Ralf Schuler / 25.10.2014 / 13:42 / 12 / Seite ausdrucken

Schorlemmers kleine heile Welt

“Wer die DDR noch 25 Jahre nach ihrem Ende in toto zum Unrechtsstaat erklärt, der kann zu keiner differenzierenden Betrachtung des Lebens in diesem Land gelangen”, schreibt der Wittenberger Pfarrer Friedrich Schorlemmer in der SZ.

Das ist gequirlter Quark mit rosa Soße!

Gerade 25 Jahre nach dem Ende der DDR liegt der Unrechtscharakter der DDR klarer zu Tage, als noch Jahre zuvor. Es sei denn, man versteht mit Schorlemmer darunter das vorherige Wegdifferenzieren der Tatsachen.

Die DDR war kein Rechtsstaat, das räumt selbst Schorlemmer ein. Es gab gesetzlich festgeschriebenes Unrecht (pol. Strafrecht, keine Reise-, Religions- und Meinungsfreiheit) und verfassungsmäßig fixierte Herrschaft einer Partei (mit dem Anspruch der “Diktatur der Arbeiterklasse”), es gab willkürliche, politische Rechtsprechung, es gab Repression und illegitime Gewaltanwendung - und zwar all das systematisch, nicht vereinzelt.

Was, bitte schön, fehlt Herrn Schorlemmer noch in der Beschreibung eines Unrechtsstaats? Bespitzelung und doktrinäre Alltags-Gängelung von kleinauf kann es ja nicht sein.

Es gab auch Freiräume, schreibt er. Und: Arbeits- und Familienrecht seien OK gewesen. Abgesehen von der Frage, ob undemokratisch (Volkskammer) zustande gekommene Gesetze überhaupt Ausweis von Recht sein können, widerlegen die Ausnahmen die Regel nicht. Eine Diktatur bleibt eine Diktatur, auch wenn die Straßenverkehrsordnung akzeptabel ist. Ein Gefängnis bleibt ein Gefängnis, auch wenn der Reinigungsdienst funktioniert, und die DDR bleibt ein Unrechtsstaat, auch wenn Friedrich Schorlemmer “umsorgt im Krankenhaus gelegen, ein Theologiestudium an einer staatlichen Universität abgeschlossen, den Führerschein gemacht und eine Wohnung zugewiesen bekommen” hat.

Wie schön, dass auch bei Schorlemmers nicht alles schlecht war.

Seine verschwiemelte Verständnisrhetorik dürfte jeden erbauen, der irgendwann mal sein trockenes Plätzchen in einer südamerikanischen Militärdiktatur, im südafrikanischen Apartheidsstaat oder unter einem Regime gefunden hat, in dem so tolle Autobahnen gebaut wurden.

“Unrechtsstaat” ist keine “Generaldelegitimierung” von Menschen oder Biographien, sondern des politischen Systems, in dem Schorlemmer und wir anderen gelebt haben.

Nicht die Verwendung des Begriffs “Unrechtsstaat” verfälscht die Geschichte, sondern der Verzicht auf ihn.

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Uwe Mildner / 26.10.2014

Ein sehr schöner Beitrag, besonders: “Das ist gequirlter Quark mit rosa Soße!” Mehr ist zu seinen Statements nicht zu sagen. Alles andere ist seinem, Schorlemmers, ins rechte Licht rücken der eigenen Person geschuldet. Das hat nichts mit dem Thema zu tun, sondern allein diesem Akzent mit Hilfe des Themas. Um hernach irgendwelche Ablassartikel zu verkaufen. Denn die Nöte der Seelen schreien allerorten nach Entlastung. Mit seinen Schriften ist er so etwas wie ein moderner Ablasshändler.

Peter Günnel / 25.10.2014

Tja, als ehemaliger DDR-Bürger kann ich Ihnen nur zustimmen. Wenn man schön still gehalten hat, konnte man auch damals “friedlich ” vor sich hin leben. Das war sicherlich im dritten Reich nicht anders. (Wenigstens als “Arier”) Wenn das die Grundlage die für einen Rechtsstaat sein soll, frage ich mich warum wir gegen das Kalif kämpfen.

Wolfgang Behr / 25.10.2014

Sehr Gut !

Karl-Heinz Vogt / 25.10.2014

Wer das Dritte Reich* noch 69** Jahre nach seinem Ende in toto zum Unrechtsstaat erklärt, der kann zu keiner differenzierenden Betrachtung des Lebens in diesem Land gelangen. * Kambodscha, Sovet-Union, Nord-Korea, Vietnam (Zutreffendes einfügen) ** Entsprechende Jahreszahl einfügen

Karin Bußler / 25.10.2014

Dieser Mann mit seinen Äußerungen ist eine Zumutung für alle Opfer des Unrechtsstaates DDR.

Maria Leuschner / 25.10.2014

Sehr geehrter Herr Schuler, einen großen Applaus für Ihren klarsichtigen und aufrichtigen Artikel. Spätestens mit dem verlogenen, von christlich-linksgerichteten und kommunistischen Akteuren unterzeichneten Aufruf “Für unser Land” war mir klar, dass Schorlemmer und sein Narzissmus eine unauflösliche Einheit bilden. Klar war in diesem Kontext natürlich auch, dass er für eine “eigenständige DDR mit demokratischem Sozialismus” eintreten musste, sonst wäre er ja im Einheitsfreudenbrei mitgeschwommen und dies wäre unter seiner protestantischen Würde gewesen. Die Kommunisten, Linken und andere “Weltverbesserer” wissen sich einig mit diesem selbstgefälligen Theologen. So sieht er auch keine Berührungshemmnisse zu den Linken. Sein Pamphlet “Eisige Zeiten” sollte uns Angst machen vor dem ach so menschenverachtenden Kapitalismus.

Helmut Driesel / 25.10.2014

In all diesen ungezählten Stellungnahmen bleibt offen, wer sich denn für Manns genug, für aufrecht, intelligent, gerecht und ermächtigt genug hält, den Inhabern der Statsmacht in jener fragwürdigen System der DDR vorzuhalten, was sie in ihrem Machtbereich als Recht gelten lassen und was nicht? Es gibt diesen ultimativen Maßstab nicht, weder innerhalb der Agenda der vereinten Nationen noch innerhalb der Polarisation Ost-West. Es gibt auch keinen Weltstandard für rechtsstaatliche Justiz und insbesondere waren zur Zeit der Existenz der DDR die meisten Staaten, auch die vielen Unterzeichner der Menschenrechtsdoktrin, Diktaturen oder Scheindemokratien, in denen Rechtsprechung absurder und totalitärer gehandhabt wurden als hier bei uns. Deshalb muss man sich fast immer auf den Standpunkt zurückziehen, dass Unrechtsstaat die Missachtung des systemintern geschriebenen Rechts bedeutet. Auch dann, wenn das Recht von Monarchen, Geistlichen oder Diktatoren geschrieben wurde. Die Kritiker sollten sich einmal fragen, was sie von den damals gesprochenen Recht halten würden, wenn Honecker zu solchen Themen wie Republikflucht, Schüssen an der Grenze oder politische Subversion in Jungen Gemeinden basisdemokratische Volksbefragungen abgehalten hätte. Frei wie im Westen, unter dem obligatorischen Rotlicht meinetwegen. Glaubt vielleicht im Westen jemand, die breite Masse hätte das befürwortet? Wäre es dann in den Augen der Gralshüter westlicher Werte Recht gewesen? Nein, wahrscheinlich würde es dann heißen, in Diktaturen sind wahrhaft unabhängige Volksbefragungen unmöglich. Sozialwissenschaftlich gesetzmäßig! So heute vorzugehen, ist letztlich genau nichts anderes als derselbe egomanische Stil, den die DDR-Genossen damals pflegten.

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