Hubert Geißler, Gastautor / 30.05.2024 / 13:00 / 10 / Seite ausdrucken

Schraubers Erinnerungen: Fronleichnam

Nur der Woelki marschiert noch durch Kölle für die japanischen und chinesischen Touristen, und die Schäflein selbst sind auf dem Weg ins verlängerte Wochenende.

Bei meinem allmorgendlichen Anruf bei meinem Schrauberbruder zwecks Erörterung der aktuellen Lage begrüßte ich ihn mit den Worten: „Na, schon unterwegs mit der Prozession?“ „Die lassen mich doch nicht mehr mit, als Ungläubigen. Und überhaupt, gibt’s die noch? Die kommen doch mit ihren Rollatoren kaum mehr um die Kirche herum." Gemeint waren die Gläubigen, nicht die Putschisten der Herrn Reuß.

Ja, früher, vor fast 60 Jahren, war das noch was anderes. Die Hauptstraße unseres Geburtsortes war noch nicht asphaltiert, aber zu Fronleichnam mit Blüten bestreut. An vier günstigen Punkten des Ortes gab es mobile Altäre; die Frauen und Jungfrauen der Gemeinde hatten komplizierte, an Orientteppiche gemahnende Blumenmuster gelegt, und der Ortspriester – so was gab es damals noch – trug, begleitet von einem Ministrantenchor, unter einem Baldachin die sicher schwere Monstranz durch den Ort, um dann nach einem Schwenk durch die zu segnenden Felder wieder in die Kirche zurückzukehren.

Schützenverein, Krieger- und Soldatenverein, freiwillige Feuerwehr in vollem Wichs gingen der ganzen Gemeinde voran, alles begleitet vom ohrenbetäubenden Klang der lokalen Blaskapelle. Die wenigen falschgläubigen Protestanten hatten sich in ihren Häusern verkrochen, Moslems gab es nicht: insgesamt ein wahrer Triumph des Glaubens und, wäre das ein Wahltag gewesen, sicher auch der CSU. Die wenigen FDP-ler kannte man namentlich, Sozis wurden in einer Größenordnung unter 10 gerade noch ertragen (mein Vater war einer).

Nach vollbrachtem Umgang ging es dann in die Dorfkneipe, wo das lokale Helle ins Dunkel des Gekröses floss und Schwaden von Villinger-Kiel in die frühlingshafte Natur drangen. Die Damen betreuten inzwischen den Schweinsbraten und hobelten Spätzle, bis ihre leicht bedudelten Gatten und Söhne an den Tisch und dann wohl aufs Kanapee zurückkehrten. Schön war’s und vorbei ist es. Keiner wäre im Traum drauf gekommen, sich zur Frau zu deklarieren, und der Ölwechsel der Kraftfahrzeuge fand gelegentlich noch am Waldrand statt. Wenn etwas danebenging: „Zefixhalleluja!“ 

Gelegentlich fiel auch in der Nachbarschaft ein Starfighter vom Himmel – Lager Lechfeld lag nicht weit entfernt. Die Witwe wurde bedauert: „Des arme Web, zwoi kloine Kendr!“ – aber vom Klima fühlte man sich nicht bedroht. Auch vom Iwan nicht, der hauste gut eingehegt in der Zone. Die größten Ereignisse waren brennende Heuschober, in denen sich das noch feuchte Heu selbst entzündet hatte: Letztlich ein gefundenes Fressen für die Feuerwehr und ein guter Anlass, nach getaner Arbeit den eigenen Brand beim Wirt zu löschen.

Und heute: Nur der Woelki marschiert noch durch Kölle für die japanischen und chinesischen Touristen, und die Schäflein selbst sind auf dem Weg ins verlängerte Wochenende. Das mit dem Schweinsbraten kommt auch nicht mehr so gut, und Tofu hat nun nicht gerade eine Heimatanmutung. Im Rückblick kommt einem das alles vor wie ein einziger großer Komödienstadel. Und was werden unsere Enkel empfinden, dereinst in ferner Zukunft? 

 

Hubert Geißler stammt aus Bayern und war Lehrer für Kunst/Deutsch/Geschichte. Er schreibt diese Serie zusammen mit seinem Bruder Bernhard Geißler. Der gehört zu den sogenannten Fachkräften, und Technikern, also zum gut ausgebildeten Teil der produktiven Arbeiterschaft, hier kurz „Schrauber“ genannt. Der arbeitet viel kommt aber selten zu Wort, was diese Serie ein wenig wettmachen will.

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Leserpost

netiquette:

L. Luhmann / 30.05.2024

Ethnozid gefällt Leuten*innen wie Yücel et al. - Ich denke, dass die Schadenfreude noch ganz, ganz groß rauskommt, bevor es für Deutsch-Dodoland “Finis Germania” heißt.

Nikolaus Szczepanski / 30.05.2024

“Lager Lechfeld” lag nicht weit entfernt…” Ich sehe das direkt vor mir. Zu jener Zeit, vor 62 Jahren war ich eben dort: Als Soldat. Im allgemeinen die Situation in überwiegend katholischen Gegenden gut beschrieben. Umgekehrt war es ähnlich: Am Karfreitag war bei den Katholiken Großputz vor Ostern angesagt. Zum Ärger der Protestanten. Schöne alte vergangene Zeit.

Emil.Meins / 30.05.2024

@Hubert Geißler / @Emil.Meins : Danake für die Info. Wenns die noch gibt, werd ich in seeligem Gedenken an die Kinderzeit eine rauden. War eine der Standarzigarren in der Beitz.==> Klar die gibt’s noch, sogar online bestellbar, aber bestimmt auch in guten Tabakgeschäften. Inzwischen als Sumatra und Brasil. PS: nächstes Mal langsamer tippen, dann klappt’s auch mit der Rechtschreibung. Schöne Grüße

Hubert Geißler / 30.05.2024

@Didi Hieronymus Hellbeck: Nein die gibts noch in Köln. Da kennen die nix.

Hubert Geißler / 30.05.2024

@Emil.Meins : Danake für die Info. Wenns die noch gibt, werd ich in seeligem Gedenken an die Kinderzeit eine rauden. War eine der Standarzigarren in der Beitz.

Didi Hieronymus Hellbeck / 30.05.2024

“Und heute: Nur der Woelki marschiert noch durch Kölle für die japanischen und chinesischen Touristen….” Eine Fronleichnamsprozession in gewissen Stadtteilen Kölns hätte wohl spätestens nach 30 Minuten ernsthafte Probleme (genau wie spazierende Kippaträger): Störung durch “Männer”, “Männergruppen” (ggf. auch Einsatz spitzer Gegenstände).

Emil.Meins / 30.05.2024

Kleine Korrektur: die Zigarillos heißen VILLIGER KIEL, nicht Villinger. Villiger Söhne Holding AG mit Sitz in Pfeffikon ist ein international tätiger Schweizer Zigarillo- und Zigarren-Hersteller. (WIKI). Das <Kiel> im Namen bezieht sich darauf, daß im Jahr 1907 Villiger die erste Zigarre mit einem Mundstück aus Gänsekiel auf den Markt brachte. Hab’ die Dinger in jungen Jahren selbst geraucht.

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