Fred Viebahn / 06.04.2007 / 09:31 / 0 / Seite ausdrucken

Schneckenpost mit Gesinnungszuschlag

Meine achtzigjährige Mutter erzählte mir eben aufgebracht von einem gestrigen Erlebnis auf ihrem kleinstädtischen deutschen Postamt, das mir symptomatisch zu sein scheint. Sie wollte einen Brief in die USA aufgeben und hatte bereits eine Eurobriefmarke draufgeklebt. Am Schalter fuhr die Beamtin, vielleicht halb so alt wie meine Mutter, sie an: “Da ist nicht genug Porto drauf!”

“Deshalb komme ich ja zu Ihnen, damit Sie’s mir genau sagen!”erwiderte meine Mutter; sie war schon immer ein Fan der belehrenden Logik.

“Einssiebzig,” schnappte die Schalterdame und schmiß den Brief von der Waage zurück vor meine Mutter, die in ihrer Handtasche nach Kleingeld kramte. Nach zwei Hüftoperationen und anderen altersbedingten Wehwehchen ist sie zwar körperlich schwerfällig geworden, aber auf den Mund gefallen war sie noch nie, und spitze Bemerkungen verkneifen kann sie sich auch nicht so leicht, wenn man sie provoziert. “Die Frau hatte so einen patzigen Ton drauf”, sagte sie, “da hab ich gesagt: Einssiebzig für einen einfachen Brief? Wird ja immer teurer hier.” Und während die Beamtin säuerlich das Geld zählte, setzte meine Mutter hinzu: “Komisch, von Amerika aus nach hier kostet sowas weniger als die Hälfte, und mein Sohn sagt, es ist billiger, einen Brief aus den USA nach Deutschland zu schicken, als innerhalb Deutschlands.” 

Na, da hatte sie aber was zu sagen gewagt! “Amerika! Amerika!” regte sich die in den Augen meiner Mutter “junge” Postfrau auf und verfiel in “eine antiamerikanische Tirade”.

“Was meinst du mit antiamerikanischer Tirade?” fragte ich.

“Naja, die Amis meinten immer, sie wären was besseres, dabei stimme es dort hinten und vorne nicht, und vieles wäre bei denen sowieso viel teurer als hier, und überhaupt das Leben da drüben, alles auf anderer Leute Kosten. Die Erfahrung hätte ich aber nicht gemacht, sagte ich, und ich war ja nun wirklich öfters in Amerika. Da schnauzte mich die blöde Zicke an, jaja, alles kaputtmachen könnten die Amerikaner, das sähe man ja auf der ganzen Welt… Ach, ich will nicht mehr drüber reden, ist mir zu dumm.”

“Wie, wurde sie auch politisch? Erzähl mal genau, was sie noch gesagt hat.”

“Ich hätt’s gar nicht erwähnen sollen, man regt sich nur auf.”

“Wie haben sich denn die anderen Leute dazu gestellt?”

“War doch sonst keiner da, der Schalterraum war leer, und sie wurde immer lauter. Ich hab nur noch gesagt, ich bin nicht auf der Post, um mich von Ihnen wegen Amerika runtermachen zu lassen, und bin gegangen.”

“Bin gespannt, ob der Brief ankommt,” seufzte ich.

“Ha!” rief meine Mutter triumphierend. “Keine Sorge—ich hab ihn wieder mit rausgenommen und draußen in den Kasten geworfen.”

*(Der Portovergleich stimmt nicht ganz, oder doch—kommt drauf an: Ein Brief bis zum Gewicht von einer Unze, also 28 Gramm, kostet von Amerika nach Europa 84 US-Cent, das sind zur Zeit ca. 65 Euro-Cent. Ein Brief innerhalb Deutschlands bis 20 Gramm kostet 55 Euro-Cent, während ein 28 Gramm-Brief 90 Euro-Cent—also etwa 1,15 USD—kosten würde. Für Briefe innerhalb Europas verschlechtert sich der Preisvergleich allerdings bereits beträchtlicher zuungunsten der Deutschen Post.)

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