Schluss mit den Schul-Illusionen!

Es gibt zwei Zugänge für die Gestaltung von Schule. Der erste, nennen wir ihn das Top-down-Konzept, geht von Idealen aus: vom neugierigen, vielseitig talentierten, kreativen Kind, das noch eine Unzahl anderer Tugenden in sich birgt. Vom spannenden, alle Teilnehmer einbindenden, die Themen unserer Zeit abdeckenden Unterricht, der noch eine Unzahl anderer Vorzüge in sich birgt. Ebenso gibt es ideale Mütter und Väter, ideale Lehrkräfte, eine ideale Schulaufsicht. Davon ausgehend sei Schule zu verwirklichen.

Erich Wagenhofer, Regisseur des Films „Alphabet“, ist von diesem Konzept überzeugt, wenn er schreibt: „98 Prozent aller Kinder kommen hochbegabt zur Welt. Nach der Schule sind es nur noch zwei Prozent.“ Dass kein Aufschrei gegen diesen strohdummen Satz erklang, nicht einmal leise Kritik, zeigt, dass es den Vertretern des Top-down-Konzepts gelang, die Gesellschaft auf ihre Dogmen einzuschwören. Darauf, dass in der traditionellen Schule vieles falsch liefe, Sitzenbleiben schädlich sei, die Einteilung in Leistungsgruppen eine soziale Trennmauer errichte und die Sehnsucht nach Noten von schrecklichem Rückschritt zeuge.

Nüchterne Wirklichkeit anstatt unnahbare Ideale  

Solche nach Präsentation des Pädagogikpakets erhobene Vorwürfe hört man zuhauf. Sie folgen dem zweiten Zugang für die Gestaltung von Schule, dem Bottom-up-Konzept. Statt von unnahbaren Idealen geht es nüchtern von der Wirklichkeit der Schulwelt aus. Sie ist von Spannungsreichtum genauso geprägt wie von Langeweile, von Leistungsdruck wie von Erholungsphasen, von Erfolg wie auch von Fehlschlägen, von Fairness wie von Zufälligkeiten.

Nicht hehre, unerreichbare Ziele soll sich Schule setzen, sondern bloß drei realistische Ziele anstreben: Erstens, den Kindern so viel Wissen zu vermitteln, dass sie einen ihren Eignungen und Neigungen gemäßen Beruf ergreifen können. Zweitens, ihre Persönlichkeit so weit zu bilden, dass ihnen ein erfülltes Leben gelingen möge. Drittens, ihnen ihre Rolle als Akteure in Staat und Gesellschaft bewusst zu machen.

Darum ist es vernünftig, dass, wenn – im bei klugen Schulreifekriterien seltenen Fall – ein Kind für die Anforderungen seines Jahrgangs noch nicht reif ist, es die Klasse wiederholt. Auch Einstein war ein Spätentwickler und wurde ein Genie. Darum ist es vernünftig, auf ein differenziertes Schulsystem zu setzen, Leistungsgruppen und Leistungsniveaus einzuführen. Es hat nichts mit einer „sozialen Trennmauer“ zu tun, wenn man Kinder nach ihren Befähigungen unterrichtet. Darum ist es vernünftig, Noten zu geben. Damit wird nicht die Persönlichkeit des Kindes bewertet, sondern seine zumindest einigermaßen objektivierbare Leistung. Dass Leistungen zu erbringen sind, liegt im Wesen von Schule.

Das neue österreichische Pädagogikpaket von Kultusminister Heinz Faßmann beinhaltet diese Maßnahmen, die sich am Bottom-up-Konzept ausrichten. Sie zeichnen sich durch Sachlichkeit aus, weit entfernt vom ideologisch durchtränkten Top-down-Konzept. Sie erheben keinen Letztanspruch und sind offen für weitere Verbesserungen. Das Paket weist den Weg zur anspruchsvollen Schule: einer Schule, die Ansprüchen der modernen Gesellschaft genügt und die Ansprüche an Lehrkräfte wie auch an Jugendliche stellt.

Der Autor Rudolf Taschner ist Bildungssprecher der ÖVP. Der Mathematikprofessor ist 2018 als Quereinsteiger in den Nationalrat eingezogen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in Kleinezeitung.at

Foto: Jan Tomaschoff

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Leserpost

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Michael Lorenz / 17.10.2018

Scheint ein sehr sinnreicher Ansatz zu sein. Scheidet daher für Deutschland aus. Hier hat man sich an einem Leistungsprinzip zu orientieren, wonach die Entscheider in Politik und Wirtschaft es in vielen, vielen Jahren nicht hinbekommen, einen Hauptstadtflughafen zu bauen. Und im Nicht-Hinbekommen sind auch unsere Schulen Spitze - je grünlinker, umso mehr!

Gertraude Wenz / 17.10.2018

Nachdem man nun endlich vom Schreiben nach Gehör abgekommen ist und die alte Fibelmethode wiederentdeckt hat, wird es auch nicht mehr allzu lange dauern, bis die Inklusion das Zeitliche segnet. Ich warte inständig darauf.

Frank Holdergrün / 17.10.2018

Nachdem Kinder im 19. Jh. von ehemaligen Soldaten und Polizisten unterrichtet wurden, gehen sie heute in die Leere von Ideologen,  die ihre Wünsche und Ideale zu einem seligen, süßen (Gleichheits-) Brei anrühren. Typische Studiengänge der Schüler: was mit Medien, Politologie, Soziologie. Ihre Lieblingsberufe: Weltretter , Demonstrant, Influencer und Journalist, der über die die anderen berichtet. Wer wissen will, warum sie mitten im Internet, also einer Wissensexplosion ohnegleichen, gläubig zurückschreiten ins Mittelalter, der lese “Das Millennial Manifest” von Bianca Jankovska.

Karla Kuhn / 17.10.2018

„98 Prozent aller Kinder kommen hochbegabt zur Welt. Nach der Schule sind es nur noch zwei Prozent.“  Die “98 Prozent” kann jeder, der in einer Großstadt lebt und mit geöffneten Augen durch das Leben geht täglich “erleben.”  Die ZWEI Prozent sind übertrieben aber an manchen Schulen, in manchen Städten könnte ich sie mir vorstellen. Es hat noch nie ein Ideales Schulsystem, ideale Lehrer und Ideale Eltern gegeben aber ein Schulsystem kann so, bzw MUß so gestaltet sein, daß  es Kinder und jugendliche zum - freiwilligen- Lernen animiert, daß ihnen allerdings auch klar und deutlich gemacht wird, sich an REGELN zu halten.  Und Eltern, die mit dem Anwalt drohen, wenn ihr “hochbegabtes Kind”  statt einer EINS, eine VERDIENTE VIER bekommt, müssen in die Schranken gewiesen werden. Die vielgepriesene Inklusion ist eine ILLUSION !! Wenn minder begabte Kinder und Migranten Kinder, die schlecht oder gar nicht deutsch sprechen, in eine Klasse mit Kindern mit einem Durchschnitts IQ gezwungen werden, können nur ALLE verlieren. Abgesehen davon müssen die Lehrkräfte auch noch eine ganz spezielle Ausbildung mitbringen.  Ich würde mein Kind NICHT in so einer Klasse lassen. Es spricht doch Bände, wenn ausgerechnet viele Politiker, die sich u. a. auch für Inklusion einsetzen, ihre EIGENEN KINDER auf PRIVATSCHULEN schicken.  So gesehen krankt es bei der Politik an ALLEN ECKEN und ENDEN.

U. Unger / 17.10.2018

Richtig Herr Taschner, ihr Konzept ist sehr einleuchtend. Mir fehlt es noch ein wenig an Konsequenz, im Punkt Eigenverantwortung der Schüler und Eltern. Mein Vorschlag ist immer die Abschaffung der Schulpflicht. Der Mensch schätzt im allgemeinen nämlich Dinge, für die er selbst etwas tun muss höher ein. 100 DM von der Omma waren bei mir früher auch schneller weg, als die für 5* Rasenmähen bei der Omma! Natürlich kann man versuchsweise Schulmündigkeit von 12 oder 15 Jahren einführen. Vermutlich hätte mein Vorschlag kaum Auswirkungen auf Menge und Qualität der Bildungsabschlüsse, jedoch auf unnötige Ausgaben im Verwaltungs- und Schulbereich, leider fallen dadurch viele unnütze Arbeitsplätze weg, die in der Regel von gut gebildeten Faulen (zumeist Grüne, Sozis, Kommunisten) besetzt sind.

Hans Bernhardt / 17.10.2018

Das Bildungssystem in unserem Land ist lediglich ein Abbild des allgemeinen gesellschaftlichen Zustandes. Der kleinste gemeinsame Nenner ist gerade im Bildungswesen eine katastrophale Zukunftsperspektive. Unsere ach so progressiven Vertreter bestimmter Parteien wollen das Individuum befreien und engen die Räume der Entfaltung immer weiter ein. Ich bin in der DDR aufgewachsen und resümiere, dass wir ein gutes Schulsystem gehabt haben, wenn man den ganzen ideologischen Mist rausrechnet.

Belo Zibé / 17.10.2018

«Es hat nichts mit einer „sozialen Trennmauer“ zu tun, wenn man Kinder nach ihren Befähigungen unterrichtet. Darum ist es vernünftig, Noten zu geben. Damit wird nicht die Persönlichkeit des Kindes bewertet, sondern seine zumindest einigermaßen objektivierbare Leistung»  Sehr geehrter Herr Taschner, das mag aus Ihrer Perspektive stimmen und auch wohlmeinend sein.Tatsächlich ist es aber so, dass sowohl die gute , als auch die schlechte Note ,bewusst oder unbewusst, eben doch zur Bewertung der Persönlichkeit eines Kindes herangezogen wird.Davor sind auch Lehrer nicht gefeit und es setzt ein hohes Mass an Selbstreflexion voraus dies zu erkennen und gegen zu steuern.Gravierender kann es sich bei den Eltern auswirken, bei denen die Schulnote gleichzeitig als Eignung zum Spielgefährten der eigenen Kinder herangezogen wird.Dabei fallen nicht selten jene auf, die alles und jeden inkludieren, solange es nicht den eigenen Nachwuchs betrifft. Ich bin zwar ebenfalls für Leistungsgruppen und Leistungsniveaus ,solange sich diese den Blick auf die Welt nicht verlieren und sich im Elfenbeinturm zurückziehen.Diese Gefahr besteht analog zur anderen Seite nämlich ebenfalls.

Wolfhard Herzog / 17.10.2018

Sehr geehrter Herr Taschner, Ihren Ausführungen kann man nur zustimmen. Leider sind in den letzten 20 Jahren auch die konservativen Parteien den pädagogischen Heilsversprechungen linker Theoretiker auf den Leim gegangen. Das beste Beispiel dafür ist Baden-Württemberg, wo der Grundstein für die heutige Misere bereits unter Frau Schavan gelegt wurde. Diese ging sogar soweit, das Vorwort zum Bildungsplan von H. v. Hentig schreiben zu lassen und ordnete an, dass Inhalte weitgehend zu vermeiden seien. Stattdessen erschienen im Bildungsplan fragwürdige Kompetenzen, was in Mathematik und den Naturwissenschaften zu geradezu lächerlichen Formulierungs-Verrenkungen führen musste, wenn man die Fachsystematik retten wollte. Schade, dass Sie wieder das alte Märchen erzählen, A. Einstein sei ein Spätentwickler gewesen. Seine Schulnoten am Luitpold-Gymnasium widerlegen dieses Gerücht. In Mathematik hatte er Noten zwischen 1 und 2, ab der fünften Klasse nur noch Einsen. Auch in Latein und Griechisch hatte Einstein durchgängig gute Noten. (Vergl. A. Hermann: Einstein, der Weltweise und sein Jahrhundert, S. 69 ff.)

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