Wer sitzt nun tiefer in der Patsche, Bodo Ramelow, der abgewählte Ministerpräsident Thüringens, für den es kam, wie er es nie für möglich gehalten, oder Thomas Kemmerich, weil ihm die Stimmen der AFD zum Sieg über den Linken verhalfen. Ob er dem Amt gewachsen sein wird, bleibt abzuwarten. Gewählt wurde er erst einmal nach allen Regeln der Demokratie: von der Mehrheit der Abgeordneten, die wiederum als Vertreter der vom Volk gewählten Parteien im Parlament sitzen. Ein Unding für jene, die schon glaubten, fortdauernd über die Macht verfügen zu können. Schäumend vor Wut fielen sie aus der Rolle, ebenso wie ihre Claqueure.
Spontan reagierten die Verlierer mit dem, was sie am besten beherrschen: mit schlechtem Benehmen. Die Landeschefin der Linken Susanne Hennig-Wellsow warf dem gewählten FDP-Mann den Blumenstrauß, mit dem sie ihrem Genossen hatte gratulieren wollen, kurzerhand vor die Füße. Als der Neue das Wort ergriff, verhöhnten ihn PDS, SPD und Grüne mit lautem Gelächter.
Ramelow selbst bemühte die Geschichte und Hitler, als er den Erfolg seines Kontrahenten mit dem verglich, den die NSDAP 1930 in Thüringer verbuchte. Ob er noch alle Tassen im Schrank hat, ist eine Frage, die sich aufdrängt, nicht nur bei ihm. Auch der Chefredakteur des ZDF, Peter Frey, entblödete sich nicht, in seinem Kommentar von der „Endstation Buchenwald“ zu sprechen. Zwar räumte er ein, Kemmerich sei „demokratisch“ gewählt worden, doch sei die „Brandmauer mit seiner Wahl schon eingestürzt“. Danach von „Verantwortung“ zu sprechen, fand er „unanständig“.
Die Worte konnten nicht groß genug sein. Von „AfD-Taschenspielertricks“, einem „Tabubruch“ und dem „Betrug der Wähler“ war allenthalben die Rede. Die CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer stellte klar, dass der thüringische Landesverband entgegen den Weisungen aus Berlin für Kemmerich gestimmt habe. Von einem „rabenschwarzen Tag für die Demokratie" sprach Nancy Faeser, die Vorsitzende der Hessen-SPD.
In der Panik verloren die Apparatschiks jegliche Hemmung. Sie waren ihrer Worte nicht mehr mächtig. Oder wie sonst könnten sie auf die Idee kommen, eine ordnungsgemäß abgelaufene Wahl verletze ein „Tabu“? Besteht es etwa darin, dass keinem anderen als den Vertretern der eingeführten Parteien das Recht zusteht, frei zu entscheiden?
Dann wird eben weiter und weiter gewählt
Nach dem, was wir seit gestern zu hören bekommen, muss es sich wohl so verhalten. Ganz überraschend kommt das freilich nicht. Schon bei der Europa-Wahl pfiffen die Funktionäre auf den Wählerwillen, indem sie eine Frau zur Chefin der EU-Kommission kürten, die gar nicht auf der Kandidatenliste gestanden hatte.
Im fernen Brüssel ließ sich dieser Schwindel noch relativ leicht durchziehen. In Erfurt, wo die Bürger ihrer Regierung schon räumlich näher sind, bedarf der Betrug einer aufwändigeren Inszenierung. Ohne Neuwahlen ist da nichts zu machen. Und sollten die abermals schief laufen, dann wird eben weiter und weiter gewählt, bis sich das Volk breit schlagen lässt, nach den Vorstellungen der politische Eliten abzustimmen.
Selbst die FDP als derzeitiger Gewinner hätte dagegen nichts einzuwenden, ebenso wie die CDU. Am Ende kommt es doch nur darauf an, dass die zusammenstehen, die schon immer in einem Boot saßen. Man will unter sich bleiben, wie die Mitglieder eines Golfclubs, dann zumal, wenn sich ein Konkurrent wie die AFD unverhofft mausig macht.
Worüber soll man sich mehr wundern, über die Dreistigkeit, mit der die Demokratie von denen ausgehebelt wird, die sie für sich beanspruchen, oder über die Selbstgefälligkeit, mit der sie in den Untergang taumeln. Stecken sie doch schon heute bis zum Hals im Morast ihrer ideologischen Machtanmaßung. Und je mehr sie dabei um sich schlagen, desto tiefer sinken sie ein. Außer dem Lügenbaron Münchhausen hat es noch keiner geschafft, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen.
Auch wenn Kemmerich inzwischen dem Druck nachgegeben und das Handtuch geworfen hat, ist die Geschichte nicht zu Ende. Der AfD ist ein Schachzug gelungen, den ihr niemand zugetraut hätte. Strikt nach den Regeln des parlamentarischen Procedere hat sie das Gezerre der Parteien um die Macht im Erfurter Landtag auffliegen lassen. Das ist in der Tat ein erster Dammbruch, dem weitere folgen werden.