Rainer Bonhorst / 11.03.2010 / 00:27 / 0 / Seite ausdrucken

Sarrazin weist den Weg

Thilo Sarrazin bleibt der Meister der politischen Unkorrektheit. Er hat zwar seine Epigonen. Roland Koch (“Arbeitspflicht für Hartzer”), Guido Westerwelle (“Schnee schippen”) und neuerdings auch seine Parteifreundin Hannelore Kraft (“Straßen reinigen”). Doch er macht allen etwas vor. Keiner hat seinen Output und keiner erreicht seine Eleganz in der Themenwahl.

Damit meine ich nicht seinen Vorschlag an die ärmere Bevölkerung, bei Strommangel kalt zu duschen. Das war kein Florett sondern ein Krummschwert. Zumal der weltgewandte Provokateur wissen sollte, dass man Kaltduschen allenfalls englischen Prinzen auf ihren Eliteinternaten zumuten darf. (Und da wir gerade in England sind: Hier zieht man auch gelegentlich bei Kälte daheim einen Pullover an, weil die undichten antiken Fenster den Ostwind nahezu ungebremst in die stilvollsten Wohnungen hineinblasen lassen. Da nützt auch der viktorianische Kamin wenig, wie der altenglische Kaminwitz belegt: “Vorne schwitzt man und hinten klappert man mit den Zähnen.” Aber das nur am Rande.)

Auch die Idee, Eltern das Kindergeld zu kürzen, deren Nachwuchs die Schulaufgaben schwänzt, ist unnötig brutal: Es weiß doch jeder, dass man Arbeitslosen daheim nicht zumuten kann, die Hausaufgaben ihrer Kinder zu kontrollieren, wenn gerade “Wetten dass…” läuft.

Nein, das alles macht nicht die Meisterschaft des Sarrazin aus. Sein Meisterstück ist die Sache mit den vielen Fernsehsatelliten, die Türksat anpeilen. Diese Geräte haben in dem randständigen Sozialdemokraten den Wunsch geweckt, unsere türkischstämmischen Mitbürger sollten doch nicht immer nur Türksat glotzen und Hürriyet lesen, sondern mehr deutsche Sender einschalten und mehr deutsche Zeitungen konsumieren. Dieser Vorschlag hat es auf subtile Weise in sich.

Denn dieser Wunsch des sonst in den Medien viel und heftig getadelten Sarrazin bringt uns deutsche Journalisten in Bedrängnis. So sehr wir Sarrazin routinemäßig verdammen möchten, er spricht uns in dieser Sache auf geradezu hinterhältige Weise aus der Seele. Seit Jahren versuchen deutsche Redaktionen, das türkisch-sprachige Millionenpublikum in die heimische Medienlandschaft zu locken. Vergebens. Sie lesen uns nicht und sie glotzen uns nicht. Und nun weist ausgerechnet Sarrazin den Weg. Aber wie soll er beschritten werden?

Am ehesten noch ließe sich eine deutsche Fernsehpflicht verwirklichen. Die Öffentlich-Rechtlichen haben ohnehin im ganzen Land ihre Späh-Fahrzuge positioniert. Es wäre für sie ein Leichtes, nicht nur Schwarzseher sondern auch Türksat-Seher zu jagen und auf die rechte Bahn zu bringen. Aber auch für die Zeitungen ließe sich mit Hilfe des Gesetzgebers ein Weg finden. Es müsste nur eine Zwangsintegration im Printbereich eingeführt werden: Wer die Hürriyet kaufen will, darf dies nur im Verbund mit einer deutschen Zeitung freier Wahl tun. Man könnte zwar nicht ganz ausschließen, dass das türkische Kampfblatt als Bückware einzeln und ohne deutsches Beipack, also schwarz angeboten würde. Aber dieses Problem ließe sich in Grenzen halten.

Kurz: Sarrazins Türksat-Tadel ist ganz im Sinne des deutschen Journalismus und wir können nicht umhin, wir müssen ihn diesmal, weil in eigener Sache, als weitsichtigen Retter der kriselnden Medienszene loben, wenn nicht gar ins Herz schließen. Noch so eine rettende Idee, und wir gehen für ihn durch dick und dünn, im Zweifel sogar unter eine kalte Dusche.

Er ist eben - auf irgendwie heimtückische Weise - der Meister.       

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