Argentiniens Präsident Javier Milei gilt vielen deutschen Medien als „umstritten“. Dessen Abbau des Staatsapparats und Auflösung von Ministerien und Behörden gilt als undenkbar. Aber was ist, wenn Milei Erfolg hat?
In einer bahnbrechenden Entscheidung hat das argentinische Unterhaus das „Gesetz über die Grundlagen und Ausgangspunkte für die Freiheit der Argentinier“, das so genannte Ley de Bases, verabschiedet. Dies gilt als ein wichtiger Sieg für die Regierung von Präsident Javier Milei, der das Land zu wirtschaftlicher Stabilität und Wohlstand führen will.
Mit 147 zu 107 Stimmen bei zwei Enthaltungen billigte die Abgeordnetenkammer am frühen Freitagmorgen ein Paket, das Milei für ein Jahr außerordentliche Vollmachten, eine neue Regelung für ausländische Investitionen, eine Lockerung des Arbeitsrechts und die Genehmigung zur Privatisierung von rund einem Dutzend öffentlicher Unternehmen vorsieht, sowie weitere Änderungen. Das Oberhaus (Senat), wo der Widerstand größer war, hatte bereits vorher zugestimmt. Das Gesetz hatte einen schwierigen Weg im Parlament, wo es auf Widerstand der peronistischen und linken Blöcke traf, die die Reformen als rückschrittlich und arbeiterfeindlich kritisierten. Dennoch gelang es der Regierung, in Verhandlungen eine ausreichende Unterstützung zu erhalten.
Als Milei Ende Juni nach Deutschland kam, wo die liberale Hayek-Gesellschaft ihn mit der nach dem Ökonomen, Philosophen und Soziologen Friedrich August von Hayek (1899-1992) benannten Hayek-Medaille auszeichnete, erhielt er keinen Staatsempfang, dafür regnete es Epitheta. Er sei „unberechenbar“ und „umstritten“, schrieb der Spiegel. Die Hayek-Gesellschaft, die Milei mit der Hayek-Medaille auszeichnete? Auch „umstritten“, meinte der Spiegel. Die Frankfurter Rundschau versuchte, Milei als jemanden darzustellen, der unnütze Auslandsreisen veranstalte. Er nehme „sich die Zeit, durch die Weltgeschichte zu jetten“. In seinen bisherigen sechs Monaten im Amt ist der argentinische Staatschef sei Milei, der „Systemsprenger“, schon mehr als siebenmal im Ausland gewesen.“ Gute Güte. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz, zum Vergleich, war im gleichen Zeitraum 19-mal im Ausland. „Grausamkeiten“ verübe Milei, so die FR weiter. „Krawallpräsident“ wurde Milei von der Hamburger Krawallzeitung MoPo genannt. „Ultrarechte“ Politik unterstellte ihm der NDR, ohne Erläuterung.
Land der Schuldenkrisen
Außer durch seine Fußballer ist Argentinien seit Jahrzehnten für Hyperinflation, Staatsbankrotte und Währungskrisen bekannt. Was auffällt, ist, dass der derzeitige argentinische Präsident, wiewohl erst seit kurzem im Amt, der einzige Politiker weltweit zu sein scheint, der für die wirtschaftliche und soziale Lage in seinem Land verantwortlich gemacht wird — während Wirtschaftskrisen und Inflation für gewöhnlich wie eine Art Naturereignis geschildert werden.
Journalisten geben Milei die Schuld an der Not weiter Teile der Bevölkerung. „Harter Sparkurs treibt Menschen in Armut“, titelt beispielsweise der Tagesspiegel. Als wäre es Sparsamkeit, die Armut verursacht, und nicht die Zerstörung und Verhinderung von Produktion.
Bevor Milei auf der Bühne auftauchte, wussten Journalisten noch, wie schlimm die Lage unter früheren argentinischen Regierungen war. Ein Journalist des Redaktionsnetzwerks Deutschland porträtierte etwa im September 2022 zwei argentinische Altpapiersammler, Damian und Ricardo, Vater und Sohn, deren Einnahmen von der Inflation aufgefressen würden und die sagten: „Wir schauen, dass wir die Tageseinnahmen gleich umsetzen. Lebensmittel, Obst.“ Und die Kioskbesitzerin Anna Maria, die sagte: „Die Preise steigen, jeden Tag. Aber wir nehmen nicht mehr ein. Meine Familie macht das krank. Einige haben gesundheitliche Probleme.“ Viele ihrer Kundinnen und Kunden hätten mindestens einen Zweitjob, um irgendwie über die Runden zu kommen. „Es geht um die einfache Frage: Reicht es noch für Käse oder Wurst zum Frühstück, oder gibt es nur noch Brot?“ Einige fingen bereits an zu tauschen, Kleidung oder Haushaltswaren gegen Lebensmittel, so der Bericht weiter. Von einem „Wertverlust“ der Währung war zu lesen, der aber offenbar keine Ursache und keinen Verursacher hatte. Es sei halt eine „Spirale“, „aus der es scheinbar kaum einen Ausweg gibt“.
Inflation eingedämmt
Doch Präsident Milei hat gezeigt, dass das nicht stimmt. In der Spitze lag die jährliche Inflationsrate bei rund 300 Prozent. Die Erfahrungen aus aller Welt über die Jahrhunderte zeigen, dass der Weg von dort schnell zur völligen Entwertung der Währung führt — man denke etwa an die 50-Milliarden-Mark-Briefmarke der Deutschen Reichspost von 1923. In Argentinien blieb die Inflationsrate im April dieses Jahres zum ersten Mal hinter der Lohnentwicklung zurück. Die Tageszeitung La Nacion (Buenos Aires) berichtete:
„Auch wenn man es noch nicht in der Tasche spürt, zeigen die offiziellen Statistiken, dass die Löhne im April zum ersten Mal seit August 2023 die Inflation bei der monatlichen Messung übertroffen haben. Nach Angaben des Nationalen Instituts für Statistik und Volkszählungen (Indec) stieg der allgemeine (Lohn-)Index im vierten Monat des Jahres um 10,2 %, während der Preisanstieg im gleichen Zeitraum 8,8 % betrug.“
Im Mai sank die monatliche Inflationsrate zum fünften Mal in Folge. Sie lag mit 4,2 Prozent unter den erwarteten 4,9 Prozent und weit unter dem Wert von 25 Prozent im Dezember. „Wir werden die Inflation besiegen“, versicherte Milei. Der Verbraucherpreisindex für Lebensmittel und Getränke liege nun bei null Prozent, eine Leistung, die in Argentinien „seit 30 Jahren nicht mehr erreicht wurde“.
Zu der Situation, in der sich das Land bei seinem Amtsantritt befand, sagt er:
„Als wir an die Macht kamen, lag Argentinien auf Platz 140 der Weltrangliste, mit mehr als 50 % Armen, mit einer Situation, in der es Nahrungsmittel für 400 Millionen Menschen produziert, mit einer Steuerbelastung des Sektors, der Nahrungsmittel produziert, von 70 %, das heißt, der Staat nimmt die Nahrungsmittel von 280 Millionen Menschen. Und in Argentinien gibt es fünf Millionen Menschen, die nicht genug zu essen haben.“
„An Rosskur führt kein Weg vorbei“
Wer hat Milei gewählt? Das Überraschendste an seiner Wahl zum argentinischen Präsidenten sei es gewesen, dass er „einen großen Teil der Stimmen aus der Arbeiterklasse auf sich vereinigen konnte“, war in dem linksradikalen US-Magazin Jacobin zu lesen. „Seine Fähigkeit, die Ängste des wachsenden prekären Sektors des Landes anzusprechen, sollte ein Weckruf für die Linke sein.“
Achgut sprach über Argentiniens Lage und die Politik des neuen Präsidenten mit Carlos Gebauer, Vorstandsmitglied der Hayek-Gesellschaft. „Milei hat die Regierung eines Landes übernommen, das ökonomisch völlig zerrüttet war“, sagt er. Sicherlich, fügt er hinzu, bedeuteten die dringend notwendigen Kurskorrekturen „auch ökonomische Härten“:
„Das ist leider so. Aber viele Menschen in Argentinien wissen ja selbst am besten, dass an dieser unorthodoxen Rosskur kein Weg vorbei führt, wenn es dauerhaft besser werden soll.“
Deshalb sei Milei ja „gerade von denen gewählt worden, die nicht die Mittel haben, das Land zu verlassen und im Ausland weiter ihren Reichtum zu genießen“. Die deutsche Berichterstattung aber klammere das aus.
„Richtig ist, dass wenn man spart und bestimmte Sozialleistungen, die ausgeufert waren, nicht mehr in großem Umfang ausgießt, dass man dann Leuten zunächst mal weniger Geld in die Hand gibt.“
Die Stabilität der Währung sei das, was den Armen als allererstes hülfe, „sich wieder in der Recheneinheit zurechtzufinden und bezahlen“ zu können.
„Die Idee, dass inflationierendes Geld und ein überschuldeter Staat armen Menschen helfen könnte, ist einfach eine falsche Darstellung der Tatsachen. Wer wenig Geld zur Verfügung hat, ist ganz besonders darauf angewiesen, dass eine Währung stabil ist.“
Was bedeutet Argentiniens Rezession?
Im letzten Quartal ist Argentinien in die Rezession gerutscht. Ein Grund zur Sorge? „Das ist die unvermeidliche Folge des eingeleiteten Heilungsprozesses, ähnlich den Wechsel- oder Nebenwirkungen bei einem Medikament“, sagt Gebauer. „Eine Rezession ist volkswirtschaftlich eine Krise, in der sich die vorangegangenen Fehlentwicklungen korrigieren.“ Ihm fällt ein weiterer Vergleich ein: Wenn man sich eine Volkswirtschaft vorstelle „wie einen Spaziergänger im Wald“, dann sei die Rezession „das Langsamerwerden beim Laufen", weil man merke, dass man in die falsche Richtung unterwegs sei.
„Da kommt man zwar nicht voran, aber man kommt auch nicht weiter vom Weg ab. Man verlangsamt und sucht sich den richtigen Weg, findet zurück auf den Weg und orientiert sich an den Realitäten. Rezessionen sind ein Erholungseffekt der Wirtschaft — sicherlich kein schöner, weil mal weniger Geld im Portemonnaie ist, aber sie zeigen, in welche Richtung man gehen muss, um wieder Früchte zu finden.“
Ein wichtiger Akzent, den Milei gesetzt habe, sei die Wiederherstellung von Vertragsfreiheit“, meint Gebauer: „Im Arbeitsmarkt sollte es nicht unsinnige Restriktionen geben, dass also an Arbeitsverhältnissen festgehalten muss, auch wenn sie im Markt überhaupt nicht mehr erforderlich sind. Diese Befreiung führt regelmäßig dazu, dass nicht mehr Unsinniges getan wird, sondern wieder Sinnvolles. Nichts dient einer Volkswirtschaft mehr, als wenn Bürger sinnvolle Tätigkeiten ausüben können, statt sich an falschen Regeln festzuhalten.“
Noch einmal Präsident Milei: „In sechs Monaten Regierungszeit haben wir die größte Haushaltsanpassung nicht nur in der argentinischen Geschichte, sondern auch in der Geschichte der Menschheit vorgenommen. Wir geben 15 Prozentpunkte des BIP an den Privatsektor zurück.“
Milei spricht sich auch für einen „freien Währungswettbewerb“ aus, der auch Kryptowährungen wie Bitcoin und BTU enthält. Das sei eine „ur-hayekianische und damit auch ur-österreichische Idee“ aus den Austrian Economics, sagt Gebauer: „Wir haben in der Ökonomie gelernt, dass Monopole niemals etwas Gutes sind — denn wen man ein Monopol hat, muss man sich nicht mehr dem Wettbewerb stellen. Im Währungswesen aber haben alle Länder der Welt über Jahrzehnte hinweg sich dem Währungsmonopol ihres jeweiligen Staates unterworfen.“
Was Milei in Argentinien anstrebe, sei ein Konkurrenzsystem der Währungen auf den Weg zu bringen.
„Sein Traumziel ist ja sogar die Abschaffung der Zentralbank. Wenn es dann keine Monopolwährung mehr gibt, sondern mehrere Währungen miteinander in Wettbewerb stehen, dann wird sich im Zweifel diejenige Währung als die am häufigsten benutzte herausstellen, die am stabilsten ist.“
Die stabilste Währung wiederum nutze auch den Ärmsten am meisten, weil sie nicht den Kaufkraftverlust durch Inflation erlitten, so Gebauer.
„Null Emissionen“
Milei strebt längerfristig „null Emissionen“ an, keine weitere staatliche Geldschöpfung. Er sagte sogar: „Wir werden ein Gesetz verabschieden, nach dem die Ausgabe von Geld ein Verbrechen ist, und zwar ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Und wenn Geld ausgegeben wird, muss der Präsident des Landes ins Gefängnis gehen.“
Unnötiger Verbalradikalismus? „Manchmal schlägt er terminologisch über die Strenge, so wie optisch mit seiner Frisur“, sagt Gebauer. Da müsse man unterscheiden zwischen dem Kommunikationsverhalten in der medialen Realität und Mileis fachlichen Fähigkeiten.
„Tatsache ist — und ob man das als Verbrechen gegen die Menschlichkeit subsumieren möchte, ist eine andere Frage —, dass die Überproduktion von Geld durch eine staatliche Monopoleinrichtung nichts ist, was Menschen dient. Insbesondere nicht den kleinen Leuten. Weil ja mit jeder zusätzlichen Geldeinheit, die in die Volkswirtschaft eingespeist wird, die Kaufkraft der schon vorhandenen sinkt, d.h. mehr Geld zu schaffen, ist ein Verarmungsprozess.
Inflation, insbesondere Hyperinflation, sei „kein Schicksalsschlag und auch kein kapitalistisches Abenteuer“, sondern eine bewusste und gewollte Entscheidung der Zentralbank, betont Gebauer.
„Mileis Idee ist nicht eine Währungsreform in Gestalt einer Wegnahme aller Kaufkraft, sondern ein Gesundungsprozess; ein harter Kurs zwar, aber einer, der sehr viel schneller zu gangbaren Ergebnissen führen wird.“
Für „ganz entscheidend“ hält er Mileis „klare Einsicht, dass die keynesianische Politik gescheitert“ sei: „Dass man ein Problem nicht dadurch aus der Welt schafft, dass man es intensiviert, sondern man muss das Problem an dessen Wurzeln packen. Milei will dem Bürger mehr Verantwortung geben und mehr Möglichkeiten, um eine gesunde Volkswirtschaft aufzubauen. Ich bin sicher, dass wird ihm gelingen, so wie es Maggie Thatcher in Großbritannien gelungen ist oder Douglas in Neuseeland — beide Länder waren völlig überschuldet und hatten eine zugrunde gerichtete inflationierte Währung. Wenn man dann einen Gesundungsprozess nach der Lehre der Austrian Economics auf den Weg bringt, dann hat man sehr gute Erfolgsaussichten.“
Woran liegt es, dass Milei in der deutschen Presse viel stärker angegriffen wird als der türkische Präsident Erdogan für seine Inflationspolitik? Gebauer vermutet, das habe damit zu tun, dass das Konzept, das Javier Milei verfolge, sich völlig von unseren mitteleuropäischen Konzepten unterscheide, wie wir sie üblicherweise nicht nur in Deutschland, sondern auch in der EU sehen: „Hier herrscht immer noch die Vorstellung vor, dass der Staat mit all seinen Beamten alle Probleme am besten lösen könne. Dem ist aber nicht so. Würde man sehen, dass Herr Milei Erfolge hat in Argentinien — was ich persönlich hoffe —, dann würde das auch zu einem Umsteuern hier in Europa führen. Weil man sieht, es geht aufwärts. Und Änderungen sind etwas, das wir Menschen nicht so gerne haben. Wir halten an dem fest, was wir kennen.“
Angesprochen darauf, dass der Spiegel anlässlich der Verleihung der Hayek-Medaille an Milei die Hayek-Gesellschaft als „umstritten“ bezeichnete, sagt Gebauer, in einer Demokratie sei es „ein Lob, umstritten zu sein“, weil nie alle einer Meinung seien. „Ein demokratischer Politiker muss immer umstritten sein von seinen politischen Gegnern. Nur aus dem wechselseitigen Streit können am Ende richtige Lösungen resultieren.“
Stefan Frank, geboren 1976, ist unabhängiger Publizist und schreibt u.a. für Audiatur online, die Jüdische Rundschau und MENA Watch. Buchveröffentlichungen: „Die Weltvernichtungsmaschine. Vom Kreditboom zur Wirtschaftskrise“ (2009); „Kreditinferno“. „Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos“ (2012).