In Deutschland wird Beleidigung monopolisiert. Einerseits werden Regierung und staatlich finanzierte Medien immer dreister. Andererseits wird der einfache Bürger wegen kleinster Äußerungen des Unmuts wenn nicht verurteilt, dann doch mit einer Hausdurchsuchung abgewatscht.
Am vergangenen Donnerstag erklärte sich die Staatsanwaltschaft Bamberg in einer Pressemitteilung zur Schwachkopf-Affäre: Sie hatte die Strafverfolgung und Hausdurchsuchung des Beschuldigten bereits wegen eines besonderen öffentlichen Interesses eingeleitet, noch bevor Vizekanzler Habeck selbst Strafantrag stellte. Damit rückt Habeck etwas aus der Schusslinie, da die Maßnahmen auch ohne seinen Antrag erfolgt wären. Aber macht das die Sache besser?
Normalerweise erfordert die Verfolgung einer Politikerbeleidigung nach §188 StGB einen Strafantrag des Beleidigten. Sie kann aber nach §194 StGB auch von Amts wegen verfolgt werden, wenn dafür ein „besonderes öffentliches Interesse“ besteht. Dieses besondere Interesse hat die Staatsanwaltschaft Bamberg „bejaht, da es sich bei Herrn Dr. Habeck um den Bundesminister und Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland handelt und zudem Verdachtsmomente einer antisemitischen Gesinnung des Beschuldigten bestehen.“ Diese Begründung ist ein Eingeständnis von Obrigkeitshörigkeit und Gesinnungsjustiz.
„Schwachkopf“ und „dummer Junge“
Die verfolgte Beleidigung war eindeutig, wenn überhaupt, am absolut unteren Ende des vom Tatbestand der Politikerbeleidigung erfassten Rahmens.
Das Wort „Schwachkopf“ wirkt weniger schlimm als der „dumme Junge“, mit dem man sich früher zum Fechten forderte, ohne wirklich zu beleidigen. „Schwachkopf“ könnte auch eine saloppe Formulierung einer zulässigen Beurteilung der geistigen Leistungsfähigkeit der genannten Person sein. Im konkreten Fall war das Wort in ein spielerisches Meme eingebunden, das eine satirische Verwendung nahelegt. Der Beschuldigte hatte das Meme nur geteilt, hatte vermutlich auch eine vernachlässigbare Anzahl von Abonnenten auf Twitter. Wäre die Obrigkeit etwas souveräner, hätten das vermutlich zwanzig Leute kurz gesehen, von denen fünf gelacht hätten, und das wäre es gewesen.
Das zur Verfolgung von Amts wegen erforderliche besondere öffentliche Interesse kann sich also nicht aus der Schwere der Beleidigung oder deren weiter Verbreitung ergeben, und die Staatsanwaltschaft behauptet das auch nicht.
Bundesminister und Vizekanzler
Stattdessen stützt sich die Staatsanwaltschaft darauf, dass Habeck Bundesminister und Vizekanzler ist. Doch allein seine Tätigkeit als Politiker kann kein besonderes öffentliches Interesse begründen. §188 setzt bereits voraus, dass der Beleidigte Amtsträger ist. Das „besondere“ Interesse erfordert zusätzliche Umstände, die über die minimalen Voraussetzungen der Strafbarkeit hinausgehen.
Der Umstand, dass Habeck ein besonders hochrangiger Politiker ist, eignet sich auch kaum zu einer Begründung eines besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung. Der Straftatbestand, erst 2021 eingeführt, verlangt, dass der Betroffene nicht nur beleidigt wird, sondern „die Tat geeignet [ist], sein öffentliches Wirken erheblich zu erschweren.“
Das öffentliche Wirken eines sehr hochrangigen Politikers wird durch eine geringfügige Beleidigung, von der er normal nie erfahren hätte, eher weniger erschwert werden, als wenn beispielsweise ein Gemeinderatsabgeordneter sich Anfeindungen im Wirtshaus ausgesetzt sieht. Dadurch, dass die Staatsanwaltschaft Bamberg die herausgehobene Stellung Habecks als Begründung eines besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ansieht, biegt sie §188 StGB von einem Schutz des öffentlichen Wirkens von Politikern in ein Gesetz gegen Majestätsbeleidigung um – je höher die beleidigte Majestät, desto schwerer das Vergehen, desto größer das Interesse an Strafverfolgung.
„Antisemit“ und „Hoher Vertreter“
Der zweite Teil der Begründung ist noch absurder: „Verdachtsmomente einer antisemitischen Gesinnung des Beschuldigten.“ Unstrittig ist wohl, dass die Bezeichnung des Vizekanzlers als „Schwachkopf“ kein Indiz „einer antisemitischen Gesinnung“ ist, sondern höchstens ein Indiz für politische Unzufriedenheit.
Dem Beschuldigten in der Schwachkopf-Affäre wird außer dieser Bezeichnung auch noch vorgeworfen, „eine Bilddatei hochgeladen zu haben, auf der ein SS- oder SA-Mann mit dem Plakat und der Aufschrift ‚Deutsche kauft nicht bei Juden‘ sowie u.a. der Zusatztext ‚Wahre Demokraten! Hatten wir alles schon mal!‘ zu sehen ist.“ Offensichtlich ist die intendierte Aussage dabei nicht etwa ein Aufruf zum Boykott jüdischer Geschäfte, sondern der Verfasser wollte kritisieren, dass heute wieder Menschen boykottiert würden. Dieser Vergleich mag unglücklich sein, aber er ist nicht antisemitisch. Wer das wie die Staatsanwaltschaft Bamberg als „Anfangsverdacht einer Volksverhetzung gem. § 130 StGB“ einordnet, der möge sich daran erinnern, dass schon damals die Anprangerung des Boykotts als Volksverhetzung verfolgt wurde, beispielsweise im Fall des Pfarrers Josef Knichel.
Aber selbst wenn wirkliche „Verdachtsmomente einer antisemitischen Gesinnung des Beschuldigten“ bestünden, worauf es keine Hinweise gibt: das wäre immer noch kein Grund für die Feststellung eines besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung eines nicht im Geringsten mit Antisemitismus in Zusammenhang stehenden Delikts. Eine antisemitische Gesinnung ist für sich nicht strafbar, und „Verdachtsmomente“, bei denen man jedenfalls spekulieren kann, warum jemand ein ganz besonderes Problem mit Juden zu haben scheint, hindern noch nicht einmal an der Tätigkeit als Hoher Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik.
Wenn man eine Strafverfolgung nicht aus dem konkreten Tatvorwurf, sondern aus angeblich beim Beschuldigten vorliegenden Gesinnungen herleitet, dann verfolgt man nicht mehr Straftaten, sondern Tätertypen, im vorliegenden Fall wohl Dunkeldeutsche. Noch schlimmer wird es, wenn es für die vorgeworfene Gesinnung gar keine tragfähigen Indizien gibt, also selbst die Einordnung als Tätertyp rein willkürlich wird.
Schamlosigkeit
Eine sachgerechte Beurteilung der Frage, ob ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung des Beschuldigten vorliegt, müsste sich am Schutzgegenstand der Strafnorm des §188 StGB orientieren. Der stellt auf eine Eignung der Tat ab, das „öffentliche Wirken“ des Beleidigten „erheblich zu erschweren.“ Das ist offensichtlich nicht der Fall, es sei denn, Robert Habeck wäre eine derart von Unsicherheit und Eitelkeit zerfressene Person, dass er schon diese Benennung nicht abkönne, womit er als Minister und Vizekanzler aber untragbar wäre. Für die öffentliche Wahrnehmung Habecks wäre eine zweifelsfrei nicht strafbare und sachlicher vorgetragene Beurteilung wie „ihm fehlen alle geistigen und charakterlichen Voraussetzungen für sein Amt, Wirtschaftskompetenz genauso wie Empathie mit wegen seiner Politik Arbeitslosen“ weitaus schädlicher als dieses eine harmlose Wort „Schwachkopf“. Eine Erschwerung seiner Arbeit durch Herabsetzung in der öffentlichen Wahrnehmung ist daher kaum zu erwarten.
Wir haben also eine Staatsanwaltschaft, die aus eigener Motivation heraus die Verfolgung eines Mannes wegen einer satirischen Unmutsäußerung eingeleitet hat, die sich, wenn überhaupt, wirklich am untersten Ende der Strafbarkeit bewegt. Nicht nur das, sie hat auch eine Hausdurchsuchung veranlasst, die vom Beschuldigten vermutlich als schlimmer empfunden wird als jede wegen des vorgeworfenen Bagatelldelikts zu erwartende Strafe.
Diese Durchsuchung wurde dann auch nicht, wie eigentlich bei einem wirklichen Verfolgungsinteresse zu erwarten, zeitnah ausgeführt, sondern in einem offenbar auf Einschüchterung angelegten „Aktionstag“. Das besondere öffentliche Interesse, auf das all das sich stützen soll, besteht nach eigener Aussage der Staatsanwaltschaft in sachfremden Motiven, nämlich der herausgehobenen Stellung Robert Habecks und der Verfolgung von Menschen, denen eine bestimmte Gesinnung unterstellt wird, wegen Delikten, die mit dieser Gesinnung nicht in Zusammenhang stehen.
Beleidigungsmonopol
All dies geschieht in einem Umfeld, in dem die Beleidigung monopolisiert wird. Einerseits werden Regierung und staatlich finanzierte Medien immer dreister. Ein Staatslautsprecher, der für seine Dienste aus den Zwangsgebühren der Bürger üppiger entlohnt wird als Bundeskanzler oder Bundespräsident, durfte einem ausländischen Politiker Oralverkehr mit Tieren, Homosexualität und ethnisch konnotierten Gestank der Geschlechtsteile vorwerfen und wurde dafür mit der Abschaffung der entsprechenden Strafvorschrift belohnt. Oppositionspolitiker werden in „Faschisten“ und „Faschisten mit Substanz“ eingeteilt, was sie in ihrer Arbeit wohl mehr einschränkt als ein „Schwachkopf“.
Andererseits wird der einfache Bürger wegen kleinster Äußerungen des Unmuts, noch nicht einmal wirklich beleidigend, ohne jede nennenswerte Verbreitung, wenn nicht verurteilt, dann doch mit einer Hausdurchsuchung abgewatscht. Dafür wurde mit dem „Gesetzespaket gegen Hass und Hetze“ – vulgo: gegen Opposition und Widerspenstigkeit – eine neue Strafvorschrift eingeführt. Bleibt es wirklich eindeutig unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit, dann kann sich immer noch der Verfassungsschutz um den neu eingeführten „Phänomenbereich“ der „Delegitimation“ kümmern.
Vielleicht am schlimmsten aber: Die Staatsanwaltschaft Bamberg sieht gar kein Problem mehr damit, die sachfremden Motive dieser Verfolgung in einer Pressemitteilung brühwarm zu erläutern. Auf ein Ermittlungsverfahren wegen §344 StGB, der die Verfolgung Unschuldiger unter Strafe stellt, darf man wohl kaum hoffen.
Oliver M. Haynold wuchs im Schwarzwald auf und lebt in Evanston, Illinois. Er studierte Geschichte und Chemie an der University of Pennsylvania und wurde an der Northwestern University mit einer Dissertation über die Verfassungstradition Württembergs promoviert. Er arbeitet seither als Unternehmensberater, in der Finanzbranche und als freier Erfinder. 2023 wurde er zum Kentucky Colonel ernannt.