Man sollte nicht übersehen - im Artikel kommt dieser Gedanke etwas zu kurz - dass die Debatte über Schuld und Schande der westeuropäischen Nationen (die Staaten des früheren Ostblocks werden in auffälliger Weise ausgeblendet) in ihrer modernen Form nicht im luftleeren Raum des akademisch-historischen Elfenbeinturms stattfindet. Aus dem Gedanken der historischen Schuld ergeben sich handfeste tagespolitische Implikationen, oder vielmehr: Für die politische Agenda bestimmter Kreise wird im Nachhinein ein ideologischer Überbau konstruiert, dessen zentraler Bestandteil der Schuldkult ist. Diese tagespolitische Agenda heißt: Aufnahme aller Menschen, die in (West-)Europa leben wollen, woher und warum auch immer, und zwar unter der Prämisse, dass die Interessen und Forderungen der Zuwanderer stets Vorrang haben gegenüber den Wünschen der Einheimischen. Man kann das derzeit sehr “schön” auf dem Kirchentag in Stuttgart beobachten, wo ganz unverhohlen versucht wird, das ohnehin laxe deutsche Zuwanderungsrecht und seine noch viel laxere Umsetzung einem moralischen Imperativ unterzuordnen, der sich aus der (deutschen) Geschichte angeblich zwingend ergibt und der Politik kategorisch das Recht abspricht, in irgendeiner Form steuernd einzugreifen (was de facto ohnehin nicht mehr passiert). Dass sich in der Konsequenz einer so geführten Debatte - in der mittlerweile Gegenpositionen praktisch nicht mehr zugelassen sind; wer solche äußert, ist automatisch “Nazi” - “Refugees” so aufführen, dass man sie früher als Invasoren bezeichnet und entsprechend behandelt hätte, wundert niemanden, der verfolgt, wie sich die platte Parole “Kein Mensch ist illegal” völlig widerspruchslos über Recht und Gesetz erhebt. Man springt zu kurz, wenn man den am Beispiel von Frankreich dargestellten Ansatz der Überbetonung nationaler Schuld nur als Irrweg schulischer Wissensvermittlung infolge fehlerhafter bildungspolitischer Weichenstellung wahrnimmt. Was hier als Schulpolitik umgesetzt wird, wurde den handelnden Politikern von der Migrations- und Migrantenlobby in den Block diktiert. In Deutschland werden Hochschullehrer, die man einer Haltung verdächtigt, die nicht dem zuwanderungspolitischen Mainstream entspricht, bisher “nur” in Medien und sozialen Netzwerken mit einem Shitstorm nach dem anderen überzogen. Es ist aber wohl nur noch eine Frage der Zeit, wann akademische Forschung, die sich der Frage nach der Schuld im historischen Kontext auch nur ergebnisoffen annähert, ganz offiziell und mit dem Segen der Politik aus dem wissenschaftlichen Diskurs ausgeschlossen wird.
Es sind vielleicht gar nicht “Schuldgefühle”, sondern einfach Hass, der solche Politiker umtreibt. Und zwar Hass auf das Christentum und die daraus entstandene europäische Zivilisation. Unnötig zu sagen, dass der Hass auf unsere Religion mit Unglauben verbunden ist. Hass und Unglaube können eine mächtige politische Triebfeder sein. Man sucht sich dann Verbündete, die seinen Hass teilen und findet sie im Mohammedanertum.
Mag sein, dass franz. Geschichtsunterreicht nach wie vor eine gewisse nationalistische Seite hat (dass dies in 90% aller Länder der Fall ist, sollte kein Argument dafür sein). Aber: Ich befürchte, dass zukünftig nicht mit gleichen humanistischen Maßstäben gemessen wird, sondern die dunklen Seiten bei der Expansion anderer Nationen, Kulturen, Religionen verharmlost werden. Licht und Schatten der eigenen Geschichte - ja. Aber auch Licht und Schatten der Geschichte der “Anderen” (z.B. abermillionenfache Versklavungeschichte durch Muslime im Mittelmeegrraum und v.a. in Afrika, mit vielen Millionen Frauen als weitestgehend stumm gebliebene Opfer). So formuliert es Alain Finkielkraut heute in der ZEIT: “Wir müssen die französische Geschichte nicht als patriotischen Roman lehren, aber mit ihrem Licht und Schatten. Die Reformer hingegen wollen eine Geschichte lehren, die aus unseren Verbrechen besteht, eine Weltgeschichte, die dem Islam größeren Platz einräumt, damit die Kinder arabischer Abstammung mehr Anerkennung spüren und die Einheimischen ihre Arroganz verlieren. Das ist nicht die Schule des Wissens, sondern eine Lügentherapieschule. Im Namen des Zusammenlebens der Kulturen führt man die Propaganda ein.” Ich sehe es ein wenig anders: Warum nicht mehr Platz für die Geschichte des Islam im Geschichtsunterricht - aber bitte ohne Relativierungen oder gar kitschige Romantisierungen dessen, was, gerade mit Blick auf die Gegenwart, nicht romantisiert werden darf (“Harem” z.B.).
Wird Voltaire bald semikastriert, zumindest um die Passagen, die er über “Mohammedaner” geschrieben haben soll?
Wenn man sich die herrschende Wissenschafts- und Technikfeindlichkeit in den europäischen Ländern anschaut, ist es doch kein Wunder, dass auch die Aufklärung in immer düsterem Licht gezeichnet wird. Wir sind auf nicht mehr stolz und lassen uns von keinen Ideen begeistern.
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