Hannes Stein / 05.05.2008 / 05:08 / / Seite ausdrucken

Schiller? Goethe?

Sie werden es ja nicht glauben, liebe Leserinnen und Leser der Achse des Guten, aber: auch zu diesem Thema findet sich etwas in meinem neuen Buch, das von heute an offiziell im Handel zu haben ist. Bitte, schauen Sie selbst nach:

GOETHE WAR DER BESTE

Nichts gegen Schiller! Der Mann hatte zweifellos sehr edle Ansichten, und man muss bewundern, wie es ihm gelang, sich aus bescheidenen Verhältnissen hochzuarbeiten. Auch ist manches in den Dramen gar nicht übel.

Manches ist dann aber auch schrecklicher Kitsch; beim Schluss seines Stücks über die heilige Johanna von Orleans etwa muss der Leser ins Grübeln kommen, ob der Dichter sich selbst parodieren wollte oder ob er den Verstand verloren hat. Und als Lyriker war Schiller immer eine Katastrophe. Seine Verse erinnern an jene jugendlichen Muskelpakete mit Migrationshintergrund, die glauben, sie sähen gut aus, wenn sie drei Ringe an jedem Finger und dann noch ein Goldkettchen ums Gelenk tragen: Sie sind hemmungslos überladen. Da ist leider nichts zu retten.

Goethe war da doch ein ganz anderes Kaliber. Seine größte Tugend war seine Neugier – dieser Mann wollte tatsächlich etwas wissen, wollte alles durchstreifen, auskosten, herauskriegen. Noch dort, wo er irrte, war er groß. Seine Farbenlehre ist naturwissenschaftlich gesehen gewiss Humbug – aber auch in ihr spüren wir noch den dringenden Wunsch, sich die Welt begreiflich zu machen (und gleichzeitig einen sympathischen Widerwillen gegen Galilei und Newton, für die das Buch der Natur schwarz auf weiß in Zahlen geschrieben war; Goethe hätte es gern ein wenig bunter gehabt).

Dieser Schriftsteller hat das erfolgreichste Reisebuch der deutschen Literatur hervorgebracht, das sagt eigentlich alles. In der Regel mögen die Deutschen diese Art von Büchern nicht, die darauf basiert, dass ein Mensch irgendwo hinfährt, sieben Sinne für seine Umgebung offenhält und hinterher notiert, was er erlebt hat. Genau ein solches Werk ist Goethes „Italienische Reise“, und seltsamerweise hat das deutsche Publikum ihm seine weltoffene Haltung (man könnte auch sagen: seinen Mangel an Idealismus) verziehen.

Und wofür interessierte sich Goethe nicht alles: für den Vesuv ebenso wie für Theateraufführungen, bei denen junge Männer wie zu Shakespeares Zeiten die Rollen von Frauen spielten. Für Gesteinsformationen. Für Kunst, für die neueste Mode, für die Verse von Dante Alighieri. Für jeden Geruch und Geschmack, den er unterwegs in sich aufsog.

Hier wird es nun vielleicht doch Zeit, ein paar Worte über das Nationaldrama zu verlieren, das Goethe den Deutschen geschenkt hat. Es ist das am wenigsten spießige Theaterstück, das man sich nur denken kann: Die alte Geschichte vom Dr. Faust, der seine Seele an den Teufel verkauft, wird kunstvoll so mit der modernen Geschichte von der Kindsmörderin verschraubt, dass keine Fuge sichtbar bleibt.

Was für ein Geniestreich! Auf der einen Seite der schwärzeste Spott, der je über den deutschen Intellektuellen an und für sich ausgegossen worden ist. (Denn was ist dieser Faust? Ein Herr Professor, der sich nach dem verzehrt, was er für das wahre Leben hält. Und als er endlich aus seiner tristen Studierstube ausbricht, was tut er da? Er schwängert prompt ein Mädchen und lässt es in der größten Not sitzen, weil er ein mieser kleiner Feigling ist.) Doch auf der anderen Seite ist die Tragödie vom Dr. Faust auch die aufregende Geschichte einer lebenslangen Suche (die sich am Ende als Melodram entpuppt). Denn was diesen Dr. Heinrich Faust auszeichnet, ist just die Kardinaltugend seines Schöpfers: unersättliche Neugier. Darum, nur darum kann seine arme schwarze Seele zu guter Letzt erlöst werden.

Ganz nebenbei die Hauptsache: Goethe war der beste erotische Dichter, den es in diesen Breiten je gab, Brecht eingeschlossen. Er war eben wirklich das Gegenteil eines Spießers. Zwar hat er bis in seine hohen Dreißiger gewartet, ehe er zum ersten Mal mit einer Frau schlief (die erotische Erweckung fand in Rom statt, dem schönsten Ort, den man sich dafür vorstellen kann); in diesem Fall kann man nur sagen – das Warten hat sich für die Literaturgeschichte gelohnt.

Goethes erotische Verse sind hemmungslos und verspielt, witzig und erregend, zwischendurch auch immer wieder ergreifend, und sie haben bei aller Sinnlichkeit nichts von der grölenden deutschen Bierzote an sich. Dieser Dichter, den man nicht mit dem verzopften Denkmal verwechseln sollte, das ihm die Philister errichtet haben, wusste eben, dass „zwei Hebel viel aufs irdische Getriebe“ vermögen: „Sehr viel die Pflicht, unendlich mehr die Liebe.“

 


SCHILLER WAR VIEL BESSER

Nichts gegen Goethe! Der „Faust“, erster Teil, ist ja ganz hübsch, und es gibt eine Handvoll gelungener Gedichte. Aber der „Faust II“ ist schauderhaft: Dieses Stück hat die Struktur eines breitgesessenen Marsriegels – das heißt, der Dichter reiht nach der Devise „Und dann ... und dann ... und dann“ Szenen aneinander, ohne inneren Halt, ohne jede dramatische Struktur. Nach Spannung sucht man vergeblich, nichts entfaltet sich, Goethe hat lediglich seine Ideen bebildert. Er nimmt hier die ödesten Wüsteneien der deutschen Innerlichkeits-Poesie vorweg.

Wer aber Goethe ohne Vorbehalt einen großen Lyriker nennt, der hat offenbar noch nie seine Nase in den „West-Östlichen Diwan“ gesteckt: gereimte Plattitüden, wohin man auch schaut (der höfliche Ausdruck dafür lautet: Gedankenlyrik). Und seine Romane? Zugegeben, die „Wahlverwandtschaften“ sind ordentlich konstruiert (eigentlich zu ordentlich). Leider merkt man aber häufig, dass Goethe das Zeug diktiert hat – etwa wenn er die Enden von Kapiteln mit irgendwelchen Floskeln hinschludert; wahrscheinlich wurde der Meister dann gerade zum Mittagessen gerufen.

Da gab sich Schiller doch eindeutig mehr Mühe. Jedenfalls war er der begabtere Dramatiker: Dieser Mann wusste, was ein Plot ist! Schillers Dramen sind geradezu rasend spannend. Da werden vorne Geheimnisse versteckt, die hinterher ausgewickelt werden wie bunt bemalte Ostereier – und oft genug tickt dieses Ei, wenn man es sich ans Ohr hält, und erweist sich als Bombe Surprise.

Da werden die feinsten Intrigen gesponnen, und gerade wenn man denkt: Jetzt geht die Fliege ins Netz, verfängt sich die Spinne selbst in ihren Klebefäden. Die größte Stärke dieses Dichters war, dass er die Kolportage nicht verschmähte: „Die Verschwörung des Fiesco“ etwa ist ein feudaler Krimi und das Drama einer verratenen Revolution, beides in einem. (Hätten alle Revolutionäre dieses Stück gekannt – wieviel welthistorischer Unsinn wäre uns erspart geblieben!) Von den jugendlich-hitzigen „Räubern“ bis zu den reifen Wallenstein-Stücken – die Konstruktion ist immer großartig durchdacht.

Und dieser Dichter hatte das absolute Gehör für Dialoge: Man vergleiche einmal Schillers tönendes Erz mit dem Blech, das die Theaterautoren von heute ihre Figuren aufsagen lassen. Obwohl es die Diktion des achtzehnten Jahrhunderts ist, wirkt Schillers Sprache vielfach moderner. Kein Zweifel: Wenn er noch leben würde, er schriebe Drehbücher. Wahrscheinlich würde er es sich nicht nehmen lassen, auch Regie zu führen. Schiller als Autorenfilmer – das ist eine ebenso reizvolle Vorstellung, wie es Shakespeare in Hollywood wäre.

Mit Shakespeare verbindet Schiller noch etwas anderes: sein grandioser Sinn für Geschichte. Es gibt keine besseren Dramen über das, was man im modernen Jargon self-fulfilling prophecy nennt, als „Wallensteins Tod“; es gibt kein besseres Stück über die Frage, was Macht eigentlich bedeutet, als die „Maria Stuart“; und im „Wilhelm Tell“ wird die brandaktuelle Frage verhandelt, wodurch Gewalt legitim werden kann. (Wenn das nächste Mal jemand den gedankenlosen Satz wiederholt, des einen Terrorist sei des anderen Freiheitskämpfer, sollte man ihm einfach und kommentarlos den Schluss dieses Dramas über den Kopf hauen.)

Dabei haben wir noch nicht vom Wichtigsten gesprochen: Dieser Schiller hatte einen moralischen Kompass in der Brust. Seine Sympathie gehörte den Getretenen, den – und sei es von der Geschichtsschreibung – ungerecht Behandelten: Er fühlte mit den Opfern. Gerade dann, wenn sie so hoffnungslose Fälle sind wie Ferdinand und Luise in „Kabale und Liebe“, die von Anfang an nur im Tod glücklich werden können, weil es für ihre Liebe im schäbigen Diesseits keinen Platz gibt. Schiller war Realist genug, um zu sehen, dass die Welt, so wie sie eingerichtet ist, keine idealen Höhenflüge duldet; aber er hatte das Herz, trotzdem für jene Partei zu ergreifen, die unter die Räder geraten.

Auch dies unterscheidet ihn vorteilhaft vom manchmal allzu olympischen, ausgewogenen, empörungsfernen Goethe.

Und Schillers Gedichte? Natürlich handelt es sich nicht um Lyrik – in Wahrheit haben wir es mit hochdramatischen Gebilden zu tun. Schillers Balladen etwa könnte man zur Not vor vollen Fußballstadien deklamieren. Bitte, welcher zeitgenössische Dichter dürfte das von seinen Versen behaupten?

 

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