Henryk M. Broder / 24.05.2021 / 10:00 / Foto: Zielke/ZDJ / 54 / Seite ausdrucken

Schutzhaft de luxe – So wird jüdisches Leben sichtbar und erlebbar

Die Gefahr, irgendjemand könnte dem Berliner Innensenator Andreas Geisel, SPD, vorwerfen, er sei für seinen Job überqualifiziert, ist recht überschaubar. Gäbe es für die Angehörigen des Berliner Senats, also der Regierung, „Kopfnoten“ wie in einer Schule, würde in seinem Zeugnis der Satz stehen: „Er hat sich immer Mühe gegeben.“

Letzten Montag berichtete der Innensenator vor dem Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses über eine anti-israelische Demonstration im Berliner Bezirk Neukölln, die, sagen wir es freundlich, ein wenig aus dem Ruder gelaufen war. Den 3.500 Teilnehmern standen 900 „Einsatzkräfte“ gegenüber, die „mehrere Stunden brauchten, um die Lage in den Griff zu bekommen“ (taz), Dabei wurden 93 Polizisten verletzt und 65 Demonstranten „vorläufig festgenommen“.

Obwohl es Kundgebungen dieser Art in Berlin schon öfter gegeben hat, schien die Polizei diesmal überrascht zu sein. Sie hatte offenbar nicht mit der Militanz der Berliner Exil-Palästinenser gerechnet. Vor dem Event noch ahnungslos, brauchte der Innensenator keine 36 Stunden, um sich Klarheit über die Klientel zu verschaffen. Die Gewalt sei „nicht von politisch organisierten palästinensischen Gruppen ausgegangen“, ließ der Innensenator die Mitglieder des Innenausschusses wissen, vielmehr seien es 300 bis 400 „erlebnisorientierte arabischstämmige Jugendliche und junge Männer“ gewesen, von denen „eine unglaubliche Aggressivität“ ausgegangen wäre.

Erlebnisorientierte junge Männer

Ja, das hat der Innensenator so gesagt, es waren keine katholischen Pfadfinder, keine Wandervögel aus der Pfalz und keine Austauschschüler aus dem Altmühltal, die in Neukölln eine Hamas-Party feierten, nein, es waren „erlebnisorientierte arabischstämmige Jugendliche und junge Männer“, unpolitisch und nicht organisiert. Wie hat der Innensenator das so schnell herausgefunden? Festgenommene interviewt, Speichelproben genommen? Oder nur auf sein Bauchgefühl gehört, das ihm zuraunte: „Die wollen nur spielen!“

Tröstlich an dieser Geschichte ist, dass Einfalt keine Heimat hat. Sie wohnt Dummen und Klugen inne, Christen und Juden, Armen und Reichen. 

Am selben Tag, da Andreas Geisel die Mitglieder des Innenausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus informierte, gab der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, der Tagesschau ein Interview. Auf die Frage, wie sich die jüdische Gemeinschaft in Deutschland fühlen würde, antwortete er: „Die jüdische Gemeinschaft fühlt sich nicht unsicher, sie fühlt sich nicht unwohl, aber: sehr wohl ist im Moment erhöhte Aufmerksamkeit geboten…“

Das hätte auch eine Antwort von Monty Python auf die Frage sein können, wie er sich so fühlen würde, wenn ihm jemand an der Supermarktkasse eine Pistole an den Kopf hielte: „Nicht unsicher und nicht unwohl, aber wohl wissend, dass im Moment eine erhöhte Aufmerksamkeit geboten ist.“

Goldfische in einem Piranha-Becken

Der Zentralrat der Juden in Deutschland ist kein demokratisch legitimiertes Gremium, eher eine Honoratiorenversammlung, die rund 100 jüdische Gemeinden mit etwa 100.000 Mitgliedern „repräsentiert“. Wichtigste Aufgabe des Zentralrates ist es, dafür zu sorgen, dass der gute Ruf der Bundesrepublik nicht beschädigt wird. Er darf Kritik üben, aber immer mit Maß und Mitte. Dafür wird er von der Bundesregierung generös gefördert. Nur wenn er den Ast, auf dem er sitzt, absägen möchte, würde es Präsident Schuster wagen zu sagen, dass sich die Juden in Deutschland fühlen wie Goldfische in einem Piranha-Becken.

Angst ist ihr ständiger Begleiter, und nicht erst seit gestern. Während deutsche Politiker nicht müde werden zu verkünden, wie glücklich sie darüber sind, dass jüdisches Leben in Deutschland wieder blüht und gedeiht, müssen jüdische Gotteshäuser, Schulen, Altersheime und Kindergärten rund um die Uhr bewacht werden. Das ist kein Leben, das ist Schutzhaft de luxe.

Wären die Juden ebenso „erlebnisorientiert“ wie die militanten Palästinenser, würden sie diese Art der Sonderbehandlung möglicherweise als etwas Positives empfinden. Und manche tun es auch. Der Zentralrat hat das Jahr 2021 zu einem „Festjahr“ des jüdischen Lebens in Deutschland erklärt, denn: „Im Jahre 2021 leben Jüdinnen*Juden nachweislich seit 1.700 Jahren auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands“ – eine Formulierung, die dem Umstand Rechnung trägt, dass es vor 1.700 Jahren noch kein Deutschland gegeben hat. Macht nichts, „Ziel des Festjahres ist es, jüdisches Leben sichtbar und erlebbar zu machen und dem erstarkenden Antisemitismus etwas entgegenzusetzen.“

Letztes Wochenende ist das jüdische Leben wieder sichtbar und erlebbar geworden, mit Hilfe „erlebnisorientierter arabischstämmiger junger Männer“, die in Neukölln und zwei Dutzend weiteren Städten eine große Sause feierten, zu der Juden nicht eingeladen waren.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Weltwoche.

Foto: Zielek/ZDJ

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Herbert Priess / 24.05.2021

Zum ZDJ schreibe ich lieber nichts, der Verein steht fest in Treue zur # und ihre Komplizen. In Hagen wird die israelische Flagge eingeholt um nicht zu provozieren. Ja wen? Ein Mann stellt sich dafür mit einer israelischen Fahne auf den Bürgersteig vor dem Rathaus und wird von Mitarbeiter des selben genötigt das sein zu lassen. Die Polizei gab einen Platzverweis mußte den zurück nehmen denn es war ein öffentlicher Bürgersteig. In der ganzen Zeit mußte der Mann wüste Beschimpfungen und Drohungen über sich ergehen lassen. Als die Bedrohungen immer größer wurden gab der Mann auf. Verständlich. Juden in Deutschland? Ich denke, eine Zukunft haben sie nicht denn die Islamisierung geht weiter und somit wird für sie bald kein Platz mehr sein. Jedenfalls keinen um friedlich und frei und ohne Angst zu leben.

Holger Sulz / 24.05.2021

Ich hatte das unfreiwillige Vergnügen, den Stuttgarter ‘Party-Event’ letztes Jahr am Rande mitzubekommen- mein lieber Scholli, da gingen unsere “erlebnisorientierten” Jungbanditen aus dem Morgenland aber zur Sache und vermöbelten unsere kostümierten Genderistas nach Strich und Faden. Sind halt ne andere Liga als die Ömchen von den Corona-Faschos, die man gefahrlos zu fünft in den Straßenkot tritt, fesselt und knebelt oder bei 2°C erfrischend ‘beregnet’- Mitleid mit den jetzt verletzten uniformierten Watschengesichtern ist also völlig fehl am Platze. In Berlinabad hat sich wieder der Begriff “VoPo” eingebürgert, um jene übergriffigen, hirn- und skrupelllosen Schlägertruppen des Senats gebührend zu bezeichen, auch wenn sie sich ab und an auf Geheiß die Fresse polieren lassen müssen. Wes Brot ich ess….

Karla Kuhn / 24.05.2021

“Die Gefahr, irgendjemand könnte dem Berliner Innensenator Andreas Geisel, SPD, vorwerfen, er sei für seinen Job überqualifiziert, ist recht überschaubar.”  Herr Broder, wenn es Sie und Ihren Humor nicht geben würde, müßte man Sie und Ihren Humor erfinden.  Denn OHNE, ist das “Jammertal” nicht mehr zu ertragen. Daß in DEUTSCHLAND, was sich zwischen 1933 und 1945 derart viel, GRAUSAME Schuld auf sich geladen hat, überhaupt eine Antisemitismusdebatte geführt werden muß, ist alleine schon abartig. WENN Menschen in das Land kommen, die von Haus aus antisemitich sind, müßten sie SOFORT RETOUR geschickt werden. Daß der Antisemitismus noch immer nur den RÄCHTEN in die Schuhe geschoben wird, wird sich in BÄLDE wirklich rächen !! Angefangen hat alles 1949, als ehemalige Nazis ungehindert in der Adenauerregierung weiter machen konnten. Ich denke nur an Filbingers Satz, “Was damals rechtens war, kann heute nicht UNRECHT sein”. lt. ÖTTINGER soll er ja ein “lupenreiner Demokrat ” gewesen sein ? Die DULDUNG vieler ehemaliger Nazis, auch im UNRECHTSSTAAT, hat doch militante Jugendliche erst ermuntert, antisemitsch aufzutreten. Dazu noch einen gewissen “Import”, angeleiert von Merkel und Co und anstatt HART durchzugreifen, erdreistet sich der WEBER die AfD verantwortlich zu machen. Übrigens der ZENTRALRAT der JUDEN” sollte mit jungen MENSCHEN erweitert werden ! Was den GEISEL antrifft, der ehemalige SED ler, also vermutlich LINIENTREU, der sollte dringend sein AMT niederlegen. DRINGEND !!

Anneliese Bendit / 24.05.2021

Bis 1939 lebten etwa 500.000 jüdische Deutsche in Deutschland. Es ist an der Zeit sie als nationale Minderheit anzuerkennen.  Die meisten Mitglieder der jüdischen Gemeinde heutzutage sind allerdings Ausländer.

Martin Dehner / 24.05.2021

Jede Sache hat auch etwas Gutes. Nun ist die Katze aus dem Sack. Es gibt hier wie in anderen europäischen Ländern massiven offenen Antisemitismus. Und alle Parteien machen mehr oder weniger mit, vorneweg SPD, Grüne, Linke. Aber irgendwie haben Israel und in Deutschland die Entwicklung etwas verschlafen. Vor nicht zu langer Zeit hat Israels Präsident noch eine Delegation der Grünen höchstselbst begrüßt. Noch vor Jahren fragte man in Israel oder den USA in Deutschland lebende Juden, wie man da leben könne. Die Berichte über den alltäglichen Antisemitismus Interessierte leider niemand. Bei Gedenkveranstaltungen spulte die deutsche Elite immer routiniert den Betroffenheitskult runter. Fraktionen im Bundestag luden Parteinahe Überlebende ein. Vor der Gedenksitzung gabs ein Frühstück. Eigentlich sah man die Gäste als Exoten.

Frank Danton / 24.05.2021

Mehrfach hatte ich das dringende Gefühl mich als dt. Staatsbürger bei den Juden in Deutschland von der verherenden, antisemitischen und dem Islam huldigenden Politik zu distanzieren. Mindestens 3 Mal in Folge schrieb ich daher an den Zentralrat, da ich dachte, das dort diese politischen Erschütterungen ebenso registriert würden und die Ablehnung gegenüber des schwarz-rot-grünen Israel-Hasses durch aufgeklärte Mitbürger Resonanz findet. Tatsächlich wurde mir einmal geantwortet. Was da als Antwort kam las sich ähnlich einer Sonntagsrede des Hr. Steinmeiers. Es wirkte daher ein wenig befremdend, aber man hat dies zu akzeptieren. Anders sieht es mit der dt. Politik, den Medien und linken Faschisten aus. Die die immerzu hysterisch gegen Rechts aufbegehren. Man hat das Hackenkreuz und Mein Kampf verboten, aber die Hetze des politischen Mainstreams gegen einen souveränen Staat und eine jahrtausende alte Kultur, diesen wiederlichen Auswurf der Dummheit, den nimmt man hin. Der perfideste Höhepunkt ist ein Aussenminister der “wegen Auschwitz in die Politik gegangen ist” um dann in seinem Amt denen die Hand zu drücken die Israel und die Juden auslöschen wollen. Das ist keine Diplomatie, das ist die menschgewordene Perversion.

Karl Dreher / 24.05.2021

“300 bis 400 ‘erlebnisorientierte arabischstämmige Jugendliche und junge Männer’ ... , von denen „eine unglaubliche Aggressivität“ ausgegangen (ist)” ... Ja, unsere schöne deutsche Sprache :) Wieder einmal wird sie ganz bewußt von linksrotgrünen Politidioten mißbraucht, um möglichst die Allgemeinheit zu verarschen. Nur: Immer weniger Menschen fallen darauf herein. Auch gewalttätige “Aktivisten” in Leipzig/Güterbahnhofstraße sind nun einmal Landfriedensbrecher - egal wie unsere Medien sie verharmlosend bezeichnen.

Charles Brûler / 24.05.2021

Das hat auch Vorteile! Wenn man ein neues Auto braucht, hängt man einfach einen Davidstern an den Rückspiegel und stellt das Auto in Berlin ab. 3..2..1 und das war Deins. Wie oft die Versicherungen das mitmachen ist allerdings nicht dokumentiert.

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