Thilo Schneider / 31.12.2017 / 14:00 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 9 / Seite ausdrucken

Schluss mit dem Generalverdacht. Prost!

Wer aufmerksam seine Tageszeitung liest, wird immer wieder von Unfällen oder sogar Straftaten lesen, die Menschen unter Alkoholeinfluss begangen haben. Was im Straßenverkehr zu einer Strafverschärfung führt, führt bei Straftaten ironischerweise zu mildernden Umständen, was an sich schon ein recht seltsames Paradoxon ist. Und auch, wenn Alkoholgenuss heute noch als „kulturelle Eigenart“ und Gesellschaftsdroge nach wie vor weitgehend anerkannt ist, so fordern erste Stimmen trotzdem auch schon ein generelles Alkoholverbot.

Ich persönlich wehre mich dagegen, Alkohol zu verbieten und damit jeden Liebhaber geistiger Getränke unter den unschönen Generalverdacht zu stellen, nicht Herr seiner Sinne zu sein. Zumal es nicht nur eine Strömung von Freunden des Hoch und Niederprozentigen gibt, sondern ganz viele verschiedene. Angefangen vom Gelegenheits- und Gesellschaftstrinker mit Prosecco und Ramazotti über den Quartalssäufer mit Bier und Wein bis hin zum schwerkranken Alkoholisten mit Doppelkorn und Wodka. Da muss man nämlich durchaus differenzieren. Alkoholismus ist zwar verdammenswert, das bedeutet aber nicht, dass Alkohol per se schädlich ist – wie der Alkoholanteil in vielen Kochrezepten und Arzneimitteln zeigt. Wie sagte schon Paracelsus? „Die Dosis macht das Gift.“

Und mal ganz im Ernst: Das statistische Bundesamt weist unter 2,4 Millionen registrierten Unfällen in 2013 gerade einmal 36.900 Unfälle durch Menschen mit Fermentationshintergrund aus, das sind lediglich lächerliche 1,53 Prozent. Sieht man sich die Zahlen der Verkehrstoten an, so gehen nur 10 Prozent aller Schnapsleichen auf deutschen Straßen auf das Anschreibekonto von Bier, Wein und Korn, und was Mann und Frau und Drittes Geschlecht sich für den kleinen Urlaub vom Geiste sonst so in den nicht voll genug bekommenden Hals schütten.

Mit „ausgeschossenen Lichtern“ durch das Land bewegen

Hinzu kommt, dass die Gefahr, bei einer Trunkenheitsfahrt erwischt zu werden, bei 1 : 300 bis 1 : 2.000 liegt; das bedeutet faktisch, dass sich jeden Tag tausende Abgefüllte mit „ausgeschossenen Lichtern“ durch das Land bewegen – ohne dass irgendetwas passiert. Die können teilweise schlechter gehen als Autofahren und trotzdem: kein Unfall, nichts, nada. Daher halte ich die Behauptung, dass Alkohol am Steuer für Verkehrsunfälle verantwortlich sein könnte, für wenigstens gewagt.

Ich bin daher auch nicht der Ansicht, dass in Pressemitteilungen Formulierungen wie „Betrunkener Autofahrer verursacht Unfall“ weiterhin verwendet werden sollten. Das ist gegenüber Alkoholikern und solchen, die es werden könnten, zutiefst diskriminierend. Es hätten auch jede Menge anderer Gründe zu einem Verkehrsunfall führen können; niemand stellt eine Gefahr dar, nur weil er sich fröhlich lallend hinter das Lenkrad gesetzt hat.

Das sind Gerüchte. Die Gefahr, durch einen nüchternen Autofahrer aus dem Leben zu scheiden, ist neun Mal höher. Natürlich bauscht die Presse hier gerne spektakuläre Einzelfälle von schweren Unfällen auf, aber die allermeisten Zugedröhnten fahren weltweit völlig sicher von A nach B und C (während sie eigentlich nach D wollten, aber Irren ist menschlich).

Sicher, bei den Gewaltdelikten gehen, ebenfalls BKA-Statistik 2013, knapp ein Drittel auf das Konto von schlecht gelaunten Zechern, die wahrscheinlich nur sauer waren, weil sie nichts mehr zu trinken bekamen, aber über alle Straftaten hinweg hatten lediglich 13,4 Prozent aller Tatverdächtigen „böse einen in der Krone“. Aus all diesen Zahlen lässt sich nur der Schluss ziehen, dass zwar auch Abgefüllte an Straftaten und Verkehrsunfällen beteiligt sind, als Ursache kann aber Sauferei hier nicht ins Feld geführt werden. Hier liegt bestenfalls eine Korrelation, keinesfalls aber eine Kausalität vor. Das ist völlig aus der Luft gegriffen.

Warum keine Straftaten von Rauchern oder Kaffeetrinkern in der Statistik?

Bestenfalls müssten hier lediglich unter dem Ruf „Bier her, oder ich fall’ um“ begangene Straftaten vielleicht als „auf Alkohol zurückzuführende Tat“ gewertet werden, aber alle der von bis zur Halskrause abgefüllten Suffköppen begangenen Taten werden ebenso auch von völlig nüchternen Zeitgenossen begangen. Seien es nun Morde, Eifersuchts- und Familiendramen, Körperverletzung, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung etc. Ein fröhliches Fässchen Bier oder ein moderater Martini als Tatursache dürften, wenn überhaupt, kaum relevant sein. 

Abgesehen davon tauchen in den Statistiken ja auch keine Straftaten von Rauchern oder Kaffeetrinkern auf. Warum eigentlich nicht? Auch das sind gesellschaftlich anerkannte, aber bewusstseinsverändernde Rauschmittel, seien sie nun beruhigend oder anregend. Warum sollen also ausgerechnet ausgelassen feiernde Schnapsdrosseln und Schluckspechte hier den blauen Sündenbock abgeben? Wo sind da Toleranz und Gleichberechtigung? Wo bleibt da die Achtung vor alkoholisierter Lebensfreude? Sind Zuproster weniger wert als Raucher oder Kaffeetrinker? Nur, weil sie einer anderen Drogenkultur frönen?  

Letztlich ist es ein Unding, ja sogar menschenverachtend, ausgerechnet am höchsten Feiertag der Saufeulen, Silvester, verstärkt Alkoholkontrollen durchzuführen und überführte Freunde des gepflegten Glases respektlos wahlweise als „Sternhagelvolle“, „Besoffene“ oder sogar „Alkis“ seitens der Polizei zu titulieren.

Ich fordere daher: komplette Abschaffung der Promillegrenzkontrolle, Abschaffung anlass- und trostlos trockener Verkehrskontrollen bei Schlangenlinienfahrern, verpflichtende Schulbesuche von Brennereien und Destillerien sowie den Ausschank von Alkohol in Schulkantinen und frühkindliche Heranführung an das Thema Gärung. Und natürlich Freibier für alle! Damit sich Alkoholiker nicht länger ausgegrenzt fühlen müssen. Frau Kahane, Frau Käßmann, Herr Schulz: Handeln Sie! Zum Wohl! Und zwar Aller!

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

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Winfried Sautter / 31.12.2017

Die Hauptursache für Unfälle im Strassenverkehr ist die Nutzung von Handys, Smartphones etc. während der Fahrt. Würde hier einmal konsequent kontrolliert und sanktioniert ... Aber da ist die Digital-Lobby der Wirtschaft davor, und ihr kleiner Helfershelfer, der Datenschutz.

Gabriele Klein / 31.12.2017

Also diesen Artikel hab ich umgehend auf meinen Favoriten gesetzt.  Prost Neujahr an den Autor

hartmut polzin / 31.12.2017

habe verstanden,,grossartiger Artikel

Gabriele Kremmel / 31.12.2017

Und außerdem sind Alkohlmessverfahren nicht vertretbar, denn sowohl beim blasen als auch bei der Blutabnahme ist der Delinquent einem erhöhten Gesundheitsrisiko ausgesetzt. Deswegen sollte man auf die Alkoholtests verzichten und sich alleine auf die Angaben der zu Überprüfenden verlassen.

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