Während in diesen Tagen vielerorts des Sturzes der SED-Herrschaft in der DDR vor 30 Jahren gedacht wird, erringt ihre Nachfolgepartei mit Hilfe der AfD ungeahnte Erfolge. Das Landtagswahlergebnis in Thüringen feiern die Genossen zu Recht als großen Sieg. Nicht wegen des leichten Stimmenzuwachses, sondern weil es gelungen ist, die jahrzehntelange stabile übergroße Mehrheit der demokratischen Parteien der alten Bundesrepublik zu zerstören. Eigentlich müsste dieser Moment, auch wenn er nicht unerwartet kam, politische Akteure erschüttern. Aber offenbar scheinen sie nicht wahrnehmen zu wollen, welch eine Zäsur dieses Ergebnis ist. Geschäftsmäßig wird einfach nach neuen Mehrheiten zur Regierungsbildung gesucht, egal welche Prinzipien es dafür wieder über Bord zu werfen gilt. Hauptsache die AfD ist nicht beteiligt.
Trotz gegenteiliger Versprechen im Wahlkampf und deren Bekräftigung am Wahlabend zeigt sich der Thüringer CDU-Landesvorsitzende, Mike Mohring, jetzt offen für Gespräche mit den Genossen über eine Regierungsbildung. 30 Jahre nachdem die SED abdanken musste, denkt nun also sogar die CDU daran, einen Mann im Ministerpräsidentenamt zu halten, der sich der SED-Nachfolge immerhin so sehr verpflichtet fühlt, dass er dagegen kämpft, dass die SED-Diktatur als Unrechtsstaat bezeichnet wird. Manch ein Kommentator feierte die Möglichkeit einer solchen Annäherung schon als eine Vollendung der Wiedervereinigung.
Ob die plötzlich angekündigte Annäherung tatsächlich dazu führt, dass sich eine Linke-CDU-Koalition bildet oder ob es letztlich nur darum geht, dass CDU und FDP eine rotrotgrüne Minderheitsregierung dulden, ist beinahe unerheblich. In Thüringen wird eine politische Landschaft Realität, die bislang fast nur in der Wahrnehmung von AfD-Anhängern existierte: Alle Parteien von CDU bis Linke vertreten eine Einheitsregierung, während die AfD als einzige Opposition im Parlament sitzt. Das auf alten SED-Tage anspielende böse Wort von der „Nationalen Front“ bekommt durch den Umstand, dass die SED-Nachfolgepartei in Erfurt sogar an der Spitze eines denkbaren Allparteien-Bündnisses steht, auch noch inhaltliches Gewicht. Diese Thüringer Wirklichkeit des Jahres 2019 wäre noch vor zehn Jahren nicht einmal als Satire ernst genommen worden.
Nicht ohne Abstimmung mit den großen Damen
Man darf davon ausgehen, dass Mike Mohring seinen Vorstoß in Richtung Linkspartei nicht ohne Abstimmung mit den großen Damen in der Führung von Partei und Regierung gestartet hat. Man hat es als solches vielleicht nicht ganz ernst genommen, aber dieser Kurs ließ sich im Grunde schon 2016 in den Worten von Angela Merkel erkennen. Sie hatte nach den damaligen Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt auf die seinerzeit überraschend hohen AfD-Wahlergebnisse gelassen mit dem Hinweis reagiert, dass ja immerhin beinahe 80 Prozent der Wähler nicht AfD gewählt hätten. Damit war klar, man muss auf die Probleme, mit denen die AfD beim Wähler punktet, allein dadurch, dass sie sie anspricht, weiterhin nicht eingehen.
Damals feierte die Kenia-Koalition ihre Premiere und sorgte als ungewöhnliches Modell für Aufmerksamkeit. Nach den Wahlen in Brandenburg und Sachsen galt diese Koalitionsart schon als beinahe selbstverständliche Art der Regierungsbildung in Zeiten starker AfD-Ergebnisse. Jetzt werden in Thüringen vielleicht alle Parteien, allen voran die Linke, gebraucht, um ohne beziehungsweise gegen die AfD regieren zu können.
Die SED-Nachfolger verdanken diesem Umstand nun wirklich einen großen Sieg, denn das letzte Tabu für eine Zusammenarbeit mit ihnen scheint zu fallen. Um sich inhaltlich nicht mit den Themenfeldern auseinander zu setzen, auf denen die AfD erntet, und sich vielleicht auch Gedanken um Politik-Änderungen zu machen, wie die dänischen Sozialdemokraten, die damit die dortigen Rechtspopulisten zurück drängten, versucht nach SPD und Grünen nun auch die CDU, sich die Linke schön zu reden. Dummerweise wird das der AfD nicht schaden, im Gegenteil. Es ist ein Irrweg, statt auf eigenes Profil zu setzen, mit Linksaußen im Bunde gegen Rechtsaußen ins Feld ziehen zu wollen.