Von Erik Lommatzsch.
Das bedruckte Papier am Merchandisingstand der SPD geht ganz schlecht weg, aber das ist so üblich, parteiübergreifend. Der große Button (rund, rotesgerändertes Schulzgesicht auf weißem Grund, Parole: „Zeit für Martin“ ist am Ende der Veranstaltung „leider“ aus (auch wenn der junge Helfer gewissenhaft noch einmal seinen Wahlkampftisch überprüft). Von den kleinen Buttons (quadratisch, roter Grund, weiße Schrift, Parole: „Schulz 2017“, hier findet sich ein in die Jahreszahl integriertes Schulzgesicht, und zwar – tatsächlich – an Stelle der Null) gibt es nur noch ganz wenige. Am gefragtesten sind die Stifte. Bei den Schulzgummibärchen (Verpackung analog dem kleinen Button, also mit Schulzgesichtsnull) sind die Zugriffe erstaunlich schüchtern. Dabei mag die doch nun wirklich fast jeder (parteiübergreifend).
Wahlkampf in Leipzig macht er an diesem 29. August 2017, der Kakamaschu (Kanzlerkandidat Martin Schulz, die Inspiration kommt von hier). Asyl, Migration, Nachzug, Kriminalität, Terrorismus und dergleichen, das scheinen momentan nicht wirklich wichtige Themen zu sein. Nicht einmal erwähnt werden diese Punkte. Der Leipziger Nikolaikirchhof hat genau die richtige Größe für das erwartete Publikum, welches sich beim Beifall arg zurückhält, selbst am Ende. Es ist eher höfliches Klatschen und auch das Fahnenschwenken („SPD“) und Schilderhochhalten („Gemeinsam für Europa“) einiger Junggenossen sieht eher nach Parteidisziplin als nach Begeisterung aus. „Martin, Martin!“-Rufe werden allenfalls ironisch- leise aus der Zuhörerschaft angeregt, dabei bleibt es.
Den meisten Beifall bekommt Schulz, als er den Artikel 1 des Grundgesetzes zitiert, unantastbare Würde des Menschen, und betont, es sei von Menschen die Rede, nicht von Deutschen. In der Präambel steht zwar, dass sich „das Deutsche Volk kraft seiner verfassunggebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben“ habe („Deutsche“ ist wirklich großgeschrieben), aber das kann ein Kandidat in der Eile schon mal überlesen, schließlich hat man ja viele Termine. Das Anbiedern an die Leipziger Lokalhistorie (Völkerschlacht, Johannespassion, Bach) wirkt bemüht wie auch der eingeforderte Respekt vor der Lebensleistung der „Ostdeutschen“ (das Wort „Ostdeutschland“ kommt oft vor). Wir lernen zudem: Nicht nur „die Herzchirurgin“ (Frau!) hat Leben in der Hand, auch „der Leipziger Busfahrer“, der Kinder zur Schule bringt. So.
Wer ist schon gegen Respekt und Gerechtigkeit?
Gegen Ende der Ansprache wird der Müll entleert: Trump rüste auf, Merkel folge ihm, das Geld solle man doch lieber in Bildung investieren. Ein „nationaler Bildungspakt“ (tatsächlich „national“) ist ein neues SPD-Thema. Die AfD sei eine Schande für unsere Nation (schon wieder „Nation“… Herr Schulz, Herr Schulz!). „Ich mache mir Sorgen um Europa“ – ein Satz der in dieser Form breite Zustimmung finden dürfte. Wie so vieles, was der Kakamaschu äußert – denn wer bitte ist schon gegen Respekt und Gerechtigkeit?
Bei Auftritten der Kanzlerin sind häufig „Merkel muss weg!“-Rufe zu hören. Bei Schulz gibt es lediglich einen vernehmbaren Zwischenrufer. Schulz fühlt sich allerdings bemüßigt, auf ihn zu reagieren. Wenig Feind, wenig Ehr? Als künftiger Bundeskanzler wird er angekündigt, bevor er, das Wahlvolk segnend, Einzug hält durch die Versammelten. „Massen“ wäre etwas dick aufgetragen. Alles sieht so vorbereitet und einstudiert aus, so ganz ohne Papier redet er nicht. Eine Arbeit, die er erledigt, Pflicht eben. In diesen Momenten wünscht man sich so sehr, wenigstens Martin Schulz selbst würde daran glauben, eine Zukunft als Bundeskanzler vor sich zu haben. Nicht weil man ihn sympathisch findet oder gar wählen würde – einfach nur, um ihn ernst nehmen zu können.
Erik Lommatzsch ist Historiker und lebt in Leipzig.