das mag für deutsche Coronoiker und Lockdown-Fans, die sich mit den vielfältigen Gängelungen und Verboten längst angefreundet haben, kaum zu fassen sein, ändert aber nichts an den Tatsachen. In Schweden geht das Leben seinen Gang. Während wir auf vernichtete Existenzen, eine schwer in Mitleidenschaft gezogene Ökonomie, geschredderte Grundrechte, kaputte Kinderseelen, vereinsamte und verängstigte Menschen und eine bis aufs Blut gespaltene Bevölkerung schauen.

Abschließend zitiert Mirko Schmid übrigens noch einmal Claudia Hanson mit den Worten: „Einige Leute haben diesen Tsunami kommen sehen. Warum also sind wir nicht gerannt?“ 

Und so sieht der Tsunami derzeit in Schweden aus: 22.057 „Fälle“, davon 22.020 mit mildem Verlauf (98,8%) und 37 mit schwerem (0,2%). Am 9. August meldete die WHO für Schweden drei Covid-Tote, am 16. einen und am 23. keinen einzigen.

 

Postscriptum: Schauen Sie doch hier mal rein. Die Daten stammen von der Johns Hopkins University, auf die sich alle berufen, also keine Sorge. Man kann auch Vergleiche mit jedem beliebigen Land anstellen, aus dem Daten vorliegen. Versuchen Sie es doch mit Singapur.

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Leserpost

netiquette:

Bernd Sauer / 27.08.2021

Sehr gut aufgedröselt Herr Casula. Ich habe mal eine oder mehrere Fragen zu solchen Journalisten wie Herrn Schmid. Was sind das für Typen? Was geht in solchen Menschen vor, die solche Zahlen präsentieren und sich auch hinterher nicht mit den Resonanzen eines Artikels auseinandersetzen? Der seinen Text online stellt, die Kommentarfunktion einschaltet und offenbar nicht liest oder nicht lesen will/kann? Der einen Brei formuliert und dem es dann egal ist, ob er bei seinen Lesern gut ankommt oder eben nicht? Ob er widerlegt werden kann oder nicht, muss einem doch wichtig sein. Wenn ich im Büro täglich zusammengeschissen werde, muss ich mich doch fragen, ob es gut ist, was ich da mache. Wie kann man sich vor den Rechner setzen und sich überlegen, ob man nicht mal wieder Fakten hindreht? Muß man nicht schauen, wie es jetzt und heute in einem Land wie in Schweden ist? Warum lügt ein Journalist wissentlich, wo er doch jedes mal dabei erwischt wird?

rolf schwarz / 27.08.2021

Leider sieht es ganz danach aus als würde diese verlogene Bande das böse Spiel für die Eliten gewinnen. Die Zyniker der Mainstreammedien schämen sich genauso wenig wie unsere Politschauspieler. Man geht über Leichen und verhöhnt diese noch.

Michael Lorenz / 27.08.2021

Ozeanien lag nie im Krieg mir Eurasien. Und was mich am meisten erstaunt: es funktioniert, und zwar nicht nur im Roman. NIE hätte ich das für möglich gehalten! Aufgeklärtes Zeitalter? Informierte, mündige Bürger? Was für ein bitterer Witz!

Kay Ströhmer / 27.08.2021

Das ist doch weniger eine journalistische Arbeit, als vielmehr ein Bewerbungsschreiben um Fördermittel aus der Demokratieabgabe. Auch die FR wird ja kaum noch gekauft. Und wo sollte jemand wie Herr Schmid denn unterkommen, wenn der Laden ganz dicht macht? Da spricht aus jeder Zeile die Angst vor dem endgültigen sozialen Abstieg.

Peter Sieve / 27.08.2021

Man muss gar nicht bis nach Schweden reisen, um sich vor Augen zu führen, wie geistesgestört die Deutschen sind. Es genügt eine Fahrt über die grüne Grenze in die Niederlande. Letztes Wochenende haben wir dort eine idyllische und belebte Kleinstadt besucht. Was für eine unglaubliche Erholung, einen ganz normalen Einkaufsbummel machen zu können und ohne irgendwelche dummen Fragen in ein Restaurant gehen zu können, in dem einen freundliche Kellnerinnen anlächeln. Während des ganzen Tagesausflugs haben wir genau zwei Leute mit Maske gesehen - vermutlich waren es Deutsche. Für uns war der Besuch in Appingedam wie eine Art Urlaub vom Offenen Vollzug in einem Land, das maskentragende 3-G-Regel-Psychopath:innen vom Schlage dieses FR-Reporters eisern im Griff haben.

S.Buch / 27.08.2021

Schmid kann sich seinen faulen Budenzauber nur aus zwei Gründen erlauben: 1. weil sein Lügenjourmalismus quersubventioniert wird (die FR ist defacto Pleite), 2. weil die Leute, die seinen Schmarren noch lesen, nicht darüber nachdenken (Ausnahme: Achgut-Autor Claudio).

Peter Holschke / 27.08.2021

Mirko Schmidt von der Frankfurter Rundschau wirft mit Scheiße? Naja, wie leben in Verhältnissen, in welche sowas geduldet, gefördert und belohnt wird. Insofern bekommt der Typ sicher einen Bonus, weil er Weiß in Schwarz umgelogen hat, der Rest interessiert nicht. Auch diese Klarstellung hier nicht. Es geht nicht um Wahrheit oder Tatsachen, sondern um Durchhaltepropaganda, damit die Regierung ihr böses Werk weiter vorantreiben kann. Wen interessierte die Wahrheit, dass im Panzerbär oder im Angriff 1945 stand, dass der Russe vor Berlin entgültige verbluten würde?

Nico Schmidt / 27.08.2021

Sehr geehrter Herr Casula, die Hofberichterstattung ist so was von peinlich. Schweden und Dänemark stehen echt gut da. Die dusseligen Germanen freuen sich schon auf den nächsten Lockdown und die Zwangsimpfung. Was haben wir nur verbrochen, dass wir solche Medien verdient haben? MFG Nico Schmidt

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