Mancher echauffiert sich - zum Beispiel nach dem Anschauen von Talkshows - über den stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Ralf Stegner. Er ist in der Tat der emsigste Schimpfspecht der Sozen. Keiner in der Partei kann ihn in puncto Kotzbrockigkeit toppen, nicht mal Heiko Maas. Wie er bei Fernsehauftritten den Lümmel von der letzten Bank gibt, sobald jemand zu Wort kommt, dessen Ansichten er nicht teilt - das ist für einen 56-Jährigen eine sportliche Leistung. Kameraleute lieben das Antlitz des nuschelnden Intellektuellen-Darstellers, welches blitzschnell zwischen Ekel, Langeweile oder Wie-blöd-ist-das-denn-jetzt? oszillieren kann. Stegner ist auch die wirkungsmächtigste Wählerscheuche seiner Partei. Schüttet er vor Wahlen zum Beispiel bei N24 sein Herz aus („Die AfD-Idioten kann man nicht überzeugen“), laufen am Wahltag prompt SPD-Wähler zuhauf ins Lager der Idioten über.
Wenn Stegners Genossen - beileibe nicht allesamt Idioten – diesen Mann heimlich auf den Mond oder auf einen ferneren Planeten wünschen, dann liegen sie richtig. Völlig falsch dagegen liegen die vom ihm Gebashten, wenn sie darüber jammern & zetern, dass der in Bordesholm weltberühmte Harvard-Absolvent ihnen mal einen zwitschert, dass das Netz nur so quietscht: „AFD-Hetzer wollen Todesstrafe für demokratische Politiker, Homosexuelle zählen und auf Flüchtlinge schießen lassen – AFD=Demokratiefeinde!“
Ein Jackpot für „Demokratiefeinde"
Warum ist ein einziger Stegner schon der Jackpot für „Demokratiefeinde“? Und warum wären mehrere seiner Art sichere Garanten für den krachenden Wahlsieg von „Idioten“, die „demokratische Politiker“ bestimmt unverzüglich an die Wand stellen würden? Geben Sie mir einen Moment Zeit für einen Exkurs in die jüngere Erfolgsgeschichte linksradikaler Clowns.
Auf ihren Anti-Atomtod-Märschen hatte die frühe, in Teilen betulich-christlich-bürgerlich geprägte Friedenbewegung auch immer mal die Forderung „Stoppt den Krieg in Vietnam“ im Angebot. Das geschah in den frühen 1960ern, als das Gemetzel des französischen Algerienkriegs endlich endete. Um diese Zeit eskalierten die Dinge in Vietnam. Die Friedensbewegung bekam ein neues Thema.
Doch schon wenige Jahre später war von einem „Stopp“ des Vietnamkriegs nicht mehr oft die Rede. Im Gegenteil. Jetzt hieß es „Schafft zwei, drei, viele Vietnam!“ Inzwischen nämlich hatte die linke Studentenbewegung („Apo“) das Vietnam-Thema usurpiert; es bildete ihren Gründungsmythos. Die Losung von den „vielen Vietnam“ war auf dem „Vietnam-Kongress“ allgegenwärtig, der im Februar 1968 in Westberlin stattfand.
Ché Guevara, „Jesus mit der Knarre“ (Wolf Biermann) aller Achtundsechziger, hatte die Parole 1966 ausgegeben. Rund ein Jahr später wurde der Commandante beim kläglichen Versuch, in Bolivien ein neues Vietnam anzuzetteln, gefangengenommen und stracks exekutiert. (Er hätte sich darüber sicher nicht beschwert; auf diese kurze Art war er selber mit Gefangenen umgegangen.)
Der lange Marsch zur Splitterpartei
Der neue Blick auf Vietnam war die Folge einer ruckartigen Radikalisierung von Teilen der westdeutschen Linken. Die Kader des „Sozialistischen Deutschen Studentenbundes“ (SDS) hatten mit den von ihnen geschmähten „Latsch-Demos“ der ollen Friedensbewegten nichts mehr am Hut. Sie wollten auch keinesfalls einen „faulen Frieden“ in Vietnam, der Verhandlungen bedeutet hätte. Was ihnen immer vorschwebte, war der totale Sieg des kommunistischen Regimes in Hanoi und seines Kanonenfutters, des Vietcong – egal um welchen Preis an Menschenleben. Da waren sie ganz beim Ché, der für seine exklusiven Ideale sogar einen Atomkrieg riskiert hätte.
Darüber hinaus bedeutete die linke Sehnsucht nach zwei, drei, vielen Vietnams nichts anderes, als dass auf dem halben Erdball revolutionäre Brände gestiftet werden sollten. Um dem amerikanischen Imperialismus, der Nato und somit dem Kapitalismus das Sterbeglöcklein zu bimmeln. Bekanntlich wurde aus all dem nicht viel. Zwar, ganz Vietnam geriet unter die nordvietnamesische Knute. Millionen von Bewohnern flohen das Land, so sie es konnten. Die Nato ist allerdings noch immer präsent, Amerikas Vormachtstellung auch. Und der Kapitalismus? Der macht längst auch in Vietnam den Durchmarsch. Und wie! Da wurde es einer wie Gretchen Dutschke (die Frau des Studentenführers, der sich jede Menge Vietnam gewünscht hatte), schon mal ganz anders.
Was das mit Ralf Stegner zu tun hat? Einiges, finde ich. Wer es mit der ehrwürdigen SPD nämlich wirklich böse meint (der Autor dieser Zeilen nicht; jahrelanger Besitz eines roten Parteibuchs hinterlässt denn doch eine klitzekleine Solidarität), wer also diesem armen, geschundenen Klepper wirklich den Gnadenschuss geben möchte, der muss fordern: Schafft zwei, drei, viele Stegner! Damit wäre der lange Marsch der Bebel-Partei zur Splitterpartei endlich beendet.