Der österreichische Physiker Erwin Schrödinger formulierte im Jahr 1935 ein Gedankenexperiment, um zu veranschaulichen, dass die Regeln der Quantenmechanik zu paradoxen Ergebnissen führen, würde man sie vom atomaren Bereich auf reale Alltagssysteme übertragen.
In der realen Welt befindet sich ein Gegenstand entweder an einem Ort oder einem anderen. Nie an zwei Orten gleichzeitig. Die Elektronen eines Atoms hingegen befinden sich nicht an einem Ort, sondern haben Welleneigenschaften. Somit könnten sie sich auch an zwei Orten gleichzeitig befinden. Instabile Atomkerne können gleichzeitig den Zustand „zerfallen“ und den Zustand „noch nicht zerfallen“ einnehmen, was nach den Vorstellungen der Alltagswelt ein Paradoxon wäre.
In Schrödingers Experiment wird eine Katze in eine Kiste gesteckt. Zudem wird in die Kiste ein Atomkern, ein Geigerzähler sowie ein Glas Gift gegeben. Der Atomkern kann binnen einer Stunde zerfallen, oder aber nicht. Zerfällt er, misst dies der Geigerzähler. Ein Mechanismus zerschlägt das Glas mit Gift und die Katze stirbt. Zerfällt er nicht, dann wird kein Giftgas freigesetzt und die Katze bleibt am Leben.
Die Katze ist tot und lebt zugleich
Da die Kiste verschlossen ist, kann man nicht sehen, was passiert. Nach den Regeln der Quantenmechanik nimmt die Katze nun zwei sich überlagernde Zustände an, da der Atomkern zerfällt und nicht zerfällt. Die Katze ist gleichzeitig tot und lebendig. Exakt so verhält es sich auch mit Horst Seehofers Obergrenze. Es gibt sie und es gibt sie nicht. Gleichzeitig.
Nach langem, zähem Ringen haben sich die Spitzen der Union nun in Sachen Obergrenze für Flüchtlinge geeinigt - nach den Regeln der Quantenmechanik. Die Obergrenze existiert, da die konkrete Zahl von 200.000 Migranten pro Jahr dies nahe legt. Gleichzeitig existiert sie aber nicht, denn wenn die Zahl der Migranten die Obergrenze von 200.000 Personen übersteigt, egal in welcher Höhe, dann passt sich die Obergrenze dieser Zahl an. Sie kann jederzeit nach oben oder, für den unwahrscheinlichen Fall, dass weniger Personen kommen, nach unten korrigiert werden. Wem das zu kompliziert ist, der möge sich folgendes Gedankenexperiment vor Augen halten.
Nächstes Jahr können bis zu 200.000 Personen nach Deutschland kommen. Oder aber nicht. Es könnten auch 6 Millionen sein. Kommen bis zu 200.000, dann existiert die Obergrenze von 200.000. Kommen 6 Millionen, dann existiert die Obergrenze von 200.000 nicht. Denn dann lautet sie 6 Millionen. Die Obergrenze von 200.000 nimmt also gleichzeitig zwei sich überlagernde Zustände an. Sie existiert und sie existiert nicht. Eine pfiffige Lösung, mit der auch die künftigen Koalitionspartner zufrieden sein könnten. Umso unverständlicher, dass Simone Peter von den Grünen mit Empörung reagierte. Eine Obergrenze von 200.000 Personen lehnte sie aus humanitären Gründen strikt ab.
Frau Peter ist überfordert
Dies mag daran liegen, dass Grüne prinzipiell empört reagieren müssen, wenn ein Vorschlag aus der ganz rechten Ecke der Politik kommt, also von der CSU. Allein schon um die 8 Prozent Stammwählerschaft, welche sich aus politisch links stehenden Alt-68er Pensionisten rekrutiert, bei Laune zu halten. Es mag aber ebenso daran liegen, dass Frau Peter das Prinzip von Schrödingers Katze schlicht nicht verstanden hat.
Sollten Union, Grüne und FDP es schaffen, nächstes Jahr nicht lediglich 200.000 Personen nach Deutschland zu locken, sondern 6, 10 oder gar 30 Millionen, dann gibt es trotz existierender Obergrenze von 200.000 keinen Grund, diese nicht herzlich willkommen zu heißen, ihnen wie gehabt eine Gesundheitscard, einen Wohnungsschlüssel und Bargeld auszuhändigen, um Frau Peters Traum von einem besseren, humaneren Deutschland ein Stück näher zu kommen. Ein Hoch also auf Erwin Schrödinger!