Kolumne von Maxeiner & Miersch, erschienen in DIE WELT am 11.04.2008:
Wir erleben gerade die vierten Jubiläumsfeierlichkeiten für 1968. Jede davon hatte eine eigene Note. 1978 war das Land vom RAF-Terrorismus verunsichert, die linken Sekten erlebten ihren Niedergang, die Grünen ihren Aufstieg. Öko- und Friedensbewegung wurden immer populärer. Doch um die Rädelsführer von 1968 war es still geworden. Im Mittelpunkt des Interesses stand die Frage: „Was machen eigentlich Dutschke und Co.?“ Ganz anders 1988. Die Grünen saßen in den Parlamenten, sogar in Landesregierungen. Pazifismus, Ökologismus und Feminismus waren mehrheitsfähig. Den baldigen Fall der Mauer ahnte noch niemand. Die Geschichtsinterpretation von der liberal-demokratischen Neugründung der BRD und der Offenlegung der NS-Vergangenheit durch die Achtundsechziger setzte sich durch. 1998 war sie etabliert aber es zeigten sich erste Risse in der Veteranenseligkeit. Und heute im Jahr 2008 tobt der Streit zwischen den unheilbar Selbstzufriedenen und immer härteren Kritikern, die inzwischen sogar Gemeinsamkeiten zwischen SDS und SS erblicken.
Der wohl größte Erfolg der Achtundsechziger kam Orthodoxen und Renegaten gleichermaßen zugute, wird aber in den politischen Deutungskämpfen selten erwähnt. Es ist ihre Wirkung als Karrierenetzwerk. In den Achtzigerjahren war es in etlichen Konzernen, Gewerkschaften, Kirchen, Fernsehsendern, Verlagshäusern, Behörden und Parteien überaus hilfreich 1968 und in den Siebzigern dabei gewesen zu sein. Ein paar Anekdoten über Häuser- oder Fahrpreiskämpfe, ein paar Abkürzungen aus dem revolutionären Wörterbuch weckten Gefühle der Verbundenheit und öffneten Türen. Man blickte sich mit dem wissenden Lächeln von good old boys tief ins Auge. Die Achtundsechziger haben diesen karrieretechnischen Vorteil ihrer Jungendrebellion sicherlich nicht vorausgesehen oder gar geplant. Es war ein Kollateralnutzen, der erst viele Jahre später eintrat.
Junge Männer, die durch große Ereignisse zusammengeschweißt werden, bilden Seilschaften fürs Leben. Man hat etwas gemeinsam durchgestanden, das verbindet. Die Väter der Achtundsechziger der und deren Väter wurden durch das Fronterlebnis der Weltkriege geprägt. Wenn es dann später im Frieden um die zivilen Karrieren ging, bekam im Zweifelsfall immer der den Job, der in der gleichen Division gedient hatte.
Ohne Krieg ging es aber auch. Junge Massai erlegen gemeinsam einen Löwen. Deutsche Studenten trafen sich zu Kaisers Zeiten in Schlagenden Verbindungen, um zu fechten oder sich gegenseitig unter den Tisch zu saufen. So schafft man eine gemeinsame Erlebniskultur und gemeinsame Erinnerungen. Durch Jugendriten geschmiedete Netzwerke gibt es seit Urzeiten und überall auf der Welt. Sie haben sich kulturell bewährt. Wahrscheinlich dienen sie einfach dazu, Konkurrenz abzumildern und ein notwendiges Quantum Vertrauen aufzubauen. So betrachtet war die APO die erfolgreichste schlagende Verbindung der deutschen Geschichte.