Gastautor / 25.12.2016 / 06:29 / Foto: Bundesarchiv/ Mehmet Sonal / 0 / Seite ausdrucken

Schöne Bescherung – eine Weihnachtsgeschichte (1)

Von Thommie Bayer.

Seit der großen Reform sehen die Strafen des Himmels vor, Delinquenten die Erfüllung ihrer Wünsche aufzubrummen. Voula und Dean wollten Menschen werden. Und ein Liebespaar. Als sie sich das wünschten, waren sie noch Engel und beide desertiert und untergetaucht auf der Erde.

Gott, dem es damals in seiner ewigen Güte gerade gefiel, als Softwarevirus allgegenwärtig zu sein, hatte den Verlust dieser Abtrünnigen anfangs nicht einmal bemerkt. Es war viel später, da war er gerade mal wieder eine Frau und hieß PAULA, als IHM/IHR/IHM auffiel, dass Monat für Monat zwei Manna-Rationen nicht aufgegessen wurden, da runzelte ER/SIE/ES die Stirn und drückte auf einen Knopf an der Seite SEINES/IHRES/SEINES Schreibtischs.

„Ist da jemand abgezischt?“ fragte ER/SIE/ES den Erzengel Gabriel, der sich umgehend eingefunden hatte, und der versprach, sich unverzüglich umzuhören.

„Tatsächlich“, sagte er dann bei der nächsten Budgetbesprechung, „tut mir echt leid, dir das zu sagen, da sind wirklich zwei geflitzt.“

„Was für zwei?“ wollte PAULA wissen, und SEIN/IHR/SEIN derzeit tuntiger Tonfall schraubte sich um eine weitere Quint höher.

„Eine Terroristin aus der Griechenbande, du weißt schon, diese pantheistischen Wirrköpfe, und einer unserer Topagenten. O‘Rurke, Dean O‘Rurke. Guter Mann. Leider.“

„Die Griechentussi ist mir wurscht“, murmelte PAULA, „aber der Topmann fuchst mich.“

„Tja.“ Mehr fiel Gabriel dazu nicht ein.

„Mehr fällt dir dazu nicht ein?“ PAULA ließ Gabriel einen Blick zukommen, wie ihn Angestellte über fünfzig fürchten, deren Abteilung in den letzten Wochen Besuch von McKinsey hatte. Deshalb tat er so, als habe er nur tief Luft geholt und eigentlich seinen Satz noch nicht vollendet. „Ich denke, da sollte man durchgreifen.“ Er hüstelte verlegen.

„Sollte man das?“ PAULA hatte ganz offensichtlich einen dieser Tage, an denen ER/SIE/ES ein wenig machtgenießerisch unterwegs war.

Als Softwarevirus war sie mir lieber, dachte Gabriel, aber das war ein Fehler, denn PAULA konnte natürlich Gedanken lesen. So, so, dachte ER/SIE/ES zurück, und Gabriel erbleichte. Pass auf, dass ich nicht gleich mal als Lungenentzündung geh.

Ja, dachte Gabriel, tut mir leid.

„Also“, sagte PAULA versöhnlich, weil ER/SIE/ES sich amüsiert hatte, „gib den beiden, was sie verdienen, und halt mich gelegentlich auf dem Laufenden.“

„Okay, Chef“, sagte Gabriel.

„In“, sagte PAULA.

„Chefin“ verbesserte sich Gabriel schnell, denn seit ER/SIE/ES eine Frau war, nervte PAULA jeden mit ihrem Anspruch „auch als Frau wahrgenommen“ zu werden.

Gabriel begab sich selbst auf die Erde – ein bisschen Abwechslung konnte nicht schaden – und fand die beiden Engel friedlich schlafend, Hand in Hand und in denselben Traum versunken.

Sie träumten davon, wie schön es wäre, nebeneinander zu liegen, sich an den Händen zu halten und dabei etwas zu spüren. Als Engel spürt man nämlich nichts, da besteht man ausschließlich aus Geist.

Gabriel trat also in den Traum der beiden und sagte mit würdevoller Häme: „So, so. Ihr zwei Schlaule glaubt also, ihr könntet dem Himmel entgehen? Niemand entgeht seinem Himmel, schon gar nicht so zwei Danebeninkarnierte wie ihr. Jetzt träumt mal eben zügig, dass ihr aufwacht, und keine Zicken, ihr seid umstellt. Ich hab acht Leute vom EEK auf dem Gelände und brauch bloß mit dem Finger zu schnippen, dann seid ihr ruckzuck wieder Amöbenunterschicht und träumt von einem Leben als Wurm. Hab ich mich klar ausgedrückt?“

Das mit dem Englischen-Einsatz-Kommando war ein glatter Bluff. Gabriel liebte starke Sprüche, seit er seine Ferien regelmäßig in der katholischen Filmzensur verbrachte und Bruce Willis kannte. Am liebsten hätte er die Tür eingetreten und geschrien: „Hände auf den Tisch! Beine breit! Und denkt nicht mal an das geringste Runzeln einer Falte, sonst puste ich Euch in alle sieben Windrichtungen!“ Aber Träume haben keine Türen, Dean und Voula lagen auf einer Wiese, da war weit und breit kein Tisch, er hatte nichts zum Pusten, und dies war auch keine Verhaftung, sondern nur das Überbringen einer Botschaft. Und dann gab es auf Erden auch nur vier Windrichtungen. Keine sieben. Also blies er die Action halt ein wenig auf, indem er Amöben und EEK und solche Sachen sagte.

Voula erwachte sofort, aber Dean widersprach automatisch im Traum. „Was soll der Scheiß mit Inkarnation? Ich dachte, wir sind Christen, und Inkarnation ist eher was für Anthros und Leute, die auf Nagelbrettern schlafen?“

„Klappe halten“, bellte Gabriel zurück, „wach auf, oder du glibberst.“

Dean tat, wie ihm geheißen. „Ach, du bist das“, sagte er mürrisch, als er Gabriel erkannte, und ließ Voulas mittlerweile schweißnasse Hand los.

„Ja, ich bin’s“, sagte Gabriel ein wenig freundlicher, denn er erinnerte sich an eine ganz ähnliche Szene, noch gar nicht lange her, da hatte er Adam und Eva aus dem Paradies werfen müssen. Die Erinnerung daran tat ihm heute noch weh, aber PAULA, die zu der Zeit noch JEHOVA hieß, war nicht davon abzubringen gewesen, weil SIE/ER/ES einen IHRER/SEINER/SEINER rachsüchtigen Tage hatte.

„Also höret PAULAS Anordnung: Ihr bleibt auf der Erde. Ihr werdet Menschen. Ihr werdet Euch lieben und zusammenbleiben“, sagte er mit Trauer in der Stimme. „Tut mir leid, keine bessere Nachricht zu bringen.“

Voula und Dean strahlten sich an.

„Mensch“, jubelte Dean, „das ist ja ... ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Danke! Wo ist der Haken?“ Seine Mundwinkel schoben die Ohren nach hinten, so dass sie fast zusammenstießen.

„Immanent“, sagte Gabriel müde.

Im selben Augenblick fiel eine Amnesie über die beiden, ausgelöst von einem Update, einer geistigen Reorganisation, die in Sekundenschnelle ihre Gehirne mit menschlichen Erinnerungen, Gefühlen, Hoffnungen und Ängsten ausfüllte. In blitzartiger Geschwindigkeit strömten Namen, Bilder, Eltern, Geschwister, alte Lieben, Feinde, peinliche Erlebnisse und Enttäuschungen in sie ein und ersetzten ihre engelhaften Daten.

Als dieses Update abgeschlossen war, sahen sie einander erstaunt an, und glaubten, sich vor wenigen Minuten in den Heizungsraum ihrer alten Schule hinter einen Blechschrank verdrückt zu haben, um ungestört übereinander herfallen zu können. Irgendetwas in der Weihnachtsfeier, von der sie sich unauffällig weggeschlichen hatten, war derart aphrodisisch in sie gefahren, dass ihnen ein Blick genügte, um sich unverzüglich zu separieren.

Sie nestelten schon voller Vorfreude an ihrer Kleidung herum, da hörten sie die Tür wieder aufgehen, und sie erstarrten. Flüsternde Stimmen, Gekicher, Geraschel, jemand hatte dieselbe Idee gehabt. Dean und Voula hielten den Atem an. Umso unangenehmer waren ihnen die Geräusche, die sie nun mitanhören mussten, Grunzen, Schmatzen, Gackern und Krächzen, und ihnen verging alles, was sie hierhergeführt hatte. Die Dopplung machte jegliche aphrodisische Anwandlung zur Karikatur. Es war einfach nur furchtbar.

Und entweder war das Update nicht vollständig oder die Software hatte einen Fehler, denn auf einmal wurde ihnen klar, dass sie einander gar nicht kannten. Es war halbdunkel, und so konnten sie nicht den peinlich berührten Gesichtsausdruck des anderen sehen, aber sie hätten jetzt dringenden Gesprächsbedarf gehabt.

Fortsetzung folgt morgen

Thommie Bayers neuer Roman: „Seltene Affären“ erscheint im Piper Verlag, hier eine Besprechung von Monika Bittl.

Foto: Bundesarchiv/ Mehmet Sonal CC BY-SA 3.0 de via Wikimedia Commons

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