Deutschlands neues Zensurgesetz ist verfassungswidrig und verstößt gegen das Völkerrecht. Und es bedroht nicht nur soziale Netzwerke in Deutschland, sondern beispielsweise auch in der Schweiz.
Am 1. Januar 2018 trat in der BRD das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) vollständig in Kraft. Es soll dem Kampf gegen „Hass und Hetze“ bei Facebook und Co. dienen. Offenkundig strafbare Inhalte sollen innerhalb von 24 Stunden, rechtswidrige in sieben Tagen gelöscht werden. Bei Zuwiderhandlung drohen den sozialen Medien drastische Geldstrafen bis 50 Millionen Euro.
Dass dies nicht nur Deutsche in Deutschland betrifft, belegt ein Fall aus meiner Kanzlei: Am 7. Januar erreichte mich ein Mail von Britta S., wohnhaft bei Zürich. Ob ich ihr wegen einer gegen sie verhängten 30-Tage-Sperre bei Facebook helfen könne. Inzwischen trifft es sogar den Urheber des Gesetzes, Justizminister Heiko Maas (SPD): Ein sieben Jahre alter Tweet, in dem er den Bestsellerautor Thilo Sarrazin als „Idioten“ strafbar beleidigte, verschwand von Twitter.
Noch ist unklar, ob Maas ein Opfer seines eigenen Zensurgesetzes wurde oder selber löschen ließ. Dass das NetzDG jedoch drastische Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit auch in der Schweiz und Österreich haben wird, zeigt der Fall von Britta S. Die Fehlleistungen von Facebook beim Löschen zulässiger und beim unterlassenen Löschen strafbarer Inhalte sind legendär (siehe die Dokumentation auf meiner Webseite „Facebook-Sperre – Wall of Shame“). Dass Facebook und Co. es nun hinbekommen, das Zensurregime außerhalb Deutschlands nicht anzuwenden, darf man getrost ausschließen.
Völkerrechts- und verfassungswidrig
Justizminister Maas hat den gravierendsten Anschlag auf die Meinungsfreiheit verübt, den die Bundesrepublik seit Konrad Adenauers vor dem Verfassungsgericht gescheiterten Versuch, ein Staatsfernsehen zu implementieren, erlebt hat. Sein NetzDG ist nicht nur völkerrechts- und verfassungswidrig, es ist auch komplett überflüssig.
Der Beleg? Im April 2017 verurteilte das Amtsgericht Berlin-Tiergarten einen 57-jährigen Arbeitslosen wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten und Beleidigung zu Lasten von Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth auf Facebook zu einer Geldstrafe von 4.800 Euro. Ganz ohne NetzDG.
Maas’ Gesetz verlagert die Prüfung von Äußerungen weg von den Gerichten, hin zu den Löschkasernen der sozialen Medien. Künftig befinden nicht mehr Richter über die Grenzen der Meinungsfreiheit, sondern in Schnellkursen zur digitalen Exekution von „Hass und Hetze“ dressierte Mindestlohnakteure. Ein demokratischer Staat gibt die Kontrolle seiner Institutionen über ein fundamentales Grundrecht auf.
„Zensurmaßnahmen dürften nicht an private Rechtsträger delegiert werden“, schrieb der Sonderbeauftragte der UN für die Meinungsfreiheit, David Kaye, im Sommer 2017 an die Bundesregierung. Zum Adressatenkreis derartiger Anschreiben gehörten westliche Demokratien bisher nicht. Kaye stellte auch Verstöße gegen den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II) fest, den auch die Bundesrepublik ratifiziert hat. Das NetzDG verstößt also auch gegen Völkerrecht. Doch in den Medien wurde diese Demütigung für Maas weitestgehend ignoriert.
Purer Hohn in der Gesetzesbegründung
Genau wie die Einschätzung des Wissenschaftlichen Dienstes des deutschen Bundestages und einer schier endlosen Phalanx namhafter Juristen, wonach das Gesetz ein verfassungswidriger Eingriff in die von der Verfassung in Art. 5 GG garantierte Meinungsfreiheit sei. Durchgewunken hat der Bundestag es trotzdem.
„Niemand muss hinnehmen, dass seine legitimen Äußerungen aus sozialen Netzwerken entfernt werden“, liest man in der Gesetzesbegründung. Was sich als purer Hohn erweist. Einen Paragraphen, der diesen Anspruch rechtlich zementiert, sucht man vergeblich. Die Massenvernichtung freier Rede läuft auf Hochtouren. Im Zweifel wird gelöscht, die Meinungsfreiheit verliert.
Die auch ohne NetzDG mögliche Ahndung von Straftaten zeigt, dass es den Befürwortern dieses Gesetzes nicht um die Bekämpfung von „Hass und Hetze“ geht, sondern um etwas anderes: Die Kontrolle über den politischen Diskurs in den sozialen Medien.
Wie twitterte doch Maas vor einiger Zeit so zutreffend: „Treffen mit türk. Justizminister: Sperren von #twitter + #facebook ist nicht unser Verständnis von #Meinungsfreiheit.“
Zuerst erschienen in der Zürcher „Weltwoche“.