Ulli Kulke / 03.11.2012 / 11:15 / 0 / Seite ausdrucken

Sandy: Es kommt drauf an, was man draus macht

Vier Tage nach dem Aufprall des Hurrikans Sandy auf New York ist es Zeit, Bilanz zu ziehen. Seit jeher muss die Stadt herhalten für Weltuntergänge jeder Art, gefriergeschockt, überflutet, von haushohen, wolkenkratzerklimmenden Gorillas überfallen, von flutlichtspeienden Ufos in Angst und Schrecken versetzt, von Meteoriten und finanziellen Totalzusammenbrüchen komplett platt- und lahmgelegt, leergefegt von todbringenden Epidemien, Ratten, überlebensgroßen Spinnen, unsichtbaren Giftwolken.

Wenn der Weltuntergang irgendwo auf Menschen treffen sollte in den Phantasien der Drehbuchschreiber, Thriller-Autoren und anderen medienmächtigen Köpfen, dann wäre es New York, die Metropole, die seit 150 Jahren dank ihrer weltweiten Sogwirkung wie keine andere auf der Welt Aufmerksamkeit erheischen konnte. Wo sonst? Weltuntergang in Chongqing vielleicht, einem chinesischen Ort, der derzeit die größte Stadt der Welt sein soll? Würde das jemand interessieren? Nein, aber New York, Big Apple, Tanz auf dem Vulkan, Paradies aller Spekulanten, die an der Verderbnis des Globus verdienen, Nabel der Welt – und deshalb natürlich auch Sehnsuchtsort aller Weltuntergangspropheten. Natürlich auch als Sündenbabel, und das passt bestens.

Im morphogenetischen Gedächtnis angelegt ist nämlich seit Ur- und Unzeiten, dass der Mensch für die meisten an die Wand geworfenen Weltuntergänge selbst Schuld ist. Glaubensherrscher sorgten dafür, Potentaten, die sich bedrängt fühlten – oder Menschen, die sich einfach nur wichtig machen wollten. Auch Zeitgeister, die es nicht abwarten können, entscheidende Wendepunkte in der Jahrhunderttausende langen Menschheitsgeschichte endlich ganz persönlich miterleben zu dürfen. Wozu haben sie denn all die Bücher über die Meilensteine der Historie seit der letzten Eiszeit gelesen, wenn sie nicht selbst auch mal mittun dürften? Und was könnte ihre Gemüter besser anfeuern, als die Aussicht, an diesen Wendepunkten mit Hand anlegen zu dürfen, den Mantel der Geschichte für einen Moment selbst tragen zu dürfen. Der Begriff der großen „weltweiten Transformation“ ist ein Kind dieses Denkens. Die nächste


Naturkatastrophe, die am besten New York treffen sollte und nur irgendwie die Erklärung zulassen sollte, dass der Mensch daran Schuld daran trüge und vor allem dass er durch seine Läuterung dergleichen künftig verhindern könnte, sollte ihn dann herbeiführen: den Zeitpunkt der großen Abrechnung, die Machtübernahme durch die Guten, endlich. Es lag in der Luft.

Man hat auf Sandy gewissermaßen gewartet. Und was geschah? Der Broadway stand unter Wasser, nicht mehr nur drinnen, auf der Leinwand, sondern jetzt draußen, ganz real. Doch um es gleich vorweg zu nehmen: Die Vernunft ist mit Sandy nicht untergegangen, jedenfalls noch nicht ganz. Die meisten Beobachter konnten sich dann doch beherrschen, jetzt mit platten, und in dem konkreten Fall ersichtlich unsinnigen Zusammenhängen von CO2-Ausstoß und Hurrikan in New York Entsetzen und Selbstgeißelung zu heischen. Die meisten, nicht alle.

Erinnern wir uns noch an den warmen Winter 2006/7, als der Weltklimarat seinen letzten Bericht vorlegte. Stürme fegten übers Land damals, und die Medien waren sich einig: Der Mensch ist Schuld. Das war dieses Mal anders, obwohl der Wirbelsturm in New York zum großen Kino einlud. Wenn mich nicht alles täuscht, so hat sich in den letzten fünf Jahren eben auch manches Journalisten-Mütchen gekühlt. Hätte der New Yorker Bürgermeister Bloomberg nicht gestern zur Wahl von Obama aufgerufen und dabei den Umweltschutz ins Spiel gebracht, so wären es allein die üblichen Verdächtigen geblieben, hierzulande vor allem, die jetzt, nach dem Hurrikan, wieder schrien: Haltet den Mensch!

Zu Bloomberg und seinen möglichen Motiven gleich, doch vorher wollen wir uns natürlich schon einmal anschauen, was die Zunft der Klimaforscher und der allzu Gläubigen jetzt doch wieder für Stilblüten trieben. Falsch lag ich jedenfalls nicht mit meiner Prognose aus dem letzten Blog: Das ZDF war wieder ganz vorn dabei, auch wenn der Oberapokalyptiker Claus Kleber nicht zugegen war. Mojib Latif, einer der bekanntesten Klimaforscher im Lande, war dafür im Studio beim ZDF-special am Dienstag abend. Und es war einfach frech, was er da behauptete: Mehrfach sprach er von einer „Häufung von Hurricans in den letzten Jahrzehnten“, Ausgewogenheit vorspielend mit dem Hinweis, „wir können nicht sagen, wie viel davon menschengemacht ist, und wie viel natürlich“. Was er meinte, machte er im Tonfall klar. Die Moderatorin in den „Heute“-Nachrichten zuvor hatte mit eindringlichem Ton von den horrenden Windgeschwindigkeiten in New York berichtet: „Bis zu 140 Stundenkilometern“ – jeder stärkere Winterorkan in Mitteleuropa bringt es auf das Doppelte.

Es ist doch vielmehr so, Herr Latif: War der Mensch an der Entwicklung des Meeresgeschehens in den letzten Jahrzehnte tatsächlich beteiligt, so gäbe es nur eine Konsequenz: Er müsste so weiter machen wie bisher und alles noch viel stärker: Die Häufung und auch die Stärke von Hurrikanen nämlich ist in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen. Jeder kann sich davon überzeugen. Und es ist schon auffällig, dass jetzt, da doch einige einschlägige Kräfte nicht an sich halten können mit der Schuldzuweisung an den Menschen für das Unwetter in New York, niemand mit klaren Statistiken rüberkommt, die auch nur ansatzweise den Verdacht rechtfertigen könnten, Hurrikane im Atlantik und insbesondere an der Ostküste der USA hätten im Laufe der letzten Jahrzehnte oder wahlweise auch des letzten Jahrhunderts irgendwie an Zahl oder Stärke zugenommen. Das Gegenteil ist der Fall. Unsere Wahrnehmung von weltweiten Naturkatastrophen ist gestiegen, und deshalb können Alarmisten wie Latif wohlbegründet nach der Devise verfahren: Irgendwas wird schon hängen bleiben.

Ohnehin wäre es müßig bis albern, sich im Zusammenhang mit „Sandy“ auch nur theoretisch über eine Tendenz zu stärkeren Hurrikanen zu unterhalten. Sandy wäre der falsche Sturm. Er hatte überhaupt nur kurzzeitig die Kategorie „2“ (von möglichen 5) erreicht, war in der Karibik noch auf „1“ heruntergestuft worden und erreichte New York als „post-tropischer Sturm“, nicht mal mehr als Hurrikan. Worüber sprechen wir eigentlich? Darüber, dass einer von jährlich dutzenden Stürmen nicht irgendwohin gezogen ist, sondern leider genau die Millionenmetropole New York traf, die gewiss nicht optimal vorbereitet war. Wo viele Menschen es vorzogen, sich nicht evakuieren zu lassen, wo Bäume Menschen erschlugen, Menschen ertranken – jeder Todesfall eine Tragik. Aber die Geschichte der USA kennt Wirbelstürme mit 12.000, mit 22.000 Toten. Und dieses Mal traf es eine Metropolenregion von 20 Millionen Einwohnern und ihre anfällige Infrastruktur.

Entsprechend nebulös blieben daher lieber andere Weltuntergangs-Kämpfer, die sich den verlockenden Happen New York zwar nicht entgehen lassen wollten, aber nichts konkretes in der Hand hatten. Wie etwa Stefan Rahmstorf vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, eine einstige Referenz der Zunft. Er sieht in seinem Blog den Zusammenhang darin, dass der Klimawandel und seine Auswirkungen auf die arktischen Eisverhältnisse dafür gesorgt hätten, dass der Hurrikan genau auf New York getroffen und nicht irgendwo anders hin gezogen sei. Gut gezielt, Klimawandel, kann man da nur sagen. Gemein, eigentlich, oder? Auch ansonsten können nur Banalitäten helfen. Jetzt habe der Meeresspiegel womöglich die endgültig kritische Höhe erreicht, heißt es, 30 Zentimeter sei er im vergangenen Jahrhundert gestiegen, und jetzt sei eben die Schwelle überschritten. Und das bei vier Meter hohen und höheren Wellen über New York.

Auch den üblichen anderen Verdächtigen wie der taz oder der Süddeutschen Zeitung, und einigen ARD-Stationen im Frühstücksprogramm war anzumerken, dass sie meinten, mal wieder mit palowlowschen Reflexen auf ein Extremereignis reagieren zu müssen, allerdings ähnlich gewollt nebulös blieben, der Mensch muss doch damit zu tun haben, irgendwie. Andere Medien berichteten ganz korrekt in den Zusammenhang, täuschten aber in effekthascherischer Manier in der Überschrift Zusammenhänge an, die sie im Artikel selbst nicht liefern konnten. Wie auch?

Und dann kam Bürgermeister Bloomberg. Er brachte vier Tage vor der US-Präsidentschaftswahl den Hurrikan über seiner Stadt im Zusammenhang mit dem Klimawandel in den Wahlkampf ein. Ob es nun gleich zum „Top“-Thema avanciert, wie am Freitag einige deutsche Rundfunksender meinten, ist allerdings sehr fraglich, auch wenn es sich hierzulande wohl viele nicht anders vorstellen können. Ein Berliner Radiosender behauptete denn auch gleich: Bloomberg sieht einen Zusammenhang des Hurrikans Sandy mit dem Klimawandel (schon wird sogar Bloombergs Stimme hierzulande eingesetzt: Seht Ihr, selbst Bloomberg…). Genau das tat er allerdings nicht. Gewiss, er äußerte – anlässlich von Sandy – seine eher unscharfe Befürchtung, dass es künftig womöglich mehr unangenehme Extremereignisse geben könnte, und dass er Obama am ehesten zutraut, mit einer besseren Umweltpolitik dem vorzubauen. Eine in meinen Augen zwar illusorische Verknüpfung, die in Amerika auch kaum auf fruchtbaren Boden stoßen dürfte. Doch sehen wir es insofern positiv, als eine nicht unbedeutende Stimme in Amerika zum ersten Mal in diesem Wahlkampf überhaupt das große Thema Umwelt eingebracht hat, an dem so viele wichtigere Dinge hängen wie Artenschutz, Natur- und vor allem Ressourcenschutz und vieles mehr, was diesseits von ideologischen Grabenkämpfen in den USA längst der Rede wert ist. Auch im Wahlkampf.

Zuerst erschienen auf Ulli Kulkes Blog bei der WELT

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